Neue Baubefunde aus der Zeit Luthers in Eisleben

Ausgrabungen im Augustiner-Eremitenkloster an der Pfarrkirche St. Annen in Eisleben brachten überraschende Erkenntnisse zur vor- und frühreformatorischen Bau­geschichte der Klosters, das mehrfach von Martin Luther als zuständigem Distriktsvikar besucht und bereits 1523 zur ersten evangelischen Kirche im Mansfelder Land umgewandelt worden war.

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Ausgrabung St. Annen
Überblick über die Ausgrabung im ehem. Klausurgebäude mit Kreuzgangmauer, Arkaden und zugesetztem Eingang zum Kreuzgang Foto: Ulf Petzschmann © LDA Sachsen-Anhalt

Im Zusammenhang mit dem Umbau und der Sanierung des ehemaligen Augustiner-Eremitenklosters an der Pfarrkirche St. Annen in Eisleben führte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt seit 2007 baugeschichtliche Untersuchungen sowie, vertreten durch den Anhaltischen Förderverein für Naturkunde und Geschichte, Anfang 2013 archäologische Ausgrabungen im ehemaligen Klostergebäude durch. Diese erbrachten überraschende Erkenntnisse zur vor- und frühreformatorischen Baugeschichte der Klosters, das mehrfach von Martin Luther als zuständigem Distriktsvikar besucht und bereits 1523 zur ersten evangelischen Kirche im Mansfelder Land umgewandelt worden war.

Nachdem die Pfarrkirche St. Annen am 16. Juli 1515 an den Orden der Augustinereremiten übergeben worden war, muss bald darauf mit dem Bau des Klostergebäudes begonnen worden sein: 2007 ergaben bauhistorische Untersuchungen im Dachstuhl des Gebäudes, dass dieser vollständig in einer einheitlichen Baumaßnahme in der ersten Jahreshälfte 1516 errichtet wurde. Nicht zuletzt lieferten diese Untersuchungen den Beweis dafür, dass die Mönchszellen im Dachgeschoss des Gebäudes aus der Zeit Luthers stammen und damit die einzigen bisher bekannten originalen Mönchszellen aus der Lutherzeit darstellen.

Im Zuge der archäologischen Untersuchungen, die im Februar 2013 im ehemaligen Klostergebäude durchgeführt wurden, kamen unter dem Fußboden des heutigen Gemeindesaales bedeutende bauliche Reste aus der Gründungszeit des Klosters zutage. Sie bezeugen, dass während des Baus des Klostergebäudes zwischen Juli 1515 und Frühjahr 1516 eine bemerkenswerte Planänderung stattfand.

Bei Baubeginn, wohl bereits ab Juli 1515, wurde an die bereits vorhandene Südwand eines geplanten Querhauses der Kirche ein Klausurflügel angefügt. Während dessen West-, Ost- und Südwand mit den heutigen Wänden identisch sind, zeigen die Überreste von insgesamt 10 Wandsäulen (Basen und Teile der aufgehenden Säulenschäfte), dass hier zunächst mit dem Bau eines großen, einheitlich überwölbten Raumes begonnen wurde. Nach Westen hin entstanden vier große Arkadenbögen. Nichts weist darauf hin, dass ein Kreuzgang geplant war. Die Größe des Raums, das geplante Netzgewölbe sowie die vier großen Arkadenbögen zum Hof hin belegen, dass hier ein äußerst repräsentativer »Konventbau« entstehen sollte.

Nachdem bereits eine Bauhöhe von ca. 1,3 m erreicht worden war, wurden die begonnenen Planungen aufgegeben. Das Areal wurde verfüllt und das Fußbodenniveau bis auf die genannte Höhe angehoben. Die bereits vorhandenen Säulenschäfte wurden teilweise abgeschlagen bzw. verkürzt oder schlossen bündig mit der Fundamentobergrenze ab. Der große, einheitlich überwölbte Raum wurde aufgegeben. Unter Weiternutzung der Außenmauern und Verwendung der vier hofseitigen Arkadenbögen wurde ein innenliegender Kreuzgang eingebaut, dessen gemauertes, mit - um Steine zu sparen - insgesamt drei Entlastungsbögen versehenes Fundament durch die Grabungen nachgewiesen werden konnte. Hierauf ruhte eine Fachwerkwand, die Öffnung zum Hof hin bildeten die vier Arkadenbögen. Insgesamt erfolgte der Weiterbau des Gebäudes in schlichterer Form ohne Wölbungen im Erd- und Obergeschoss. Im Obergeschoss, dessen Grundriss den im Erdgeschoss vorgegebenen Raumstrukturen folgt, finden sich vier ebenfalls aus der Bauzeit stammende Räume, von denen zwei anspruchsvoll ausgestattet und als hölzerne Bohlenstuben mit reicher Verzierung der Deckenhölzer hervorgehoben sind.

