Neues aus Libyen

Sonnenfinsternis, Atomprogramm, die bulgarischen Krankenschwestern und die Blogger

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Erst die großen Vorbereitungen für die Sonnenfinsternis im März, dann die Karikaturen-Krawalle mit etlichen Toten, schließlich die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Libyen. Wer sich ein bisschen mehr für das Land interessierte, bekam noch mehr höchst interessante Meldungen mit: Die Neuverhandlung des Schicksals der bulgarischen Krankenschwestern, die Unterzeichnung eines Vertrags mit Frankreich zum Aufbau eines zivilen Atomprogramms, und Qaddafis merkwürdige Timbuktu-Rede.

Die totale Sonnenfinsternis vom 29. März 2006 erreichte ihren Höhepunkt in Libyen. Dies und die Tatsache, dass Bewölkung in der Wüste kaum zu erwarten war, führte dazu, dass zahlreiche Touren organisiert wurden. Libyen nahm die Sache sehr ernst, sieht man doch im Tourismus großes Wachstumspotential. Die Sonnenfinsternis-Begeisterten kamen auf ihre Kosten - die Beobachtungsorte waren komplett unbewölkt -, aber dennoch sieht es kaum danach aus, als dass Tourismus nach Libyen dauerhaft etwas anderes sein könnte als ein Nischenprodukt für Archäologie-Begeisterte. Alkohol unterliegt in Libyen einem massiv strafbewehrten Totalverbot, sodass der Durchschnittstourist dort kaum seinen Entspannungsurlaub verbringen möchte.

Nicht nur die Touristen begeisterten sich für die Sonnenfinsternis. Begehrtes Souvenir waren die original libyschen SoFi-Brillen in Grün mit libyschen Wappenadler. "Foto: D. Wollweber"

Die antiken Hinterlassenschaften - erwähnt seien Kyrene, Lepcis und Sabratha - sind zwar über alle Maßen beeindruckend, aber das zieht nur das Klientel von Veranstaltern wie Studiosus oder Intermèdes an, und die fuhren dort sowieso schon immer hin, egal, ob Flugembargo oder nicht.

Während Libyen damit beschäftigt war, sich für den Ansturm der Sonnenfinsternis-Touristen herauszuputzen, kam es am 17. Februar zu den gewalttätigen Ausschreitungen von Banghazi: Mitten im Karikaturenstreit wollte der Mob nach dem Freitagsgebet das italienische Konsulat in Brand setzen, die Polizei konnte dem nur noch mit scharfen Waffen Einhalt gebieten. Elf Menschen kamen ums Leben, mehrere Dutzend wurden verletzt. Bemerkenswerterweise wurde danach der Innenminister entlassen, während verletzte Demonstranten auf Staatskosten zur medizinischen Behandlung außer Landes geflogen wurden. Die Bedeutung dieses Vorfalls ist nach wie vor unklar. Italienische Stimmen (so Fini, der Außenminister, und Trupiano, der Botschafter), erklärten, dass sich die interne Opposition gegen das Regime mit den islamistischen Kräften zusammengetan habe, eine Darstellung, die das libysche Außenministerium umgehend dementierte: Die Tatsache, dass es überall auf der Welt zu gewalttätigen Demonstrationen gegen die Karikaturen gekommen sei, zeige doch, dass es hier um etwas anderes als libysche Innenpolitik gegangen sei.

Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Libyen erfolgte dieser Tage. Damit kam ein Prozess zum Abschluss, der sich über etliche Jahre erstreckte. Die direkten Auswirkungen sind weiter weniger groß, als manch schlecht informierte Kommentatoren glauben. Während die Aufnahme der diplomatischen Kontakte sogar in manchen Nachrichtensendungen Erwähnung fand, ging eine viel, viel spannendere Nachricht praktisch überall unter: Nach der Aufgabe des libyschen Atomwaffenprogramms sprach nichts mehr dagegen, Libyen beim Aufbau eines zivilen Atomprogramms zu unterstützen. Am 6. März verkündete Patrick Ollier, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses der französischen Nationalversammlung, dass Frankreich und Libyen einen Vertrag unterzeichnen werden, gemäß dem Frankreich Libyen bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie unterstützen werde. Konkret: Der französische Reaktorbauer Areva wird einen Meiler in Libyen errichten.

