Es ist das härteste Material des menschlichen Körpers: Der Zahnschmelz hält nicht nur ein Menschenleben lang und erleichtert uns die Nahrungsaufnahme. Unsere Zähne sind es auch, die uns am längsten überdauern. So gehören Zähne und Teile des Kauapparates zu den häufigsten fossilen Funden, die von frühen Menschen und ihren Vorfahren übriggeblieben sind. "Einige von ihnen sind fünf Millionen Jahre und älter", sagt Evolutionsbiologe Kupczik. An ihnen lasse sich ablesen, dass sich Zähne und Kiefer heutiger Menschen sehr stark etwa von denen der Neandertaler und anderer frühen Menschen unterscheiden. "Kurz gesagt: Das Gehirn wurde immer größer und die Zähne immer kleiner", so Kupczik weiter, der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie Leipzig forscht.
Angesiedelt wird die mit insgesamt rund 2,5 Millionen Euro geförderte Forschergruppe im Rahmen des neugegründeten "Max Planck Weizmann Center for Integrative Archaeology and Anthropology" am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie sein. "Wir werden dabei eng mit dem Weizmann Institut in Israel und dem Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Uni Jena kooperieren", kündigt Kupczik an. Insgesamt zehn bis zwölf Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen werden sich der Evolution der Ernährung und des Kauapparates widmen, davon auch Doktoranden und Masterstudierende in Jena.
"Hier in Jena werden wir uns vor allem mit Hunden als Modellsystem befassen", sagt der Evolutionsbiologe. "Mich interessiert die Frage, wie Form und Größe von Kiefer und die Beschaffenheit der Muskulatur die Kaukraft bestimmen." Dazu werden die Forscher unter anderem Röntgenvideoaufnahmen von kauenden Hunden analysieren, um die Bewegungsabläufe detailliert studieren zu können. "Aus diesen Daten lassen sich anschließend Computersimulationen und -modelle erstellen, an denen sich der Einfluss einzelner Parameter exakt bestimmen lässt." Das Uni-Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie, zu dem auch das Phyletische Museum gehört, verfügt über eine ausgewiesene Expertise auf dem Gebiet der Bewegungsforschung von Hunden.
Ein weiterer Vorteil der engen Zusammenarbeit mit dem Phyletischen Museum ist, dass die Forscher auf den großen Bestand von Hundeschädeln des Museums zugreifen können. Im Rahmen einer Doktorarbeit soll beispielsweise untersucht werden, wie sich Zahn- und Kieferformen auf die Funktionalität beim Kauen und Beißen auswirken. Dazu werden Ober- und Unterkiefer von über 100 lang- und kurzschnäuzigen Hunderassen genauestens unter die Lupe genommen. Hunde sind ein einzigartiges groß angelegtes Naturexperiment, da durch gezielte Zuchtauswahl und trotz geringer genetischer Unterschiede eine erstaunliche Vielfalt an Schnauzenformen entstanden ist. Damit stellen sie ein ideales Modellsystem zur Untersuchung evolutionärer Prozesse dar. "Am Beispiel des Hundegebisses sehen wir die Zusammenhänge von Morphologie und Funktionalität und können dann letztendlich auch Rückschlüsse auf die Evolution des menschlichen Kauapparates ziehen", erwartet Dr. Kupczik.