Bereits zu Beginn des Jahres 1523 scheinen die meisten Mönche das Kloster verlassen zu haben. So ist belegt, das Caspar Güttel, der Prior des Klosters und guter Freund Luthers, mit seinen Predigten in der Hauptkirche die Reformation in Eisleben einläutete. Im Klostergebäude wurde ein Diakonat eingerichtet, wobei sich im Obergeschoss die Wohnung des Lehrers oder Küsters, und darunter im Erdgeschoss die Schulräume befanden. Über den Zeitraum, in den die bedeutende, erst durch die archäologischen Ausgrabungen bekannt gewordene Planänderung im Erdgeschoss des Gebäudes zu setzen sind, geben neben dem Gründungsdatum des Klosters die Untersuchungen am Dachwerk des Gebäudes Aufschluss, dessen Hölzer im Winter 1515/16 gefällt und im Frühjahr 1516 verbaut wurden. Sie muss demnach im Zuge der Errichtung des Gebäudes, das im Frühjahr/Frühsommer 1516 fertig gestellt wurde, eingetreten sein. Zusammenfassend ist das Gebäude gegenüber den ursprünglichen Planungen deutlich bescheidener ausgeführt worden. Die Ursache für diese Planänderung ist nicht eindeutig zu bestimmen. Möglicherweise lagen architektonisch gewandelte Ansprüche vor, die nunmehr eine Balkendecke vorsahen. Eine solche konnte vielleicht auch schneller und mit weniger zeitlichem und finanziellem Aufwand hergestellt werden. Möglicherweise waren auch durch die Lage am Hang verursachte Grundwasserprobleme ausschlaggebend, die zum Ausweichen auf ein höheres Fußbodenniveau geführt haben könnten. Eine weitere, eher inhaltlichtheologisch begründete Erklärungsmöglichkeit liegt in der Beobachtung, dass sich der Konvent in Eisleben ein Jahr vor Luthers Reformation offensichtlich bemühte, seinen Klosterneubau in bescheideneren Ausmaßen zu errichten, ohne ahnen zu können, dass wenige Jahre später mit der Auflösung des Klosters und der Einrichtung der ersten evangelischen Schule im Mansfelder Land 1523 auch die schlichter ausgebauten Räume ihre Funktion verlieren würden. Durch die archäologischen und baugeschichtlichen Untersuchungen der letzten Jahre wird gerade diese ordensspezifisch und zugleich baugeschichtlich äußerst interessante Umbruchzeit ab 1516 eindrücklich veranschaulicht und verständlich. Das Klausurgebäude der Augustiner-Eremiten wird so gewissermaßen zum Bindeglied zwischen dem katholischen Renaissancekloster und den unmittelbar anschließenden frühreformatorischen Umbauten. Es stellt ein einmaliges bauliches Zeugnis dieser Epoche dar, in dem sich zudem der spätere Reformator Martin Luther mehrfach aufhielt.

Die archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen im ehemaligen Augustiner-Eremitenkloster St. Annen in Eisleben erfolgten in enger Kooperation mit der ev. Kirchengemeinde St. Annen sowie dem Sanierung und Umbau ausführenden Architekturbüro Kowalski & Irmisch aus Halle. Mit Unterstützung des Bundes, des Landes Sachsen-Anhalt und der Evangelischen Kirche soll das Klostergebäude in den nächsten Jahren zum Gemeindezentrum der Pfarrkirche St. Annen ausgebaut werden. Zusammen mit Kirche und Pfarrhaus soll damit ein weiteres lebendiges Zentrum evangelischen Wirkens in Eisleben entstehen, das basierend auf seiner langen historischen Tradition und den herausragenden originalen Befunden aus der Zeit Martin Luthers vom andauernden Wirken des Reformators bis in die heutige Zeit künden kann.

Kreuzgangmauer
Fundament der Kreuzgangmauer mit Entlastungsböden. Foto: Ulf Petzschmann © LDA Sachsen-Anhalt
Steinmetzzeichen
Eines von zahlreichen Steinmetzzeichen auf Säulenabschnitten und -basen. Foto: Ulf Petzschmann © LDA Sachsen-Anhalt