Dorische Tempel gibt's nicht nur in Paestum und auf Sizilien. Kyrene liegt malerischer, der Tempel ist begehbar, und der Touristenansturm hält sich in engen Grenzen.

Mehrlei Dinge sind dabei bemerkenswert. Erstens wird bei der ganzen Diskussion um den Irak-Krieg stets Libyen ignoriert. Wie von Libyen zugegeben und wie von Atominspektoren bestätigt wurde, verfolgte das Land noch 2001 und 2002 sehr aktiv die Herstellung von Atomwaffen (vgl. Chronologie). Erste Gespräche zur Aufgabe des Programms fanden unmittelbar vor der Invasion im Irak statt, offiziell wurde die Entscheidung dann im Dezember 2003. Ob diese so plötzliche Besinnung auf Besseres auch ohne amerikanisches Durchgreifen anderswo gekommen wäre? Zweitens ist das libysche Beispiel auch eine höchst interessante Folie für die aktuelle Iran-Atom-Diskussion, beweist es doch, dass selbst islamische Länder mit einem in der Vergangenheit zweifelhaften Ruf problemlos westliche Reaktortechnologie erhalten können, sofern sie deren friedliche Nutzung gewährleisten.

In diesen Tagen wird auch der Prozess um die bulgarischen Krankenschwestern und den palästinensischen Arzt (der mittlerweile auch die bulgarische Staatsangehörigkeit erhalten hat) neu aufgrollt. Zur Erinnerung (vgl. Das Internet in Qaddafis Reich): Nachdem 1998 rund 400 Kinder in Banghazi im Krankenhaus mit HIV infiziert wurden, wurden eine Reihe von Ärzten und Krankenschwestern verhaftet. Die meisten kamen frei, allerdings wurden der Palästinenser und die fünf Bulgarinnen anno 2004 wegen absichtlichen Infizierens zum Tode durch Erschießen verurteilt - obwohl Experten auf die allgemeinen hygienischen Probleme in Banghazi hinwiesen und die Verurteilten angaben, dass die Geständnisse mit grausamer Folter erzwungen wurden.

Auch das angebliche Motiv wirkt wenig glaubwürdig: Um ein selbst gebasteltes Heilmittel gegen HIV zu testen, hätten die Angeklagten ihre eigenen HIV-Infizierten produziert. Ende 2005 wurde das das Todesurteil vom obersten Gerichtshof aufgehoben, derzeit wird der Fall neu verhandelt. Die libysche Obrigkeit arbeitet darauf hin, dass die Festgehaltenen gegen Entschädigung in Millionenhöhe zugunsten der AIDS-Opferfamilien freigelassen werden, während Mitglieder der Opferfamilien bei den Verhandlungen dafür demonstrieren, die Palästinenser und die Bulgarinnen hinzurichten.

Auch Revolutionsführer Qaddafi persönlich machte im April 2006 Schlagzeilen: Bei einer Rede in Timbuktu rief Qaddafi dazu auf, Mekka auch für Christen und Juden zugänglich zu machen. Da die heiligen Orte nur Unreinen und Götzendienern verschlossen sind, gebe es keinen Grund, warum z. B. George W. Bush nicht in Mekka beten dürfe - außer man halte ihn für unrein. "Doch wenn sie ihn für unrein halten, warum sind sie dann mit ihm befreundet und essen mit ihm?"

Doch wer glaubt, die Timbuktu-Rede sei eine weitere Annäherung an den Westen, der irrt. Es lohnt sich, den Originaltext der Rede anzuschauen. Dort lassen sich ein paar reichlich idiosynkratische Ansichten zu den Bekleidungsgebräuchen von Skandinavierinnen, zur Authentizität des Barnabas-Evangeliums und zum vollzogenen EU-Beitritt Albaniens finden.

Wie früher (vgl. Das Internet in Qaddafis Reich) schon berichtet, ist Internet weithin verfügbar in Libyen. (Nur DSL-Bestellungen machen ungefähr so viel Spaß wie bei der Deutschen Telekom vor ein paar Jahren. Das führte auch zur Entstehung einer lebhaften Blogger-Szene. Zwei gute Einstiegspunkte sind die Blogs Lone Highlander und KhadijaTeri, die jeweils zahlreiche Links auf weitere Libyen-Blogs bieten.