Forscher der FU Berlin legen eine der ältesten Zeremonialanlagen Amerikas frei

Die Wissenschaftler konnten die frühesten Bauten des Fundplatzes von Sechín Bajo im Casma-Tal an der nördlichen Küste Perus in die zweite Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. datieren. Heute wurden in Berlin Details bekannt gegeben.

 

Vorgeschichte und Ziel der Grabung:

Die Vorarbeiten am Fundplatz Sechín Bajo begannen 1992 während einer Exkursion des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität Berlin. Erstmals archäologisch untersucht und topographisch aufgenommen wurde das Areal im Jahr 2000. Die Finanzierung dieser Arbeiten übernahm die archäologische Grabungsfirma Archäo Kontrakt. Seit 2003 wird das Forschungsvorhaben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Ziel des Projekts sind die Untersuchung der Entstehungsbedingungen der monumentalen Baukomplexe im Casma-Tal, die Untersuchung der früheren Funktion der Anlage, die Definition von Bauphasen sowie ein exaktes Aufmaß und die Datierung. Erkundet werden durch geophysikalische Prospektionen vor allem die Morphogie des Geländes vor Baubeginn und eine Bebauung in der Zeit vor der Errichtung der Zeremonialanlage. Von den restauratorischen Untersuchungen werden Aufschlüsse über die antiken Handwerks- und Verarbeitungstechniken und die Erarbeitung erster Erhaltungsmaßnahmen erwartet.

Die historische Situation:

Im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. kommt es in den Tälern der nördlichen Küste Perus zu tiefgreifenden Veränderungen: Es entstehen Siedlungen, große Siedlungskammern in den Tälern und monumentale Baukomplexe; Erscheinungen, die wichtige Veränderungen im Siedlungs- und Sozialgefüge der dort lebenden Gesellschaften reflektieren.

Das Tal von Casma:

Dem Casma-Tal kommt eine besondere Bedeutung zu, da es wichtige Ressourcenzonen und kulturbestimmende Regionen miteinander verbindet: die Küstenzone und ihr fischreicher Peru-Strom sowie ihre Tal-Oasen mit dem Andenhochland und mit dem tropischen Tiefland, der Ursprungsregion vieler landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und Quelle wichtiger Handelsgüter.

Die dichte Besiedlung des Casma-Tales in spätarchaischer und frühformativer Zeit und die große Anzahl von Monumentalbauten ist sicherlich auf die Bedeutung des Tales zurückzuführen.

Der Fundplatz von Sechín Bajo:

Der Fundplatz von Sechín Bajo liegt am nördlichen Talrand des Rio Casma, unmittelbar am Übergang der landwirtschaftlich genutzten Tal-Aue zur Wüste. Er umfasst ein Gebiet von ca. 30 Hektar mit Bauten aus unterschiedlichen Perioden, die zur Wüste hin mit einer langen Mauer umgeben sind. Untersucht wurde der Hauptbau, eine Plattformanlage auf einem Grundriss von ca. 125 Metern mal 185 Metern und einer erhaltenen Höhe von ca. zwölf Metern. Durch die geophysikalischen Messungen wurde die Existenz einer älteren Vorgängerbebauung nachgewiesen, die jedoch teilweise von den späteren Gebäuden überbaut worden war.

Die Bausequenz:

Zu Beginn der Bautätigkeit am Ort wurde das Gelände planiert und mit einer Lehmschicht überzogen. Die früheste Anlage wurde auf diesem Lehm-Estrich errichtet; sie bestand aus einer mit Steinen ummauerten und lehmverputzten Plattform von mindestens 40 Metern Seitenlänge und einer Höhe von mehr als zwei Metern. Mehrere Treppenaufgänge waren an den Seiten angeordnet. Von dieser Plattform führte eine Treppe aus kleinen rechteckigen Lehmziegeln in einen sogenannten Runden Vertieften Platz mit einem Durchmesser von ca. 16 Metern. Diese Runden Vertieften Plätze werden in der Folge zu einem bestimmenden Merkmal der frühen Monumentalarchitektur, deren Funktion ist allerdings noch nicht eindeutig erschlossen worden. Die Plattform wurde mehrmals seitlich erweitert, und der Vertiefte Runde Platz wurde durch drei weitere Plätze dieser Art überbaut. Auf der Plattform sind Reste einer Bebauung zu erkennen sowie einige Mauerzüge und Feuerstellen. Durch mehrere Radiokohlenstoff-Untersuchungen ist der Plattformbau mit seinen vertieften Runden Plätzen in die Zeit von 3500 bis 3000 v. Chr. zu datieren. Er zählt somit zu den ältesten Anlagen des Andenraumes.

Diese Plattform wurde später mit einer rechteckigen Anlage überbaut, blieb jedoch teilweise darunter erhalten. Der neue Bau hat eine Grundfläche von ca. 35 Metern mal 40 Metern und ist mit drei Raumfolgen von jeweils drei Räumen bebaut.

Unmittelbar daneben wurde dann ein weiterer wesentlich größerer Bau errichtet, auf einer Grundfläche von ca. 125 Metern mal 150 Metern. Ursprünglich waren beide Gebäude durch einen etwa zwei Meter breiten Korridor voneinander getrennt und wurden später durch einen umlaufenden vorgesetzten gemauerten Sockel miteinander verbunden, sodass sich die heute noch sichtbare Gebäudekonstellation ergab. Diese beiden späteren Gebäude datieren in die Zeit zwischen 2100 und 1600 v. Chr.

