Ex oriente lux ?

Aulos und Leier im prähistorischen Spanien

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SpanienMusikarchäologie

Im äußersten Westen Europas gelegen, klimatisch begünstigt und mit Rohstoffen reich gesegnet, war die Iberische Halbinsel von jeher ein bevorzugter Siedlungsraum, der zu jeder Zeit Händler, Eroberer und Abenteurer anzog. Besonders die Gebiete der küstennahen Erzvorkommen Andalusiens und der westlichen Sierra Morena gerieten auf diese Weise in den Sog der rohstoffhungrigen Länder des östlichen Mittelmeerraumes, und wurden in ihrer kulturellen Entwicklung spätestens seit Beginn der Metallzeiten deutlich dadurch geprägt. Die ehemals hervorragenden, heute aber verlandeten Naturhäfen an der Küste zwischen der Guadalquivirmündung im Westen und Cartagena im Osten boten ideale Voraussetzungen für den Fernhandel mit Erzen und landwirtschaftlichen Produkten aller Art. So war der Süden der Iberischen Halbinsel spätestens seit dem 3. Jahrtausend v.Chr. als eine Art Drehscheibe des prähistorischen Handels eng mit den Kulturen des Ostmittelmeerraumes verbunden, und zumindest im Umfeld der Handelsniederlassungen und Bazare der Küstenregion mag sich ein exotisch-orientalisches Flair verbreitet haben. Es läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob das einheimische Musikleben Einfluß auf die Länder am östlichen Mittelmeer hatte, daß aber umgekehrt das Musikleben der Fremden seine Spuren auf der Iberischen Halbinsel hinterlassen hat, spiegeln die archäologischen Hinterlassenschaften jener Zeit. So tauchen etwa im 8. Jahrhundert v.Chr. die Leier, und im 6./5. Jahrhundert v.Chr. der Aulos, anscheinend ohne einheimische Vorläufer, in bildlichen Darstellungen im Süden und Südwesten der Iberischen Halbinsel auf.

Aulos

Der Aulos, respektive der Doppelaulos, ist ein Blasinstrument (Aerophon) mit Doppelrohrblatt-Mundstücken, das vorwiegend paarig gespielt wurde, und letztlich ein Vorläufer der modernen Oboe ist. Das Spiel stellt besondere Ansprüche an die Physis der Spielerin oder des Spielers, denn es ist ein kräftiger und konzentrierter Atem notwendig, um den Luftstrom durch den engen Spalt zwischen den Rohrblättern hindurchzupressen. Dabei wird im Mundraum, den Wangen, letztlich im gesamten Kopf extrem hoher Druck aufgebaut, was, wie schon in der Antike beschrieben, zu einem „unschönen Gesichtsausdruck“ führen kann (Becker 1966).

Im griechischen, römischen, ägyptischen und orientalischen Kulturkreis war das Instrument weit verbreitet und ist über einen Zeitraum von etwa 3000 Jahren belegt (Becker 1966). Zahlreiche Originalinstrumente sind komplett oder fragmentarisch erhalten, und unzählige ikonographische Darstellungen sowie antike Schriftquellen zu Bau, Gebrauch und Spielweise ergänzen diese Quellen (Neubecker 1977). Man weiß, daß als Baumaterial Holz, Knochen, Elfenbein und Metall Verwendung fand, und daß die Ägypter Schilfrohr bevorzugten, das im holzarmen Ägypten im Überfluß vorhanden war. Die Zahl der Grifflöcher variiert zwischen vier und zwölf, wobei späte Modelle mit aufwendiger Mechanik versehen waren, um eine Erweiterung des Tonvorrates auf bis zu 24 Töne zu ermöglichen. Der Aulos wurde in der Antike vielfältig eingesetzt, zur Gesangsbegleitung, zu kultischen Anlässen, aber auch in der Volks- und Tanzmusik: ein echtes Allround-Instrument.

Welchen Stellenwert der Aulos im prähistorischen Spanien hatte, aus welchem Material er hier gebaut wurde, oder ob er vielleicht sogar vornehmlich importiert war, läßt sich aus den heute bekannten Quellen nicht ersehen. Auch sind bislang noch keine Originalistrumente bekannt geworden. Einzige Belege sind bildliche Darstellungen. Leider sind diese aber nicht ausreichend präzise, um instrumentenbauliche Details zu klären, wie zum Beispiel die Frage nach der Konstruktion des Mundstückes, das eine typologisch zweifelsfreie Zuordnung ermöglichen würde. Obwohl nämlich die Darstellungen übereinstimmend als Auloi interpretiert werden, ließen diese sich durchaus auch als Doppelflöten deuten, da das eigentliche Charakteristikum - das Doppelrohrblatt-Mundstück - als solches nicht erkennbar ist (eine Überlegung, die sich übrigens bei einem Großteil antiker Aulosdarstellungen anstellen ließe !). Bleiben wir dennoch bei der gängigen Zuordnung als Aulos.

