"Jenseits traditioneller Präsentationsformen wird das Forschungs- und Erlebniszentrum Schöningen Wissenschaft auf internationalem Niveau vermitteln", so der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Lutz Stratmann. Das Projektteam wird die Konzeption des Zentrums auf dem Niveau vergleichbarer, international führender Institutionen umsetzen.
Garant für den Erfolg ist Projektleiterin Dr. Gabriele Zipf. Sie zeichnet für die im In- und Ausland als vorbildlich angesehene "Arche Nebra" verantwortlich, die an der Fundstelle der berühmten Himmelsscheibe inzwischen zum Besuchermagneten geworden ist. "Dass es gelungen ist, Frau Dr. Zipf für das Projekt Schöningen zu gewinnen, ist ein echter Glücksfall für Niedersachsen", sagte der Präsident des NLD, Dr. Stefan Winghart.
Aufgabe des Projektteams wird es sein, mehr als 25 Jahre Forschung in Schöningen zu durchdringen und die Kernaussagen in eine Form zu bringen, die den Besucher von Anfang an fesselt und in eine Geschichte einbezieht, die mit einer Pferdejagd vor mehr als 300.000 Jahren begann, bis heute andauert und deren Ende noch lange nicht absehbar ist: Die Forschungen in Schöningen werden in Kooperation mit hoch renommierten wissenschaftlichen Instituten wie dem Institut für ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen, dem Senckenberginstitut Frankfurt/M. oder dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz in einem gläsernen Labor vor den Augen des Publikums fortgesetzt.
Als unterstützender Partner konnte eines der besten Teams in der Realisierung anspruchsvoller Ausstellungs- und Präsentationsprojekte gewonnen werden, nämlich die Gruppe um den Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, Professor Dr. Harald Meller. Halle ist in den letzten Jahren zu einer der weltweit ersten Adressen in der Archäologiepräsentation geworden. Es unterstreicht die Bedeutung des Projektes Schöningen, dass sich Meller mit seinen Mitarbeitern zur Unterstützung bereit erklärt hat.
Finanziert wird das Schöninger Forschungs- und Erlebniszentrum mit 15 Millionen Euro aus dem Aufstockungsprogramm des Landes zum Konjunkturpaket II.
Der Braunkohletagebau Schöningen – Ein einzigartiges Archiv für die Menschheits- und Klimageschichte
Der Braunkohletagebau Schöningen ist eine der bedeutendsten archäologischen Fundstellen der Welt. Neben den spektakulären Einblickmöglichkeiten in die Menschheitsentwicklung ergibt sich an dem gewaltigen Schöninger Schichtpaket die einmalige Chance längerfristige Trends und zyklische Schwankungen des Klimas in einer sonst nie erreichten Auflösung zu erfassen und in den globalen Zusammenhang zu stellen.
In über 50 Millionen Jahren lagerten sich Sedimente in Rinnen und Becken entlang eines Salzstockes ab. Diese sind nun durch den Braunkohletagebau bis in eine Tiefe von über 100 Metern aufgeschlossen und für die Forschung zugänglich. Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege führt mit einer Vielzahl von Partnern seit 1983 im Rahmen eines forschungsorientierten Schwerpunktprogramms nahezu ganzjährig umfangreiche Rettungsgrabungen im Tagebau Schöningen durch.
Nahe der Oberfläche konnte eine vom Menschen seit seiner Sesshaftwerdung geprägte Kulturlandschaft archäologisch untersucht werden. Siedlungen, Befestigungsanlagen und Gräber aus der Jungsteinzeit sowie der Bronze- und Eisenzeit zeugen davon. In den darunter gelegenen Abschnitten aus dem Quartär haben sich Schichten aus dem Eiszeitalter der letzten 500.000 Jahre mit einer Mächtigkeit von bis zu 30 Metern erhalten. Während der Warmphasen bildeten sich kleine Seebecken, die durch ihre Verlandung einmalige organische Erhaltungsbedingungen aufweisen. Die Seeufer wurden von den Urmenschen bevorzugt als Rast- und Jagdplatz aufgesucht. Die noch tiefer gelegenen Stockwerke aus dem Paläogen (Tertiär), liefern insbesondere
für die Klimaforschung einmalige Daten.
Die bislang größte Sensation ist das 1994 in 15 Meter Tiefe entdeckte Jagdlager des Urmenschen. Hier haben vor mehr als 300.000 Jahren steinzeitliche Jäger an einem Seeufer Wildpferde erlegt, Feuerstellen angelegt - und uns die ältesten Holzartefakte und damit die ältesten Jagdwaffen der Menschheit hinterlassen. Sorgfältig bearbeitete Wurfspeere, heutigen Wettkampfspeeren durchaus vergleichbar, zeugen von einem erstaunlichen handwerklichen Können und deuten auf unerwartet hohe Fähigkeiten der Urmenschen hin. Die von Hartmut Thieme und seinem Team entdeckten Spuren belegen organisierte aktive Großwildjagd auf schnell fliehende
Herden, die ohne planendes Handeln und Kommunikationsvermögen undenkbar wäre. Durch die Fülle der Einzelbefunde werfen die Grabungen in Schöningen wie an keiner anderen Stelle in der Welt Licht in das Dunkel der Urgeschichte. Der Homo erectus war im Gegensatz zur bisherigen, weit verbreiteten Auffassung kein Aasfresser und kein sprachloses Wesen, das seiner Umwelt ausgeliefert war. Vielmehr verfügte er über hohe technologische Fähigkeiten, ausgefeilte Jagdstrategien, ein komplexes Sozialgefüge und damit bereits über die erst dem modernen Menschen zugeschriebenen intellektuellen Fähigkeiten vorausschauenden planenden Denkens und Handelns.
Die ungewöhnlich gute Erhaltung organischer Materialien in den quartären Schichten machen Schöningen zu einem der wichtigsten Archive für die Geschichte der Menschheit und des Klimas weltweit.