Nach ersten Untersuchungen der Schichten des Fundaments der bislang ausgegrabenen nordöstlichen Ecke des Tempels und den darin gefundenen Objekten datieren die Forschenden den Bau des Tempels gegen Ende des sechsten oder Anfang des fünften Jahrhunderts vor Christus. »Der neue Tempel hat ungefähr die gleichen Abmessungen und eine ähnliche Ausrichtung wie der benachbarte Tempio Grande, der zeitgleich in archaischer Zeit erbaut wurde«, erklärt Franceschini. »Diese Dopplung von Monumentalbauten in einer etruskischen Stadt ist selten und spricht für einen besonderen Befund«, ergänzt Pasieka. Die Forschungsgruppe entdeckte den Tempel im Rahmen des im Jahr 2020 gestarteten Projekts »Vulci Cityscape«, bei dem die Besiedlungsstrategien und urbanistischen Strukturen der Stadt Vulci aufgearbeitet werden. Vulci, eine der zwölf Städte des etruskischen Bundes, gehörte in vorrömischer Zeit zu den wichtigsten urbanen Zentren des heutigen Italiens.
Neue Erkenntnisse zur Stadtgestaltung und -entwicklung
»Wir haben den gesamten nördlichen Bereich von Vulci, also 22,5 Hektar, mit geophysikalischen Prospektionen und dem Georadar untersucht«, erklärt Pasieka. »Wir entdeckten Reste aus der Ursprungszeit der Stadt, die man in Vulci bislang vermisst hat und können nun Siedlungsdynamiken besser verstehen und Straßensysteme sowie unterschiedliche funktionale Bereiche in der Stadt erkennen.« Erste Mauerstücke aus massiven Tuffsteinen konnten die Forschenden ab 2021 freilegen. »Unser Wissen um das Aussehen und die Organisation etruskischer Städte ist bislang noch sehr begrenzt«, erläutert Franceschini. »Die intakten Schichten des Tempels geben uns aber Einblick in eine über tausendjährige Entwicklung einer der wichtigsten etruskischen Metropolen.«
In den kommenden Jahren wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Nutzungsphasen und das genaue architektonische Aussehen des Tempels genauer untersuchen, um mehr über die Religion der Etrusker, das soziale Gefüge in Vulci und die Lebensrealität der Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt zu erfahren.
Fritz Thyssen Stiftung und Gerda Henkel Stiftung unterstützen die Ausgrabungen
Das Projekt wird durch die Fritz Thyssen Stiftung (2020-2022) und die Gerda Henkel Stiftung (2022-2023) sowie den Profilbereich »40,000 Years of Human Challenges: Perception, Conceptualization and Coping in Premodern Societies« der Johannes Gutenberg-Universität Mainz finanziert. Die Abteilung für Klassische Archäologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Arbeitsbereich für Klassische Archäologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz arbeiten mit der Stiftung Vulci, die den archäologischen Park »Parco Naturalistico Archeologico di Vulci« verwaltet, sowie der italienischen Denkmalpflege »Soprintendenza Archeologia, Belle Arti e Paesaggio per la provincia di Viterbo e per l’Etruria meridionale« zusammen.