Raumplanung vor 35.000 Jahren
Zusammen mit den zuvor in Breitenbach ausgegrabenen Raumstrukturen ist dieser Fund einer der frühesten Belege für gesellschaftlich koordinierte Raumnutzungskonzepte. Sie organisieren bereits seit dieser Zeit das menschliche Zusammenleben und sind Grundlage der Raumordnung moderner Gesellschaften. Der seltene Überraschungsfund glückte den Archäologen gleich zu Beginn ihrer aktuellen Ausgrabungen: Eine große Konzentration aus Mammutelfenbeinstücken mit charakteristischen Bearbeitungsspuren legt nahe, dass sich den Archäologen hier eine Werkstatt öffnet: Hier arbeiteten handwerkliche Spezialisten arbeitsteilig in eigens dafür vorgesehenen Arealen. Eine handwerkliche und räumliche Spezialisierung ist damit erstmals bereits für die frühesten modernmenschlichen Jäger-Sammler in Europa nachgewiesen. Das ist die Grundlage der erst Jahrzehntausende später etablierten sesshaften Lebensweise in größeren Siedlungen bzw. Städten.
"Die Funde aus Breitenbach belegen, dass die Raumplanung moderner Menschen schon immer strikten Regelwerken unterworfen war - ein grundlegender Unterschied etwa zu den Verhaltensweisen des vor etwa 40.000 Jahren ausgestorbenen Neandertalers. Den Einfluss der Organisationsregeln dieser europäischen Pioniere auf unsere heutigen Raumplanungskonzepte können wir gar nicht überschätzen," erklärt Dr. Olaf Jöris, Wissenschaftler in MONREPOS, seine Begeisterung für das Projekt. Er leitet die Ausgrabungen in Breitenbach gemeinsam mit seinem Kollegen Tim Matthies. In einem internationalen Kooperationsprojekt mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle (LDA), dem Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie in Wien (LBI ArchPro), der Faculty of Archaeology der Universität Leiden und dem Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik i3mainz Fachhochschule Mainz untersuchen die beiden Archäologen zusammen die seit den 1920er Jahren als Mammutjagdstation bekannte Fundstelle. Sie werden dabei von einem internationalen Team aus Fachstudenten unterstützt, die auf dieser Lehrgrabung das archäologische Handwerkszeug von der Pieke auf lernen.
Freilandfundstellen aus der Frühphase modernmenschlicher Jäger und Sammler sind selten; den Ausgrabungen an der Ausnahmefundstelle Breitenbach kommt deshalb große Bedeutung zu: Der Platz ist der mit Abstand größte bislang bekannte Siedlungsplatz der Zeit vor 35.000 Jahren und zeichnet sich zugleich durch eine exzellente Erhaltung aus. Das Siedlungsareal erstreckt sich über mehrere Tausend Quadratmeter, wie die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt haben.
Unterstützt werden die Ausgrabungen durch hochauflösende Bodenradarkarten des LBI ArchPro, die erste Strukturen noch vor Beginn der eigentlichen Ausgrabungen kenntlich gemacht haben. Nur so lassen sich auf lange Sicht große Areale erfolgreich prospektieren und gezielt ausgraben.
Die Forschungen in Breitenbach sind Teil des Forschungsschwerpunkts "Menschwerdung". Darin gehen die Forscher der Evolution unseres heutigen Verhaltens in der Alt- und Mittelsteinzeit nach, dem weitaus längsten und prägendsten Abschnitt der Menschheitsgeschichte. In diesem Prozess der Menschwerdung ist die Entwicklung des Siedlungsverhaltens ein ganz zentrales Element, seine Koordinierung durch Regelwerke erscheint als Quantensprung. Mit der Fundstelle Breitenbach nähern sich die Forscher nun den Ursprüngen solcher Raumnutzungskonzepte.
Die aktuellen Fortschritte der Ausgrabung und neuesten Entdeckungen kann man übrigens über Facebook verfolgen.
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