Spanische Doppelauloi sind durchweg aus ikonographischen Quellen bekannt. Zum einen sind dies Darstellungen auf iberischer, figural verzierter Keramik, zum anderen sind es Terrakotten von Aulosspielerinnen (Schuster 1993). Sie datieren in die zweite Hälfte des 1. Jahrtausends v.Chr., einen Zeitabschnitt, in dem im Bereich der Ostküste, neben den fremden ostmediterranen und wohl auch etruskischen Einflüssen, die ältere Tradition des spätbronzezeitlichen „orientalisierenden Stils“ Westandalusiens und der Extremadura nachwirkten (Almagro Gorbea 1977). Nach den wenigen bislang bekannten Abbildungen zu schließen, wurde der Aulos auch in Spanien vielfältig eingesetzt: Solistisch gespielt, zur Tanzbegleitung, im Zusammenspiel mit Trompete, Leier und Aulos, und offensichtlich auch im militärischen Bereich - letztlich im gleichen Kontext wie in den als „Vermittler“ postulierten Kulturen des östlichen Mittelmeeraumes.

Für die Spielweise des Doppelaulos postuliert man eine melodieführende Spielflöte, die durch einen tiefen Dauerton (Bordun) oder wenige einzelne Töne der zweiten Flöte begleitet wird (Wegner 1949). Die von Griechen und Römern mitunter verwendete Mundbinde, die Phorbeia (lat. capistrum), die das Spielen erleichtern und einer „Entstellung“ des Gesichts entgegenwirken sollte, fehlt bei den spanischen Darstellungen.

Über das lebendige Musikbrauchtum sagen diese Zeugnisse freilich wenig aus. - Wurden mit dem neuen Instrument auch die Kenntnisse von Bau, Akustik und Spielweise übernommen? In welchem Kontext wurde es gespielt, und von wem? Hier sind viele Antworten denkbar - nachweisbar ist keine. Nur eines läßt sich mit großer Sicherheit sagen: Der Aulos war ein Instrument mit primär schrillem und scharfem Ton, das als orgiastisch galt. Es war laut und erklang zweistimmig (Thiemer 1979), ein Instrument für besinnliche oder romantische Stunden war es gewiß nicht.

Als Herkunftsregion des antiken Doppelaulos gilt heute Kleinasien (Thiemer 1979). Fraglich ist jedoch, ob bei simplen Konstruktionen wie Schwirrhölzern, Flöten und eben diesen einfachen Oboeninstrumenten überhaupt von einem einzigen Entstehungszentrum ausgegangen werden muß, oder ob man nicht eher voneinander unabhängige Entwicklungen in verschiedenen Regionen / Kulturen postulieren soll. Auch den griechischen und etruskischen Instrumenten schreibt man einen kleinasiatischen Ursprung zu, obwohl man annimmt, daß es durchaus schon vor Einführung des Doppelaulos einheimische einfache (nicht in der Zweizahl gespielte) Oboeninstrumente gegeben hat. In Spanien wird der Doppelaulos nahezu zeitgleich mit seinem Auftreten im antiken Hellas (ca. 700 v.Chr.) faßbar. Nach momentanem Quellenstand kennt man weder mögliche einheimische Vorläufer dieser Instrumente, noch ist ein Nachleben des Typs im Detail nachvollziehbar, obwohl Doppelrohrblattinstrumente (nicht in Zweizahl gespielt) ein verbreitetes Element in der Volksmusik der zirkummediterranen Region sind und in großer Vielfalt gebaut werden.

Leier

Als „Urform“ aller Saiteninstrumente (Chordophone) gilt der einfache Musikbogen. Er besteht aus einem biegsamen Holzstab, um dessen Enden ein Stück Darm oder eine Schnur gezogen ist, die so den Stab zum Bogen spannt. Mit einem kleinen Stab angeschlagen oder mit den Fingern gezupft, werden surrend-schnarrende Laute hervorgebracht, die durch einen am Bogen angebrachten Resonanzkörper, z.B. eine getrocknete Kalebasse, extrem verstärkt werden können. Eine denkbar einfache Konstruktion also - wesentlich mehr Bauelemente besitzt auch eine moderne Akustikgitarre nicht. Da der Musikbogen von einem simplen Jagdbogen kaum zu unterscheiden ist, wurde vielfach spekuliert, welche Funktion wohl zuerst konzipiert war: Jagd oder Musik. Auch wenn diese Frage nicht letztgültig beantwortet werden kann, und man überdies auch einen Jagdbogen zum Klingen bringen kann, so läßt sich doch für das Bauprinzip als solches ein sehr hohes Alter annehmen. Möchte man gar der Interpretation von A. Buchner folgen, läßt sich der Gegenstand, den der „Schamane“ in der Höhle Les Trois Frères (Ariège, Frankreich) in seiner Hand hält, als Musikbogen deuten, womit die Wurzeln unserer heutigen Saiteninstrumente auf ca. 15 000 Jahre v.Chr. zurückgeführt werden könnten (Buchner 1985).