Der letzte und größte Bau zeigt einen achsensymmetrischen Aufbau mit vier hintereinanderliegenden aufsteigenden Höfen mit axial angelegten Treppenaufgängen. Baumaterial sind vor allem einseitig zugeschlagene Steine örtlicher Herkunft, vorwiegend Granidiorit, die in Lehmmörtel gesetzt und mit kleineren Steinen verzwickelt wurden.

Das Relief:

Der erste und größte Hof öffnet sich auf einen vorgelagerten Platz hin. Seitlich war er von ca. fünf Meter hohen Mauern gefasst, die sorgfältig mit Lehm verputzt waren. In diesen Verputz waren großformatige Reliefs eingearbeitet, die Gestalten in Frontaldarstellung zeigen. Die Personen stehen mit ausgebreiteten Armen nebeneinander in Form eines rituellen Tanzes oder einer Prozession. In der rechten Hand halten sie einen länglichen Gegenstand, vielleicht eine Keule, und an der Linken hängt ein rundliches Gebilde, aus dem sich ein Schlangenkopf windet. Während Füße und Hände in realistischer Manier meisterhaft aus dem Lehm herausgearbeitet sind, weist die Kopfpartie eine komplexe Ikonographie auf, die nur schwer zu entschlüsseln ist, vor allem deshalb, weil dieses Relief bislang in der Region einzigartig ist.

Der anschließende zweite etwas kleinere Hof ist über eine breite Treppenanlage erschlossen. Beide Höfe (ca. 2.000 Quadratmeter) bilden zusammen mit dem vorgelagerten Platz (ca. 18.000 Quadratmeter) einen ausgedehnten öffentlichen Raum, leicht einsehbar und offen, geschaffen für große Zusammenkünfte und Veranstaltungen.

Die beiden folgenden Höfe sind durch einen Höhenunterschied von mehr als sechs Meter getrennt und nur durch eine schmale nicht einsehbare Treppenanlage zu erreichen. Sie sind in ihren Ausmaßen etwas kleiner und waren offensichtlich einer kleineren exklusiven Gruppe vorbehalten. Diese architektonische Teilung des großen Hauptbaus spricht für unterschiedliche Nutzungskonzepte, was durch eine spätere bauliche Veränderung noch unterstrichen wird: Im zweiten und im vierten Hof werden vor die rechteckigen Umfassungsmauern neue Wände mit abgerundeten Ecken gesetzt, die in Kopfhöhe große stehende Nischen aufweisen, die zur Aufnahme von größeren Gegenständen, etwa Idolen oder Mumienbündeln gedient haben könnten.

Prähistorischer Relieffries:

Auf einer Tempelwand wurde ein prähistorischer Relieffries aus Lehmmörtel entdeckt, dessen Alter auf 3.600 bis 3.800 Jahre geschätzt wird. Als Motive werden Personen mit verschiedenen mythologischen oder religiös geprägten Attributen dargestellt. Diese Darstellungen haben eine sehr hohe kultur- und kunstgeschichtliche Bedeutung. Sie entstammen einer sehr frühen Hochkultur und dürften somit Initialcharakter für die spätere Kulturentwicklung in diesem Gebiet besessen haben.

Die Erforschung des Reliefs wäre ohne eine begleitende Restaurierung nicht möglich gewesen. Parallel zur Grabung wurde der Fries deshalb mit neuen Methoden stabilisiert und gesichert.

Aufgabe der Anlage:

Um oder kurz nach 1600 v. Chr. wird die Anlage verlassen, die Treppen und Zugänge werden vermauert oder zerstört, um sie symbolisch unbetretbar zu machen. Beim Verlassen werden auf der Außenwand des kleinen Plattformbaus über 130 Graffiti in den Lehmputz gekratzt, zum Teil unbeholfene Nachahmungen des Reliefs aus dem ersten Hof, aber auch geometrische oder zoomorphe Motive von sicherer Hand. Herausragend ist die Darstellung eines neuen Wesens, eines Mischwesens aus Kaiman, Felide und Spinne, vielleicht die Ankündigung eines neuen anderen Weltbildes, das auf spätere Regionalkulturen wie Cupisnique oder Chavin verweist. In dieser Zeit werden die ersten Gefäße aus Keramik hergestellt , die sich an kleinen Feuerstellen zu Füßen der Graffiti-Wand fanden. In der Folgezeit wird die Anlage nur noch als Bestattungsplatz genutzt. Bislang konnten 118 Bestattungen aus späteren Epochen  dokumentiert werden.

Zusammenfassung:

Die Untersuchungen am Fundplatz von Sechín Bajo haben eine 2.000-jährige Baugeschichte dokumentiert, beginnend mit dem bislang ältestem Monumentalbau in Gestalt der ersten Vertieften Runden Plätze des 4. Jahrtausends v. Chr. bis hin zu den großen Plattformbauten des 3. und 2. Jahrtausends, die eindrucksvoll die Entwicklung einer Bautradition reflektieren, aber auch die gesellschaftliche Entwicklung und den Wandel von Weltbildern.

Das Forschungsprojekt

Das Langzeitprojekt unter der Leitung von Dr. Peter Fuchs wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Beteiligt sind neben den Archäologen des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität Berlin das Institut für Geodäsie, Fachbereich Geoinformatik der Technischen Universität Berlin, das Büro für Geophysik Lorenz, Berlin und die Firma Restaurierung am Oberbaum, Berlin.

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