Die imposanten Statuen akkadischer und sumerischer Herrscher aus dem dritten Jahrtausend vor Christus kennen viele Menschen aus dem Louvre und anderen Museen. Sie sind eindrucksvolle Zeugen der mesopotamischen Stadtstaaten und Reiche der Bronzezeit. Doch die Herkunft des schwarze Diorit- und Gabbrogesteins, aus dem die Statuen gemeißelt wurden, gibt Rätsel auf. In Mesopotamien, das zum größten Teil dem Gebiet des heutigen Irak und dem Nordosten Syriens entspricht, und der näheren Umgebung gab es keinerlei passende Steinvorkommen. Folglich musste das Material über entfernte Handelspartner in die bronzezeitlichen Staaten Mesopotamiens gelangt sein. Aber mit welcher Region wurde dieser Handel getrieben? Und wie wurden die riesigen Steinblöcke nach Mesopotamien gebracht?
Ein Team von Archäologen des Sonderforschungsbereichs 1070 RessourcenKulturen der Universität Tübingen geht im Rahmen des Projekts »South-of-Jiroft Archaeological Survey« in Kooperation mit dem Iranian Center of Archaeological Research (ICAR) diesen Fragen auf den Grund. Im Südteil der iranischen Provinz Kerman – nicht weit vom Persischen Golf entfernt – hat das Team unter der gemeinsamen Leitung von Professor Peter Pfälzner und Nader Soleimani Diorit- und Gabbrovorkommen entdeckt, die dem Stein der berühmten mesopotamischen Königsstatuen entsprechen könnten. Auch mehrere Lagerstätten von Chlorit, welches zur Herstellung von Steingefäßen nach Mesopotamien und sogar bis nach Syrien importiert wurde, konnten die Forscher in der Region lokalisieren. In deren Nähe fanden sie zudem Felsritzungen und Siedlungen der Frühen Bronzezeit, die darauf hinweisen, dass diese Gesteinsvorkommen tatsächlich während der südostiranischen Jiroft-Kultur (ca. 3.000 – 2.000 v. Chr.) abgebaut und von dort in die Handelssysteme Vorderasiens eingespeist wurden. Eine der neu entdeckten Siedlungen könnte ein Abbau- und Verteilungszentrum für die wertvollen Gesteine gewesen sein. »Auf diese Weise standen die mesopotamischen und südostiranischen Hochkulturen der Frühen Bronzezeit in direktem Kontakt miteinander. Der Persische Golf dürfte als Handelsroute gedient haben«, sagt Professor Peter Pfälzner vom Institut für die Kulturen des Alten Orients der Universität Tübingen. Dies veranschauliche die herausragende Bedeutung des Binnenmeers bei der internationalen Vernetzung wichtiger Regionen, die bis in unsere heutige Zeit anhalte.
Unter der gemeinsamen Leitung von Professor Peter Pfälzner und Nader Soleimani untersuchen die Archäologen seit 2015 ein 110 mal 120 Kilometer großes Gebiet in der iranischen Provinz Kerman – am Boden und per Drohne aus der Luft. Diese Regionen südlich der iranischen Stadt Jiroft wurden bislang archäologisch kaum erforscht. Anhand der Luftaufnahmen erstellt das Team 3D-Modelle von alten Siedlungshügeln aus der Zeit der Jiroft-Kultur und vieler anderer Perioden bis hin zur islamischen Zeit. Entlang potentieller Handelsrouten, die zwischen hohen Bergmassiven zur Küste des Persischen Golfes führen, sucht das Team nach Hinweisen auf die frühbronzezeitlichen Handelsaktivitäten und Wegestationen. Bisher konnten die deutschen und iranischen Wissenschaftler bereits 42 Siedlungen kartieren und untersuchen.
Nach den Ergebnissen der ersten Geländeuntersuchung sollen die Forschungen im Iran im Februar 2016 fortgesetzt werden. Die Wissenschaftler wollen noch mehr darüber erfahren, wo die Handelswege zwischen der iranischen Jiroft-Kultur der Frühen Bronzezeit und Mesopotamien verliefen und wie sich dieser frühe Fernhandel auf die iranischen Hochkulturen des dritten Jahrtausends v. Chr. auswirkte.