Die Weiterentwicklung vom einfachen Bogen zum komplexen modernen Saiteninstrument hat die unterschiedlichsten Typen hervorgebracht, von denen die meisten aber nur über eine begrenzte Zeitspanne hinweg in Gebrauch waren, so auch die in der Antike überaus beliebte Leier.

Sie bestand aus einem mit Haut bespannten Resonanzkörper aus Holz, oder wie bei der berühmten Chelys (gr. chélys = Schildkröte) aus einem Schildkrötenpanzer, zwei Jocharmen und einem dazwischen verlaufenden Querjoch. Die Bespannung verlief parallel zur Resonanzdecke zwischen Querjoch und Resonanzkörper, und wurde mit den Fingern gezupft oder mit einem Plektron angerissen und so zum Klingen gebracht. Ein Griffbrett, wie es Saiteninstrumente heute gewöhnlich besitzen, gab es nicht. Zupfte die eine Hand die Saiten, konnte die andere die Saiten durch Druck abdämpfen oder durch sanftes Berühren verkürzen, so daß die entsprechende Saite höher erklang.

Im Ostmittelmeergebiet und dem Vorderen Orient läßt sich die Geschichte der Leier bis ins 3. Jahrtausend v.Chr. zurückverfolgen (Rashid 1984, Hickmann 1961). Mit ihrer großen Zahl archäologischer Belege, darunter auch einige Originalinstrumente (Ägypten, Mesopotamien), gehört die Leier zu den am besten dokumentierten antiken Saiteninstrumenten. Sie wurde im Verlauf ihrer Weiterentwicklung sowohl in ihrer äußeren Form als auch mit ihrer Besaitung den jeweiligen musikalischen Bedürfnissen angepaßt.

Die Leier wird gern als Sinnbild antiker Musikkultur betrachtet, da sie ein hochentwickeltes Musikinstrument war, das sogar diversen Göttern als Attribut zugeordnet wurde. Sie war als Instrument für die Musikerziehung ebenso geschätzt wie als Begleitinstrument zu Gesang und Rezitation. Ein Instrument also, das man im prähistorischen, barbarischen Europa nicht unbedingt erwarten würde. Dennoch taucht die Leier im ersten Jahrtausend v.Chr. auch außerhalb der Hochkulturen auf, vielfach belegt im Osthallstattkreis (Reichenberger 1985), auf keltischen Münzen und in der Situlenkunst (Homo-Lechner & Vendries 1993, Schuster 1991).

In Spanien wird die Leier erstmals auf gravierten Grabstelen aus Zaragoza, Badajoz und Cáceres faßbar (Bronce Final ca. 8.Jhdt v.Chr.) und taucht später in der figuralen iberischen Vasenmalerei des 4. Jahrhunderts v.Chr aus El Cigarralejo wieder auf (Schuster 1993). Die Darstellung auf dem Vasenfragment aus El Cigarralejo ist für Spanien die einzige Überlieferung einer szenischen Darstellung, aus der man die Spielhaltung für das Instrument ersehen kann. Dargestellt ist ein Zug von Kriegern, die zu Doppelaulos- und Leiermusik marschieren. Die Leier zeigt die herkömmliche Konstruktion aus rundem Resonanzkörper, Jocharmen, Querjoch und einer Bespannung mit vier gleichlangen Saiten. Im homerischen Griechenland waren solche viersaitigen Leiern auch als Phorminx bekannt, weswegen das spanische Instrument gern diesem Typ zugeordnet wird, obwohl es wesentlich jünger ist und bereits im 7. vorchristlichen Jahrhundert Leiern mit sieben Saiten gebaut wurden, die die Phorminx ersetzten.

