Ein Heiliger für zwei Gotteshäuser

Ausgrabungen in der christlich-muslimischen Ruinenstadt Resafa (N-Syrien) werden noch bis 2011 unter Leitung der Berliner TU-Professorin Dorothée Sack fortgesetzt.

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Vermessungsarbeiten in Resafa, Syrien
Wissenschaftler vermessen das Gelände in und außerhalb Resafas. Im Hintergrund die zwei Kilometer lange und bis zu zehn Meter hohe Stadtmauer. © TU Berlin/Gussone

Es war keine Fata Morgana, sondern ein leibhaftiges Kamel, das vor einem Jahr gemächlich durch Berlin trabte. Zwischen den beiden Höckern saß Dorothée Sack und ließ sich im Rhythmus des Passganges sanft hin- und herschaukeln. Der Kamelritt über die Straße des 17. Juni in Berlin war ein Geschenk der Kollegen zu ihrem 60. Geburtstag. Den hatte Dorothée Sack zwar schon einen Monat zuvor begangen mit einer stilechten "Hafle", einem Beduinenfest, jedoch ohne Kamele und weit weg von Deutschland, in der syrischen Wüste, in Resafa. Nicht von ungefähr. Denn die Ruinenstadt im Norden Syriens hat ihre wissenschaftliche Laufbahn geprägt. Seit nunmehr 25 Jahren gräbt die Wissenschaftlerin der TU Berlin dort nach den Geheimnissen dieser untergegangenen Stadt.

Und noch mindestens vier weitere Jahre werden hinzukommen. Denn das Deutsche Archäologische Institut (DAI) übertrug der Professorin für Historische Bauforschung der TU Berlin die Grabungsleitung in Resafa und damit ein Vorhaben, in dem bis 2011 alle bisherigen Einzeluntersuchungen zur Geschichte der Stadt und ihres Umlandes wie bei einem Puzzle zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden sollen.

Im Jahre 1269 wurde Resafa von den letzten Bewohnern für immer verlassen und fiel daraufhin 400 Jahre dem Vergessen anheim. Erst 1691 entdeckten englische Kaufleute die Siedlung wieder. Und noch einmal 200 Jahre sollten vergehen, bis deutsche Forscher 1907 mit ersten Grabungen begannen. Seit 1952 nun wird die aus weißem Gipsstein erbaute Stadt systematisch untersucht, und seit 1983 ist Dorothée Sack dabei. "Resafa", sagt sie, "ist mit den fünf fantastisch erhaltenen christlichen Kirchen, der "Großen Moschee", unterirdischen Zisternen, der monumentalen Stadtmauer und der Kalifenresidenz eine der bedeutendsten Ruinenstätten Syriens. Anhand dieser Zeugnisse können wir in Resafa wie in einem Brennglas den Übergang von der Spätantike zum frühen Islam verfolgen. Das macht den Ort so unschätzbar wertvoll."

Begonnen hat Resafas Geschichte kurz nach der Zeitenwende. Als römisches Kastell war die Siedlung Teil des östlichen Limes. Dort im Osten wurde das Römische Reich gegen die Perser verteidigt. "Als 303 n. Chr. der römische Offizier Sergios in oder bei Resafa wegen seines christlichen Glaubens gefoltert wurde, also sein Martyrium erlitt, wurde sein Grab alsbald Ziel einer berühmten Wallfahrt. Resafa, auch Sergiupolis genannt, entwickelte sich im 5. und 6. Jahrhundert zu einer der wichtigsten christlichen Pilgerstätten im östlichen Mittelmeerraum", erzählt Dorothée Sack. "Aber", fährt die Professorin für historische Bauforschung fort (die übrigens nach der Schule eine Lehre als Schreinerin samt Gesellenprüfung absolvierte, bevor sie Architektur studierte), "Sergios wurde nicht nur von den Christen verehrt, sondern auch von den Muslimen." Denn nach der Eroberung der Region durch die Araber um 636 ließ Kalif Hisham b. Abd al-Malik in Resafa in unmittelbarer Nachbarschaft zur christlichen Basilika, in der Sergios' Reliquien aufbewahrt wurden, eine Moschee erbauen.

Diese Moschee hat Dorothée Sack jahrelang untersucht. Dabei machte sie 1985 einen höchst erstaunlichen Fund. Sie stieß auf einen Türsturz mit einer griechischen Inschrift, die nahe legte, dass die Basilika nicht 559 gebaut worden war, sondern etwa 70 Jahre früher. Mit dieser Entdeckung war die bis zu diesem Zeitpunkt als gesichert geltende Datierung der Basilika hinfällig.

