Steinzeitliche Parallelgesellschaften

Jäger-Sammler und eingewanderte Ackerbauern lebten 2.000 Jahre lang gemeinsam in Mitteleuropa.

Im Rahmen einer heute im Wissenschaftsmagazin »Science« veröffentlichten Studie haben Mainzer Paläoanthropologen DNA-Analysen an Menschenknochen aus der Blätterhöhle in Hagen untersucht, wo beide Gruppen ihre Toten bestatteten.

Palaeogenetisches Forschen in ultrareinen Laboren in Mainz (Foto/©: Thomas Hartmann, JGU)

Einheimische Jäger und Sammler sowie eingewanderte Ackerbauern lebten mehr als 2.000 Jahre lang gleichzeitig in Mitteleuropa, bis die Jäger- und Sammlergemeinschaften verschwanden oder sich der bäuerlichen Lebensweise anschlossen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Institut für Anthropologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erstellt und im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht wurde. Das Team um Univ.-Prof. Dr. Joachim Burger hat dazu Knochenfunde aus der Blätterhöhle in Hagen untersucht, wo sowohl Wildbeuter als auch Bauern bestattet wurden. »Gemeinhin wird angenommen, dass die mitteleuropäischen Jäger und Sammler recht bald nach der Ankunft der Ackerbauern verschwunden seien. Tatsächlich behielten die Nachfahren der mittelsteinzeitlichen Menschen ihre Lebensweise als Jäger und Sammler noch mindestens 2.000 Jahre lang bei und lebten parallel zu den eingewanderten Bauern«, erklärt die Erstautorin der Studie, Dr. Ruth Bollongino. »Der Lebensstil der Jäger und Sammler ist in Mitteleuropa also erst nach 5.000 Jahren vor heute ausgestorben.«

Zum Ende der letzten Eiszeit und dem Beginn der heutigen Warmzeit vor etwa 10.000 Jahren lebten in Europa die Nachfahren der ersten anatomisch modernen Menschen. Sie ernährten sich von der Jagd und dem Sammeln wilder Gräser, Früchte und Knollen. Erste Anzeichen einer bäuerlichen, sesshaften Lebensweise in Mitteleuropa sind etwa 7.500 Jahre alt. Das Team um den Mainzer Anthropologen Joachim Burger hat in den letzten Jahren mit populationsgenetischen Studien anhand alter DNA aus Skeletten nachgewiesen, dass die ersten Ackerbauern Mitteleuropas nicht die Nachfahren der Jäger und Sammler, sondern Einwanderer waren.

Wie sich in der Folge das Verhältnis zwischen bäuerlichen Immigranten und lokalen Wildbeutern gestaltete, war bislang kaum erforscht. Die Mainzer Anthropologen haben nun festgestellt, dass sich die Wildbeuter in unmittelbarer Nähe zu Ackerbauern aufhielten, über Jahrtausende Kontakt mit ihnen hatten und in der gleichen Höhle ihre Toten bestatteten. Der Kontakt blieb nicht folgenlos, denn Jäger-Sammler-Frauen heirateten bisweilen in die Bauerngesellschaften ein, während sich keine genetischen Linien der Bauernfrauen bei den Jäger-Sammlern finden. »Dieses Heiratsmuster ist aus vielen ethnographischen Studien bekannt. Bauernfrauen empfinden die Einheirat in Wildbeutergruppen als sozialen Abstieg, wohl auch weil die Geburtenrate bei Bauern höher ist«, fügt Joachim Burger hinzu.

Sein Team für Palaeogenetik ist eines der weltweit führenden auf dem Gebiet. Es hat für die jetzt veröffentlichte Studie die DNA aus Knochen der Blätterhöhle in Westfalen untersucht. Die Höhle wird von dem Berliner Archäologen Jörg Orschiedt ausgegraben und ist eine der seltenen Belege der Anwesenheit von Wildbeutern über einen Zeitraum von 5.000 Jahren.

Lange konnten sich die Mainzer Forscher keinen Reim auf die genetischen Befunde machen. »Erst durch die Isotopenanalysen unserer kanadischen Kollegen fügte sich das Puzzle zusammen«, so Bollongino. Demgemäß lebten die Jäger-Sammler mit einer sehr spezialisierten, unter anderem auf Fisch basierenden Ernährung bis vor etwa 5.000 Jahren in Mittel- und Nordeuropa fort.

Auch der Frage, welchen Einfluss beide Gruppen auf den Genpool der heutigen Europäer hatten, ging das Team nach. Adam Powell, Mathematiker und Spezialist für demographische Modellierungen am Institut für Anthropologie der JGU, erklärt hierzu: »Während weder Jäger-Sammler noch Ackerbauern als alleinige Vorfahren heutiger Europäer anzusehen sind, sind es die Mischpopulationen aus beiden, die potenziell die direkten Vorfahren heutiger Mitteleuropäer darstellen.«

Der Lebensstil des Jagens und Sammelns stirbt in Mitteleuropa also erst nach 5.000 Jahren vor heute aus. Ackerbau und Viehzucht dominieren als Wirtschaftsweise die nächsten Jahrtausende. Einige der vor- und frühgeschichtlichen Bauern haben jedoch Wildbeuter als Vorfahren und so finden sich Jäger-Sammler-Gene auch in heutigen Mitteleuropäern.

 

Publikation

Ruth Bollongino et al.
2000 Years of Parallel Societies in Stone Age Central Europe
Science online, 10.10.2013
DOI: 10.1126/science.1245049

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