Eine überaus bemerkenswerte Leierdarstellung der prähistorischen Instrumentengeschichte zeigt eine Gravur auf einer Grabstele aus Luna (Zaragoza). Sie wird in das 8. Jahrhundert v.Chr. datiert und ist damit ein Zeitgenosse der homerischen Phorminx. Proportionen, Bau- und Verzierungselemente sind datailliert ausgearbeitet. Sehr gut ist auch die Kompositbauweise an den Schnittstellen von Querjoch und Jocharmen zu erkennen. Sogar der Saitenhalter ist deutlich abgehoben. Üblicherweise liegt die Anzahl der Saiten antiker Leiern zwischen vier und fünfzehn, womit die große Saitenzahl von fünfzehn also nicht ohne Parallelen ist. Außergewöhnlich ist aber deren Anordnung: Neben den neun „regulären“ Saiten, die zwischen Saitenhalter und Querjoch verlaufen, sind zu beiden Seiten je drei längere Saiten aufgezogen. Möglicherweise waren diese als Bordunsaiten mit tieferer Stimmung vorgesehen. Parallelen zu diesem Instrument sind bislang nicht bekannt.

Wie der Aulos scheint auch die Leier auf der Iberischen Halbinsel ohne einheimische Vorläufer zu sein, und ebenso gibt es auch von diesem Instrumententyp keine Originale. Die Leier taucht in der Ikonographie über einen Zeitraum von ca. 500 Jahren auf und scheint ohne „Nachleben“ wieder zu verschwinden. Die überaus formenreichen Saiteninstrumente, wie sie heute in Spanien und Portugal gebräuchlich sind, lassen sich wohl eher auf arabische Bautradition als auf die Weiterentwicklung der prähistorischen Leiern zurückführen.

Schluß

Verglichen mit den reichhaltigen musikarchäologischen Hinterlassenschaften aus dem Bereich der alten Hochkulturen sind die Nachweise für das prähistorische Musikschaffen auf der Iberischen Halbinsel eher bescheiden. Die Belege streuen zwar über einen Zeitraum von ca. 60 000 Jahren, aber große Intervalle (Neolithikum) sind bislang fundleer (Schuster 1993). Originalinstrumente, die insbesondere aus dem pharaonischen Ägypten erhalten sind, gibt es hier nur vereinzelt; schriftliche Quellen zu Instrumentenbau und Musiktheorie fehlen gänzlich. Mit Doppelaulos und Leier begegnen uns zwei Instrumententypen, die in der Antike im Bereich der Hochkulturen weit verbreitet waren. Ihr Auftreten auf der Iberischen Halbinsel läßt sich durchaus auf den Kontakt mit den Handelspartnern im Ostmittelmeer zurückführen und kann deshalb eigentlich nicht verwundern. Es ist mehr als eine Vermutung, daß mit Handelsherren und Gütern auch einige Bräuche der Fremden bei den Einheimischen auf Sympathie stießen und übernommen wurden: In der Architektur und Kleinkunst fand dies als „Período Orientalizante“ ihren sichtbaren Niederschlag (Almagro Gorbea 1977).

Literatur

  • ALMAGRO GORBEA, Martin, El Bronce Final y el Período Orientalizante en Extremadura (Madrid 1977).
  • BECKER, Heinz, Zur Entwicklungsgeschichte der antiken und mittelalterlichen Rohrblattinstrumente (Hamburg 1966).
  • BUCHNER, Alexander, Handbuch der Musikinstrumente (Hanau 1985).
  • CUADRADO DIAZ, Emeterio, La necrópolis ibérica de „El Cigarralejo“ (Mula, Murcia) (Madrid 1987).
  • HICKMANN, Hans, Ägypten. Musikgeschichte in Bildern II,1 (Leipzig 1961).
  • NEUBECKER, Annemarie Jeanette, Altgriechische Musik. Eine Einführung (Darmstadt 1977).
  • HOMO-LECHNER, Catherine & VENDRIES, Christophe, Le carnyx et la lyre. Archéologie musicale en Gaule Celtique et Romaine; Katalog zur Ausstellung in Besançon - Orléans - Evreux ( Besançon 1993)
  • RASHID, Subhi Anwar, Mesopotamien. Musikgeschichte in Bildern II,2 (Leipzig 1984)
  • REICHENBERGER, Alfred, Der Leierspieler im Bild der Hallstattzeit. Archäologisches Korrespondenzblatt 15, 1985, 325-333.
  • SCHUSTER, Sabine, Musikinstrumente in der Situlenkunst. In: Festschrift für Wilhelm Schüle zum 60. Geburtstag. Internationale Archäologie 1 (Buch am Erlbach 1991) 311-322.
  • SCHUSTER, Sabine, Die prähistorischen Musikinstrumente Spaniens (Diss. Freiburg 1993).
  • THIEMER, Hannelore, Der Einfluß der Phryger auf die altgriechische Musik (Bonn - Bad Godesberg 1979).
  • WEGNER, Max, Griechenland. Musikgeschichte in Bildern II,4 (Leipzig 1963).