Begünstigten Klimaveränderungen Pandemien in der Antike?

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Pandemien? In einer jetzt erschienenen Studie bringen Forschende vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen und der University of Oklahoma (USA) Veränderungen in Temperatur und Niederschlage mit Pandemien in Verbindung. Dafür haben sie anhand von Ablagerungen am Ozeanboden zum ersten Mal ein hochauflösendes Klimaarchiv für den Golf von Tarent (Italien) erstellt und mit Pandemien im römischen Reich abgeglichen.

Bergung des Sedimentkerns mit dem Schwerelot im Golf von Tarent
Mit dem Schwerelot haben die Forschenden den Sedimentkern im Golf von Tarent geborgen. Foto: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen

Die Forschenden haben für ihre Studie Temperaturen und Niederschlag für die Zeit von 200 vor bis 600 nach unserer Zeitrechnung rekonstruiert, und zwar mit einer Auflösung von drei Jahren. Das bedeutet, dass zwei Datenpunkte eine Zeit von drei Jahren abdecken – für Paläoklimaforschende ist das extrem hochauflösend. Der Zeitraum erstreckt sich vom so genannten Römischen Klimaoptimum bis zur spätantiken Kleinen Eiszeit. In diese Zeit fallen auch drei große Pandemien, die durch Aufzeichnungen bekannt sind: die Antoninische Pest (etwa circa 165 bis 180 nach unserer Zeitrechnung), die Cyprianische Pest (etwa 251 bis 266) und die Justinianische Pest (ab etwa 540).

Jede dieser Pandemien folgte auf eine Klimaveränderung: Die Antoninische Pest trat während eines Kälteeinbruchs auf, der auf mehrere Jahrzehnte der Abkühlung und Trockenheit folgte. Die Cyprianische Pest fällt mit einer zweiten Phase starker Abkühlung zusammen. Die Justinianische Pest schließlich folgt auf eine extreme Abkühlung im 6. Jahrhundert. "Es gab immer eine Parallele", erläutert Erstautorin Prof. Karin Zonneveld vom MARUM und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen. "Nach einer Phase der Klimaänderung folgte ein Pandemieausbruch."

Um vergangene Temperatur und Niederschlagsmuster zu rekonstruieren, haben Zonneveld und ihre Kolleginnen und Kollegen so genannte Dinoflagellaten genutzt. Die Einzeller leben im sonnenbeschienenen oberen Teil des Meeres und bilden Zysten, die sich als Fossilen im Ozeanboden ablagern. Dinoflagellaten haben unterschiedliche Vorlieben für ihre Umgebung, wobei einige nur in kälteren, andere nur in wärmeren Gewässern leben. Einige bevorzugen Gewässer mit vielen Nährstoffen, während andere nur in sehr sauberen, nährstoffarmen Gewässern leben können, erklärt Zonneveld. "Wenn sich die Bedingungen in den oberen Gewässern ändern, ändert sich auch die Zusammensetzung der Zystenarten, die sich auf dem Meeresboden ansammeln." So entsteht ein sehr hochaufgelöstes Archiv, das weiter zurückreicht als zum Beispiel Baumringe in dieser Region.

Die Proben wurden einem Kern entnommen, der vom Golf von Tarent stammt. In Süditalien brechen und brachen Vulkane regelmäßig aus – prominentestes Beispiel ist der Ausbruch des Vesuvs 79 nach unserer Zeitrechnung, der Pompeji zerstörte. Die dabei ausgestoßene Asche steigt in die Atmosphäre, rieselt auf das Wasser nieder und sinkt anschließend zum Meeresboden. Dort bleibt sie in einer dünnen Ascheschicht, die sogenannte Kryptotephra, erhalten. "Vulkanische Asche enthält viele kleine Glaspartikel, die man mit dem Polarisationsmikroskop leicht erkennen kann", erklärt Karin Zonneveld. "Die elementare Zusammensetzung der Glaspartikel in der Asche jedes Vulkans ist einzigartig ist und kann sogar bei einzelnen Ausbrüchen desselben Vulkans unterschiedlich sein. Mit Hilfe von winzigen Nadeln konnten wir in Zusammenarbeit mit dem Bremer Vulkanologen Andreas Klügel einzelne Glasscherben herauspicken und ihre elementare Zusammensetzung analysieren." So konnten die Ablagerungen exakt mit Vulkanausbrücken des Vesuvs und von Vulkanen auf der Insel Lipari in Verbindung gebracht und die Ablagerungen datiert werden.

Für das fehlende Puzzlestück brachte ein Zufall Zonneveld mit ihrem Co-Autor, dem Historiker Prof. Kyle Harper von der University of Oklahoma (USA) zusammen. Auch er vermutete schon lange einen kausalen Zusammenhang zwischen Klima und Pandemien. Gemeinsam war eine exakte Datierung und der Abgleich von Klima- und Wetterdaten sowie die Glaspartikelanalysen mit historischen Ereignissen möglich.

Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass klimabedingter Stress einen Pandemieausbruch auslösen oder Krankheitsausbrüche verstärken könnte – etwa, weil Nahrung knapp ist oder die Menschen anfälliger sind. Für die Zukunft könnte das wichtige Informationen bergen, sind sich Harper und Zonneveld einig: "Wir haben zwar im Moment eine völlig andere Gesellschaft als in der Antike, vor allem wegen der modernen Wissenschaft und alles, was damit zusammenhängt – Keimtheorie, Antibiotika, Impfstoffe, sauberes Wasser. Aber es gibt auch Parallelen. Ähnlich wie in der Römerzeit ist das Klima immer noch ein wichtiger Faktor, der sich auf grundlegende Aspekte auswirkt, die unser Wohlergehen beeinflussen. Dazu gehören Landwirtschaft, Zugang zu sauberem Wasser, biologische Vielfalt, geografische Verteilung und Migration von Organismen. Die Widerstandsfähigkeit antiker Gesellschaften gegenüber dem Klimawandel zu untersuchen und zu erforschen, wie Klimawandel und das Auftreten von Infektionskrankheiten zusammenhängen, könnte uns einen besseren Einblick geben in die durch den Klimawandel bedingten Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen."

Publikation

Karin Zonneveld, Kyle Harper, Andreas Klügel, Liang Chen, Gert De Lange and Gerard J. M. Versteegh

Climate change, society, and pandemic disease in Roman Italy between 200 BCE and 600 CE

Science Advances. 26.1.2024
DOI: 10.1126/sciadv.adk1033

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