Besiedlungsreste aus Mittelalter und früher Neuzeit in Paderborn

LWL-Archäologie untersucht Baugrund in der Nähe der Stadtmauer

Derzeit untersuchen Archäologen unter Fachaufsicht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ein Grundstück nahe der mittelalterlichen Stadtmauer Paderborns. Die Bauarbeiten zum Neubau beginnen bald, zuvor haben die Experten Besiedlungsreste aus dem hohen Mittelalter und der frühen Neuzeit freilegt und dokumentiert. Nach ersten Erkenntnissen waren hier im 17. Jahrhundert Handwerker ansässig.

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Blick von oben auf das Grabungsareal, gesehen von Süden
Blick von oben auf das Grabungsareal, gesehen von Süden. (Foto: EggensteinExca / Gündchen)

"Knapp 1.800 Quadratmeter konnten wir vollständig untersuchen", so der Mitarbeiter der ausführenden Fachfirma und Grabungsleiter Robert Süße. "Da der Standort des geplanten Neubaus an der Busdorfmauer innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer liegt, waren archäologische Untersuchungen unerlässlich." Denn innerhalb des alten Stadtgrundrisses seien Reste der Bebauung zu erwarten, die Rückschlüsse über die Stadtentwicklung ermöglichen, bestätigt auch Dr. Sveva Gai, Stadtarchäologin Paderborns und Mitarbeiterin bei der LWL-Archäologie für Westfalen.

Unter dem Keller einer Schreinerei kamen nach dessen Abbruch Teile eines großen, in das 17. Jahrhundert datierten Gewölbekellers von 100 Quadratmetern Grundfläche zum Vorschein. Seine Reste sollen in Teilen in den Neubau integriert werden. Das machte eine genauere Untersuchung samt 3D-Scan notwendig, damit durch den Abbruch des restlichen Kellers keine Informationen für die Forschung verloren gehen. Eine Zeichnung Hans Josef Brands aus dem Jahr 1840 zeigt ein barockes Gebäude und die entstandene Lücke an der gleichen Stelle nach dem Abriss. Die Archäologen wissen daher, dass hier eines der letzten sogenannten Dielenhäuser Paderborns stand und kennen sogar seinen Erbauer: Kanzler Bernhard von Wiedenbrück ließ es 1650 errichten. Er ist es auch, der dem Neubau an der Busdorfmauer seinen Namen verleiht.

Dielenhäuser besaßen keine Haustür, wie wir sie heute kennen, sondern ein zentrales, zur Straße hin ausgerichtetes Dielentor. Hinter dem großen Tor befand sich ein hoher, dielenartiger Wohn- und Arbeitsraum. Dieser Haustyp wurde ab dem 16. Jahrhundert zumeist von begüterten Kaufleuten und Handwerkern bewohnt und war meist in der Nähe der Stadtbefestigungen anzutreffen. Da die Bewohner dieser Häuser oft größere Mengen Waren zu transportieren hatten, legten sie ihre Dielenhäuser mit den großen Toren, durch die auch entsprechende Wagen passten, an die Ränder der Stadt. So wurde der Verkehr in den engen Gassen des barockzeitlichen Paderborns nicht unnötig belastet.

"Das Dielenhaus ist im 19. Jahrhundert massiv umgestaltet worden: der Zugang sowie ein ergänzter Kamin wurden mehrfach verlegt, Raumunterteilungen vorgenommen und der barocke Fußboden mit Ziegeln überdeckt", sagt Grabungsleiter Süße. Ein weiteres, ebenfalls im 17. Jahrhundert entstandenes Bauwerk war ebenerdig, mit einer Grundfläche von 100 Quadratmetern. Es zeigte sich im Boden durch Fundamente und Grundmauern. 2019 wurde der gemischte Baukomplex abgerissen. Zahlreiche Hinterlassenschaften der Bewohner des Baukomplexes aus dem hohen Mittelalter bis hinein in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konnten geborgen werden.

Spuren mittelalterlicher Bebauung und der Nutzung des Areals bereits im 13. Jahrhundert fanden die Archäologen in Form von Gruben. Diese liegen unter den barocken Fundamentresten. Gruben aus barocker Zeit überlagern teilweise die älteren. Daher ist eine genaue Interpretation der einzelnen Gruben auch für den Experten nicht einfach: "Einige von ihnen dienten sicher der Lehmgewinnung. Dieser wurde als Baumaterial zum Beispiel zur Errichtung von Fachwerkgebäuden benötigt", erklärt Grabungsleiter Süße. "Die mehrfach sichtbare Überdeckung dieser Gruben mit Brandschuttschichten aus Holzkohle und verziegeltem Lehm lassen vermuten, dass die älteren Gebäude einmal einem Feuer zum Opfer gefallen sind." In Paderborns Vergangenheit gab es mehrere Stadtbrände, einen großen im Jahr 1506. Welcher Brand die hier beschriebene Brandschicht zu verantworten hat, können die Experten nicht mehr sagen. Viele Funde aus dem 13. Jahrhundert unterstützen die Annahme, dass das Areal verstärkt seit Beginn des Spätmittelalters genutzt und bewohnt wurde.

"Wie schon bei anderen Ausgrabungen nahe der mittelalterlichen Stadtbefestigung zeigte sich auch hier, dass in ihrer Nähe viele Handwerker ansässig waren", sagt Gai. "Wir können davon ausgehen, dass Teile der Fläche neben der gewerblichen Nutzung auch zur Selbstversorgung dienten. Die rückwärtigen Freiräume, die sicher einem Nutzgarten Platz boten, waren vermutlich bereits vor der Stadtbefestigung im 12. Jahrhundert umfriedet", ergänzt Süße. Die den Graben begleitenden Pfosten konnten die Archäologinnen noch im Boden nachweisen.

"Reste von Schmelzöfen und Schmiedeschlacken, die wir gefunden haben, deuten darauf hin, dass hier Metallhandwerker tätig waren", so Süße. Zudem fanden die Archäologen eine Latrine und mindestens drei Brunnen. Beim Abtragen des Bodens konnten die Experten nur in einem Fall ermitteln, wie tief die Brunnen ursprünglich waren.

Als Besonderheit stellt Gai heraus, dass das Gelände nie ganz überbaut wurde: "Nur die Bebauung entlang der Gierstraße war von den hier ansässigen Kaufleuten auch in den hinteren Parzellen mit zusätzlichen Steingebäuden entsprechend verdichtet worden." Inzwischen mussten die archäologischen Überreste weichen, eine tiefe Baugrube des Neubaus ist bereits ausgehoben. Nur ein Teil des barocken Gewölbekellers wird auch in Zukunft im neuen "Quartier von Wydenbrück" nach seiner Konservierung sichtbar bleiben.

Blick von Westen auf die Ostwand des Gewölbekellers
Blick von Westen auf die Ostwand des Gewölbekellers. Die Öffnung zeigt den in der Ostwand eingelassenen Eingang zu dem Raum, der als Kneipe genutzt wurde. (Foto: EggensteinExca /Gündchen)
Der Grubenkomplex wird durch eine einheitliche Brandschuttverfüllung aus Holzkohle und verziegeltem Lehm überlagert
Der Grubenkomplex wird durch eine einheitliche Brandschuttverfüllung aus Holzkohle und verziegeltem Lehm überlagert. Zwei Grabungsmitarbeiter beim Schneiden der Profile. (Foto: LWL/ Gai)