Münstersche Wissenschaftler erforschten frühchristliche Bauten

Als der frühchristliche Archäologe Prof. Dr. Dieter Korol 1978 das erste Mal ins italienische Cimitile kam, boten die frühchristlichen und mittelalterlichen Bauten ein jämmerliches Bild: Die Gemäuer hatten sich zu einer wilden Müllkippe entwickelt, in der Schlangen und Ratten hausten. Auf Jahrtausende alten Erdschichten spielte die Dorfjugend Fußball. Kaum zu glauben, dass sich darunter wertvolle Mosaiken, prächtige Fresken und die ersten christlichen Wandmalereien außerhalb Roms befinden sollten. Erst Forschungsarbeiten münsterscher Wissenschaftler brachten sie ans Licht. Heute hoffen Korol, Direktor des Instituts für Klassische und Frühchristliche Archäologie der WWU Münster, und Dr. Tomas Lehmann von der Humboldt-Universität Berlin, dass die UNESCO das Zeugnis frühen Christentums in sein Welterbe aufnimmt. Sie unterstützen einen entsprechenden Antrag der Italiener bei der Organisation, der momentan vorbereitet wird.

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Mosaikädikula
Über dem Felixgrab fanden die Forscher Reste einer so genannten Mosaikädikula. Foto: Dr. Tomas Lehmann

Einzigartigkeit - das ist es, was die beiden Forscher in der Nekropole sofort erkannt haben: Die gut erhaltenen Malereien in Cimitile gehören zu den frühesten christlichen Darstellungen außerhalb Roms. Auch Papst Benedikt XVI. lobte bei einer Generalaudienz am 12. Dezember die besondere archäologische Bedeutung Cimitiles. Mit Korols und Lehmanns Forschungsergebnissen aus den letzten 30 Jahren haben die örtlichen Behörden den Internationalen Rat für Denkmalpflege als Gutachter hinzugezogen. Seine Vertreter prüfen zur Zeit, ob die Bauten demnächst zum Welterbe der UNESCO gehören sollen.

Die Geschichte des Ortes, der in der kampanischen Provinz bei Nola liegt, begann vor etwa 1700 Jahren mit dem Tod des Christen Felix. Beerdigt wurde er im heutigen Cimitile, was soviel wie "Friedhof" bedeutet. "Er war kein Märtyrer", betont Korol. "Aber er bekannte sich in einer Zeit zu seinem Glauben, als Christen noch verfolgt wurden." Entsprechend verehrten seine Zeitgenossen den Toten: Glaubensbrüder errichteten um 300 nach Christus ein kleines Mausoleum über seinem Grab. Nach und nach entwickelte sich die Ruhestätte zu einem bedeutendsten Pilgerorte der Spätantike. Noch heute feiern Cimitile und Nola, Felix' Geburtsort, am 14. Januar den Todestag "ihres" Heiligen. Auch im katholischen Kalender steht an diesem Tag sein Name.

Es war kein Zufall, dass etwa ein Jahrhundert später eine zentrale Figur der Kirchengeschichte nach Nola kam und in dem bis dato bescheidenen Cimitile eine prächtige Pilgerstätte errichtete: Der Schriftsteller und Ex-Konsul des Römischen Reichs Paulinus Nolanus ließ sich dort nieder. Geboren in einer aristokratischen Familie im heutigen Bordeaux, machte er zunächst eine politische Karriere und bekannte sich später zum Christentum. "Man muss ihn sich wie einen Aussteiger vorstellen", veranschaulicht Korol. Vom heiligen Felix hörte Paulinus bereits in seiner Amtszeit als Statthalter von Kampanien. Als bekehrter Christ wollte er auf Felix' Grabstätte "ein neues Jerusalem" errichten. Dass er dort etwa im Jahr 409 nach Christus Bischof wurde, kam ihm dabei zu Hilfe.

Mit seinem Tod hatte der Ort Cimitile einen Heiligen mehr. Zwar pilgerten Jahrhunderte lang Gläubige in das kleine Dorf, doch verfielen die Gebäude und ihr wertvoller Schmuck zusehends. Erst ab 1930 interessierten sich wieder Architekten für die alten Bauten. Als Korol 1978 von Cimitile hörte, war er begeistert: Denn durch Paulinus' Schriften können Archäologen nicht nur die teilweise verfallenen Gebäude rekonstruieren, sondern auch auf ihre Nutzung schließen. Ausführlich beschreibt der Dichter die Funktionen der einzelnen Räume. "Ein absoluter Glücksfall, dass so vieles archäologisch und literarisch dokumentiert ist", sagt Korol erfreut.

Neuere Ausgrabungen zeigen, dass Cimitile im sechsten Jahrhundert nach einem Ausbruch des Vesuvs mit einer zwei Meter hohen Schlammschicht bedeckt und konserviert wurde. Eine große Chance für die Wissenschaftler, denn unter den Schichten verbargen sich atemberaubende Zeugnisse aus der Spätantike. Die Wissenschaftler fanden christliche Reliefs und Reste heidnischer Bauten, die die Christen wieder verwendeten. Ein kostbarer Mamorfußboden, nahezu vollständig erhalten, trat zutage. "Vergleichbare Muster finden sich nur in Griechenland", erklärt Korol. Er und der damalige münstersche Student Lehmann datierten die so genannte "Mosaikädikula" über dem Felixgrab auf die Jahre um 510 unserer Zeitrechnung neu. Zufällig stießen sie auf die Mosaiksteinchen aus blauem und grünem Glas in der Apsis der "Basilika Nova", die von Paulinus erbaut wurde. Auch wenn verschiedene Quellen das Mosaik belegen, kannte bis dahin kein Mensch die exakte Position.

Jahrhundert um Jahrhundert ist die Pilgerstätte erweitert, umgestaltet und überbaut worden. Detektivisch ordneten Lehmann und Korol die verschiedenen Bauphasen und entdeckten hinter Mauern Relikte früherer Bauten. Hinter mittelalterlichen Steinaltären stießen die beiden mit einem kleinen Handspiegel auf unbekannte Bilder, die zu den frühesten christlichen Darstellungen gehören. Eine Mauer verdeckte Pilgergraffitis aus dem vierten Jahrhundert, die schon von der Verehrung des heiligen Felix zeugen: "Lieber Felix, rette mich", steht dort etwa geschrieben.

1992 kam Papst Johannes Paul II. in das kleine kampanische Dorf, um die Arbeit der Wissenschaftler zu verfolgen und das aufgefundene Felixgrab anzuerkennen - ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Pilgerstätte als Welterbe vorzuschlagen. "Der Papstbesuch sorgte für Furore", erinnert sich Lehmann. 2002 folgte ein Kongress mit Experten des Deutschen Archäologischen Instituts und der italienischen Kulturbehörden, nach dem einige der gut erhaltenen Fresken endlich abgenommen und restauriert wurden. Ein nötiger Schritt, denn Feuchtigkeit bedroht in den Gemäuern die wertvollen Darstellungen. "Wir haben unsere Arbeit geleistet", ist sich Lehmann sicher und fügt hinzu: "Die Maxime ist, dass Cimitile in gute konservatorische Hände kommt."