Eine riskante Aufgabe, die zuvor niemand gewagt hatte aus Sorge dieses außergewöhnliche und kostbare Fundstück zu beschädigen oder sogar zu zerstören. Und ein Moment, auf den der heutige Besitzer 40 Jahre lang gewartet hat. Das Ergebnis: Eine 3,20 Meter breite vollständig intakte Papyrusrolle, deren Farben so intensiv und frisch wirken, als ob der Papyrus erst vor kurzem fertig gestellt worden wäre. Allein die grüne Farbe bröckelte leicht und wurde sofort von den beteiligten Studentinnen unter Leitung von Prof. Dr. Robert Fuchs, dem Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft und weltweit gefragten Experten im Bereich Papierrestaurierung, gefestigt. Zu sehen sind: 14 heilige oder geheime Orte, Sprüche und Beschwörungsformeln, Dämonen u. a. in Form von Schlangen, Krokodilen und Nilpferden sowie zwei Abbildungen des Verstorbenen. »Damals gab es auch schon Totenbücher in unterschiedlicher Länge von der Stange«, berichtet Prof. Fuchs. »Sie waren nahezu komplett vorbereitet, nur der Platz für den Namen blieb frei. Aber diese Papyrusrolle ist etwas Besonderes, sie ist speziell für den Verstorbenen gemacht worden.« Er hieß Imn-m-H3t und war Kammerherr eines Pharaos der frühen 18. Dynastie Ägyptens, d. h. von Tutmosis III oder Amenophis II. »Also ein Beamter des mittleren Dienstes«, erläutert Prof. Fuchs, »erstaunlich, dass er sich das leisten konnte«.
Der entrollte Totenbuch-Papyrus zählt zu den schätzungsweise zehn noch existierenden farbigen Papyri aus der frühen 18. Dynastie Ägyptens. Es ist die zweite Hälfte eines Totenbuch-Papyrus, dessen erste Hälfte beim unsachgemäßen Abrollen stark beschädigt worden ist und große Knicke, Risse und viele Lücken aufweist. Seit anderthalb Jahren wird diese erste Hälfte im Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft behandelt und Fragmente ergänzt, die in anderen Sammlungen gefunden und faksimiliert wurden. Die Suche nach den Teilpapyri ist eine Detektivarbeit, auf die sich Prof. Dr. Irmtraut Munro, die frühere Leiterin des Totenbuchprojektes der Universität Bonn aufs Beste versteht. Allerdings erzielen bereits kleine Bruchstücke solcher Papyri Preise von manchmal Tausend Euro und manche Besitzer wollen sich auch einfach nicht von ihren Papyri-Fragmenten trennen. Wie viele Besitzer hier insgesamt existieren, ist nicht bekannt.
Der Besitzer des jetzt frisch entrollten Papyrus hat viele Jahre gesucht bis er mit Prof. Dr. Robert Fuchs, den für ihn »weltweit besten« wissenschaftlichen Experten für dieses Projekt an der Fachhochschule Köln gefunden hat. Besonders problematisch waren die Lagerungsknicke, die als erstes sorgfältig behandelt und ganz vorsichtig aus dem Papyrus heraus gearbeitet werden mussten. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 97 Prozent und einer Außentemperatur von 28 Grad wurde nach mehreren Tagen Vorbereitungszeit und fortlaufender Befeuchtung der Totenbuch-Papyrus innerhalb von fünf Stunden langsam zurückgeformt und ausgerollt. Er enthält neben einigem Bekannnten auch eine weitere Besonderheit: Zum ersten Mal werden hier viele Farbmischungen angewandt, von denen man bislang nicht wusste, dass sie damals bereits bekannt waren: rosa, hellblau und ein aus drei Farben gemischtes Grün.
Totenbuch-Papyri sind eine Art persönliches Gebetbuch, die aus einer Sammlung von Sprüchen und Beschwörungen individuell für die jeweilige Person zusammengestellt wurden. Leisten konnten sich das damals die sogenannten oberen Hundert, sagt Prof. Dr. Munro. Der Papyrus wurde in einer Keramikvase oder Holzbüchse ins Grab gelegt, um die Toten zu begleiten. Mit den Sprüchen und Beschwörungen können die jeweiligen Dämonen, die an den geheimen und heiligen Orten wohnen und den Toten den Hals abschneiden oder die Füße verbrennen wollen, besiegt werden.
Das Entrollungsprojekt wurde von der ersten Minute an minutiös von einem professionellen Kamerateam begleitet, um diesen einmaligen Vorgang der Fachöffentlichkeit und später auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jetzt muss entschieden werden, wie der Totenbuch-Papyrus künftig aufbewahrt wird. Wird er auf einem großen Kern wieder aufgerollt oder besser in Teilstücke geschnitten? Da eine Papyrusrolle nur ca. zehn bis 15 Male ohne größere Schäden abgerollt werden kann, empfiehlt Prof. Fuchs sie in etwa 1,30 Meter lange Stücke zu zerschneiden, wobei nur an den Doppeltrennstrichen zwischen den Kapiteln geschnitten werden darf, damit man die Rolle auch wieder ohne sichtbaren Schaden zusammenfügen kann, falls notwendig. Die Einzelstücke können dann zwischen zwei UV-Licht-sicheren Glasscheiben eingefasst und in einem stabilen Behälter gelagert werden. So könnten sie ohne Risiko für Ausstellungen oder andere Zwecke immer wieder entnommen werden, ohne den Papyrus zu beschädigen. »Es war schon ein großartiges Erlebnis«, berichtet Prof. Fuchs, »so einen alten Papyrus frisch entrollt zu sehen. Gleichzeitig ist es auch eine Mahnung mit ihm sehr verantwortungsvoll und sorgfältig umzugehen.«