"Die Moschee", sagt Sack, "ist in vielerlei Hinsicht interessant - zum einen ist sie wahrscheinlich der einzig bisher bekannte islamische Kultplatz, der zusammen mit der benachbarten christlichen Kirche in Benutzung war." Zum anderen sei die Moschee auch baulich eine Besonderheit. "Aufgrund des von Hohlräumen durchzogenen Untergrundes wurde erstmals eine statisch einfachere Bauform umgesetzt als es für Moscheen in der Herrschaftszeit der Umaiyden, der ersten islamischen Dynastie, die von 661 bis 750 regierte, üblich war", so Sack. Deshalb komme dieser Moschee innerhalb der Entwicklungsgeschichte des frühislamischen Moscheebaus eine wichtige Schlüsselrolle zu.

Aber noch etwas macht Basilika und Moschee so außergewöhnlich: Der Umstand, dass die beiden Gotteshäuser gewissermaßen Schulter an Schulter standen, führte nicht dazu, die religiösen Handlungen in beiden Bauten zu verlegen oder gar einzustellen. "Vielmehr findet sich in der Moschee eine Tür, die auf den Nordhof der Kirche führt und somit eine direkte Verbindung zum Kultkomplex der Sergios-Verehrung herstellt", erläutert Sack. Beide Gotteshäuser wurden also gleichzeitig genutzt und das so lange, bis Resafa in Folge der  Mongoleneinfälle 1269 aufgegeben wurde. Die Stadt wurde nie mehr besiedelt.

Warum aber ließ der Kalif die Basilika nicht abreißen und setzte seine Moschee auf deren Grund? Ein Zeichen von religiöser Toleranz? "Nun", sagt Sack, "vermutlich wohl eher von Pragmatismus." In Damaskus habe damals der Bau der Großen Moschee an der Stelle einer Kirche zu einem 50-jährigen Rechtsstreit geführt. "Einen solchen wollte Hisham sich wohl nicht aufhalsen", mutmaßt die Wissenschaftlerin, die von den Kalifen jener Zeit auch schon mal ganz unprätentiös von ihren "Jungs" spricht.

Der Kalif baute aber nicht nur eine Moschee zur Verehrung des heiligen Sergios, sondern kürte Resafa auch zu seiner Residenz und errichtete mehrere Paläste und Nebengebäude. Diese liegen außerhalb der imposanten Stadtmauer, einer zwei Kilometer langen, bis zu zehn Meter hohen Befestigungsanlage, die heute noch zu bewundern ist. Bereits 1983 war Dorothée Sack vom DAI die Untersuchung dieses Areals übertragen worden, die seit 2006 von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanziert wird. Sacks Forschungen haben maßgeblich dazu beigetragen, Resafa nicht nur als christliche, sondern auch als muslimische Pilgerstadt und darüber hinaus auch als Kalifenresidenz bekannt zu machen.

"In den kommenden Jahren wollen wir Resafa innerhalb und außerhalb seiner Mauern als ein zusammenhängendes Siedlungsgebiet untersuchen mit dem Ziel, eine archäologische Karte zu erstellen. Anhand dieser Karte werden wir exakt sagen können, wie die Stadt in der Spätantike aussah und wie sich ihr Aussehen und das des Umlandes mit der Ansiedlung des Kalifen veränderte, wie also aus der christlich geprägten Stadt eine islamische wurde", sagt Sack. Die zentrale Aufgabe der historischen Bauforschung sei es zu klären, wo sich die einzelnen Zeitschichten und Veränderungen baulich fassen lassen. Schließlich soll eine dreidimensionale Darstellung der Stadtbauphasen die verschiedenen Entwicklungsstufen von der Entstehung, über die Blütezeit bis zum Untergang Resafas verdeutlichen.

Genau dieser Ansatz, das Siedlungsgebiet nachzubilden, qualifizierte das Projekt für den in der Exzellenzinitiative geförderten Cluster "TOPOI - Formation und Transformation von Raum und Wissen in den antiken Kulturen" von FU und HU Berlin. Die Rekonstruktion antiker Landschaften ist ein Schwerpunkt des Exzellenzclusters.

Zweimal im Jahr werden Dorothée Sack und ihr Team sich nun wieder Sandstürmen, glühender Hitze, sintflutartigem Regen und klirrender Kälte aussetzen, und einmal am Tag wird Dorothée Sack ihren Mitarbeitern ans Herz legen, einen Arak zu trinken - der sei in diesem ruppigen Klima gut für die Gesundheit. 

Ruinenstadt Resafa in Syrien
Ansicht von Resafa, der christlich-muslimischen Ruinenstadt. © TU Berlin/Hof
Ruinen in Resafa (Syrien)
Detailansicht von Resafa. Seit 25 Jahren wird die ehemalige Pilgerstadt ausgegraben. © TU Berlin/Gussone