Steinzeitliches Grabenwerk bei Ausgrabungen an der Bundesstraße B6n entdeckt

Bei Libehna im Landkreis Anhalt-Bitterfeld stießen Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt auf ein 30 ha großes, etwa 6.000 Jahre altes Erdwerk der Schiepziger Gruppe. Auf dem letzten Bauabschnitt der Bundesstraße 6n liegen 19 archäologische Fundstellen, die derzeit von den Mitarbeitern des Landesamtes untersucht werden. Die Ausgrabungen dauern noch bis Jahresende an.

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Erdwerk Libehna Grabungsfläche
Beim Überblick über die freigelegte Fläche sind die drei Grabenabschnitte des Erdwerkes als helle Verfärbungen gut zu erkennen. Foto © LDA Sachsen-Anhalt

Während die ersten Ackerbauern und Siedler vor 7.500 Jahren noch östlich der kleinen Talniederung bei Libehna ihre Häuser errichteten, machte dort schon 1.500 Jahre später der zunehmend ansteigende Grundwasserspiegel das Wohnen immer unwirtlicher. Am Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. entstand bei Libehna ein sogenanntes Erdwerk. Drei konzentrisch ineinander gestaffelte Wall-/Grabensysteme sicherten eine fast kreisrunde Innenfläche von 20 Hektar ab. Die einzelnen Gräben liegen im Abstand von ca. 6 Metern zueinander. Die landwirtschaftliche Tätigkeit der letzten Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte hat diese zwar vollkommen eingeebnet, doch sind sie unterhalb des Beackerungshorizontes noch bis zu einem Meter tief erhalten. Funde – entweder zufällig hineingeworfener Abfall oder bewusste Niederlegungen – sind bislang noch nicht bekannt.

Unmittelbar benachbart zu den Gräben und auf diese Bezug nehmend, fanden sich Gruben der sogenannten Schiepziger Gruppe. Namen gebend für diese archäologische Kultur ist ein Ortsteil von Salzmünde, wo die im Zuge des geplanten Autobahnbaus A143 vorgeschalteten Ausgrabungen von 2005–2007 diese jungsteinzeitliche Kulturstufe (ca. 4.100–3.900 v. Chr.) erstmals klar erkannt und benannt worden ist. Mit der Fundstelle Salzmünde vergleichbar sind die bei Libehna dokumentierten Speichergruben, welche ähnlich wie die Salzmünder Scherbenpackungsgräber mit einer Unzahl von Keramikbruchstücken verfüllt worden waren. Die auf den Sohlen der Libehnaer Gruben freigelegten Knochen weisen in ihrer Zusammensetzung erste Ähnlichkeiten mit den Funden rund um das Erdwerk von Salzmünde auf.

Sollte auch das Erdwerk von Libehna nicht als reines Bollwerk gegen mögliche feindliche Übergriffe errichtet worden sein, sondern durch sein Erscheinungsbild die Macht seiner Besitzer ausstrahlen? Die Ausmaße und seine exponierte Lage – eine schwache Erhebung in der ansonsten ebenen Landschaft – könnten hiervon Zeugnis ablegen. Ganze 30 Hektar Grundfläche nahm hier das vor 6.000 Jahren errichtete Erdwerk in Anspruch; der äußere Graben maß in seiner Gesamtlänge sogar fast 700 Meter. Heute ist die vormals wohl ausgeprägtere Erhebung nur noch anhand der fast mittig gelegenen, noch immer genutzten viergliedrigen Wegespinne erkennbar, welche nicht am Reißbrett geplant, sondern durch alte Gegebenheiten entstanden war. Bezeichnenderweise verläuft auch heute der Europäische Fernwanderweg E11, ein rund 2.500 km langer West-Ost-Weg, beginnend bei Den Haag in Westeuropa und endend in den polnischen Masuren in Osteuropa, exakt durch das steinzeitliche Grabenwerk.

Die Schiepziger Gruppe (ca. 4.100–3.900 v. Chr.) ist bislang noch kaum erforscht; nur wenige Fundplätze sind bekannt. Umso größere Bedeutung kommt dem Erdwerk von Libehna zu, das nicht nur eine Überleitung zu dem von Erdwerken charakterisierten mittelneolithischen Mitteldeutschland aufzeigt, sondern auch vermuten läßt, dass die später in Salzmünde praktizierten Riten schon fast ein Jahrtausend früher für die Region prägend waren.

Dass der Geländerücken niemals an Bedeutung verlor, zeigen beispielsweise während der späten Bronzezeit angelegte Häuser, riesige Felder von Vorratsgruben und zahlreiche Bestattungsstellen. Vorherrschend war damals um 1.000 v. Chr. die Brandbestattung.

Speichergrube Schiepziger Gruppe
Speichergrube der Schiepziger Gruppe (ca. 4.100-3.900 v. Chr.). In der Verfüllung wechseln sich Schichten zerscherbter Keramik und Hüttenlehm ab. Foto © LDA Sachsen-Anhalt