Oberflächlich sind auf dem Bauareal keine Spuren der ehemaligen Glashütte mehr zu sehen. Die ehemaligen Fabrikgebäude wurden mehrheitlich bereits wenige Jahre nach der Werksschließung 1974 abgerissen. Untertägig jedoch haben sich noch zahlreiche Relikte von der über 100-jährigen Glasproduktion an diesem Ort erhalten.
»Zu unserer großen Überraschung waren trotz gravierender Umbaumaßnahmen im 20. Jahrhundert noch umfangreiche Überreste ältere Relikte der ehemaligen Glashütte erhalten«, so LWL-Grabungstechnikerin Birgit Grundmann, die das Industriedenkmal vor Ort untersucht. »Wir haben Fundamente, Fußböden, Tor- und Türaussparungen, aber auch Entwässerungskanäle freigelegt.« Sie könnten bis in die Entstehungszeit im 19. Jahrhundert zurückreichen und zeichnen ein Bild der ehemaligen Glashütte.
Nach mündlichen und schriftlichen Überlieferungen verfügte die Glashütte in ihrer Frühphase über einen sogenannten Boetius-Ofen. Diese Öfen wurden mit Steinkohle betrieben: Aus der Kohle wurde unter Luftzufuhr ein heißes Gasgemisch gewonnen. Durch Verbrennung dieser Gase und mit Frischluft erzeugte man die nötige Hitze zur Glasschmelze. Diese Erfindung führte unter anderem zu einer gleichmäßigeren Schmelze. Monumental wirkenden Relikte vom Unterbau eines derartigen Ofens wurden vor wenigen Jahren im niedersächsischen Klein Süntel (Bad Münder) archäologisch ergraben und sind womöglich auch in Bad Driburg noch im Boden erhalten.
»Die Ausgrabung eines neuzeitlichen Industriestandorts ist sicher nicht der Alltag eines Archäologen«, erklärt Andreas Wunschel von der LWL-Archäologie für Westfalen. »Das besondere dieses Platzes ist, dass wir die Entwicklung der Glasproduktion über einen Zeitraum von über 100 Jahren nachvollziehen können. Solche Gelegenheiten sind selten und sehr aufschlussreich.«
Aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stammt ein großflächig über mehrere Dutzend Meter nachvollziehbares System aus Luft- und Gaskanälen. Sie sind Teil der sogenannten Regenerativ-Gasfeuerung für Glasöfen, für die eigens Vorrichtungen zur Gaserzeugung in den Glashütten eingebaut werden mussten. Von diesem Anlagensystem zeugt eine charakteristische Rundkonstruktion mit kreuzförmiger Unterteilung. »Die Abgaskanäle zum ehemaligen Schornstein liegen teilweise direkt unter der heutigen Grasnarbe«, so Grundmann. »Da man diese technischen Einrichtungen aus den 1940/50er Jahren bei den Fabrikumbauten in jüngerer Zeit großflächig mit Betonplatten abdeckte, haben sie sich bis heute erhalten.«
Dieser neue Befeuerungstyp bot mehrere Vorteile: Einerseits führte er zu weniger Verunreinigungen im Glas. Andererseits ermöglichte er eine größere Hitze und konnte dazu obendrein mit billigerem Material wie Torf und Holzkohle betrieben werden.
Aus der jüngsten Betriebsphase stammen zahlreiche Betonfundamente, die als Basis der letzten Fabrikhalle dienten. Auch der untere Teil eines vier Meter mal 4,50 Meter großen Ofens hat sich erhalten. Diese Baustrukturen sind Zeugen einer Zeit, in der neben der Mundblasproduktion auch Versuche zur maschinellen Glasherstellung unternommen wurden.
»An der Stelle der aktuellen Ausgrabung entsteht bald ein Parkplatz«, erläutert Christian Smolenski, der das geplante Bauprojekt leitet. »Dazu werden die freigelegten Hohlräume verfüllt und anschließend überdeckt.« Die sich weiter östlich an die Grabungsfläche anschließenden unterirdischen Relikte der Glashütte sind von der Neubaumaßnahme unberührt und bleiben daher ebenfalls für die Zukunft erhalten. Sie erinnern an das Wirken der Driburger Glasmacher und einen bedeutenden Teil der Glasindustrie, der an dieser Stelle vor über 150 Jahren seinen Anfang nahm.
Hintergrund
Das Prinzip der Glasherstellung ist durch alle Epochen ähnlich. Glas besteht vor allem aus Quarzsand. Weitere wichtige Rohstoffe sind Kalk, Soda und Pottasche. Unter großer Hitze wird diese Mischung zu Glas verschmolzen.
Die Bedeutung von Glas in der Region um Bad Driburg ist vergleichbar mit dem Stellenwert von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet. Die Glasmachertradition reicht hier mehrere Jahrhunderte zurück und hat seine Ursprünge in Waldglashütten. Über Jahrhunderte bot der Wald einen Hauptrohstoff zur Glasproduktion: Holz. War der Baumbestand in der näheren Umgebung der Glashütte erschöpft, zogen die Glasmacher weiter.
Einen Umbruch leitete die fortschreitende Industrialisierung im 19. Jahrhundert ein. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes sicherte die Rohstoffversorgung und förderte die Bindung der Glashütten an die Lage nahe der Hauptverkehrslinien - auch in Bad Driburg mit der 1864 eröffneten Bahnstrecke. In den Folgejahren nahmen in der Stadt zwei Glashütten die Produktion auf, darunter die Glashütte »Becker« an der heutigen Brakeler Straße/Hufelandstraße. Sie existierte bis in die 1970er Jahre und war überregional unter dem späteren Namen »Vereinigte Driburger Glashüttenwerke« für ihre mundgeblasenen Glaserzeugnisse bekannt.