Seit September 2008 führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der TDE - Mitteldeutsche Bergbau Service GmbH aus Espenhain, Lkr. Leipzig, auf der ICE-Neubaustrecke zwischen Erfurt und Halle/Leipzig großflächige Ausgrabungen durch. Von der Gesamtfläche von ca. 100 ha sind bereits 75 ha aufgezogen, so dass der Streckenbau der Deutschen Bahn AG wie geplant ab Ende 2009 parallel zu den archäologischen Untersuchungen durchgeführt werden kann. Die Ausgrabungen laufen noch bis Mitte 2010, die Inventarisierungs- und Dokumentationsarbeiten werden bis zum Frühjahr 2011 andauern. Zurzeit stehen ca. 150 Mitarbeiter in acht Grabungsteams im Dienst der archäologischen Untersuchungen. Die Ausgrabungen stellen somit auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor für die Region dar.
Die Querfurter Platte zwischen den Tälern von Saale und Unstrut wird seit mindestens 7.500 Jahren besiedelt. Durch den Neubau des Streckenabschnitts zwischen Erfurt und Halle/Leipzig der Deutschen Bahn AG ergibt sich für die Archäologie die einmalige Chance, auf einer Länge von 22 km einen vollständigen Schnitt durch eine der bedeutendsten Siedelregionen Mitteldeutschlands zu ziehen. Aufgrund der fruchtbaren Böden war die Querfurter Platte seit Jahrtausenden ein attraktiver Siedlungsort. Zudem nimmt die geplante Streckenführung den Verlauf eines wichtigen Verkehrs- und Handelsweges, der später so genannten Wein- bzw. Kupferstraße, wieder auf. Auf den mehr als 15 Fundstellen wurden bisher ca. 5.300 einzelne Befunde untersucht, unter anderem Siedlungshinterlassenschaften und Gräber. Insgesamt wurden bereits mehr als 55.000 Funde geborgen.
Bereits im ersten Jahr der Ausgrabungen sind eine Reihe wissenschaftlich bedeutender und kulturgeschichtlich interessanter Ergebnisse zu Tage gefördert worden. Bei Bad Lauchstädt südlich der Laucha-Aue wurde ein Gehöft der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur entdeckt, jener zwischen 2.200 und 1.600 v. Chr. verbreiteten Kultur, die durch die Himmelsscheibe von Nebra in den letzten Jahren besonders in den Blickpunkt des Interesses gerückt ist. Das Gehöft von Bad Lauchstädt umfasste ein ca. 20 m langes Haupthaus und eine Reihe von Vorratsgruben. Wenige Meter vom Haupthaus entfernt lag eine kleine Gräbergruppe mit acht Bestattungen. Weitere Tote waren in ehemaligen Siedlungsgruben beigesetzt, darunter eine Frau in sitzender Position. Warum einige Tote in der üblichen Weise bestattet worden sind, andere jedoch auf eher ungewöhnliche Art, kann möglicherweise über naturwissenschaftliche Analysen an den Skeletten geklärt werden. Mittels moderner Methoden wie DNA- und Isotopenanalysen, wie sie etwa auch an den Skeletten aus Eulau (Burgenlandkreis) durchgeführt wurden, sollen Fragen zu Verwandtschaft und Herkunft der einzelnen Bestatteten untersucht werden.
Die mit 7.300 Jahren bisher ältesten Funde wurden zwischen Oechlitz und Langeneichstädt gemacht. Sie gehören zur linienbandkeramischen Kultur der frühen Jungsteinzeit, der ältesten bäuerlichen Kultur Mitteleuropas. Inzwischen wurden hier bereits über 300 Gräber gefunden, von denen die Mehrzahl in die spätere, ausgehende Jungsteinzeit und die Bronzezeit zwischen 2.500 und 1.800 v. Chr. datieren. Von den drei bedeutenden archäologischen Kulturen dieser Zeit, der Schnurkeramik-, der Glockenbecher- und der Aunjetitzer Kultur, haben sich hier außergewöhnlich gut ausgestattete Gräber erhalten.
Einige der bei Oechlitz dokumentierten Bestattungen der schnurkeramischen Kultur der Jungsteinzeit enthielten Funde, die ursprünglich als Schmuck oder als Verzierung auf der Kleidung getragen wurden. Dazu gehören Kupfer- und Bernsteinobjekte ebenso wie hunderte durchlochter Hundezähne, oder in einem besonders spektakulären Fall tausende kleiner Muschelscheiben. Durch die detaillierte Dokumentation derartiger Objekte in ihrer ursprünglichen Lage kann die Kleidung, in der die Menschen des ausgehenden Neolithikums bestattet wurden, gut rekonstruiert werden. Aus Felsgestein geschliffene Streitäxte, die in einigen Männergräbern gefunden wurden, deuten an, dass es auch kriegerische Konflikte gegeben haben könnte. Bei Oechlitz wurde auch die bisher größte Zahl von Bestattungen der Glockenbecherkultur gefunden, die zum Teil zeitgleich mit der schnurkeramischen Kultur verbreitet war. Einige der Gräber der Glockenbecherkultur waren recht aufwändig mit hölzernen Einbauten gestaltet, von denen sich Spuren erhalten haben. Kupferne Haarspiralen und eine kleine Dolchklinge belegen zudem den hohen Status, den einzelne der Bestatteten in ihrer Gemeinschaft eingenommen haben. Aus der nachfolgenden frühen Bronzezeit des ausgehenden 3. Jahrtausends v. Chr. sind es dagegen weniger die Funde, die die Archäologen begeistern, sondern die außergewöhnlichen Bestattungsweisen. In einigen Gräbern lagen die Bestatteten in mehreren 'Etagen' übereinander. Andere Gräber wurden mehrfach hintereinander genutzt, wobei die früher bestatteten Toten hierfür regelrecht zur Seite geschoben wurden. Ein Zeichen auch von Kontinuität in der Siedlung?
Auch aus jüngerer Zeit stammen bedeutsame Funde. Ein slawisches Gräberfeld des 9./10. Jhs. n. Chr. bei Oechlitz kann mit der frühen Geschichte des Ortes in Verbindung gebracht werden, dessen slawische Gründung auch historisch mit dem Ortsnamen belegt ist. Obwohl die Bestattungen nach christlichem Brauch mit dem Kopf im Westen ins Grab gelegt worden sind, deuten beigegebene Gefäße und Nahrungsmittelreste an, dass dennoch auch heidnische Traditionen in der Ausstattung der Toten weiter gepflegt wurden.
Die große Bandbreite der Spuren archäologischer Kulturen und die Zahl und Qualität der einzelnen Funde belegen die hohe Bedeutung, die der Region seit Tausenden von Jahren nicht nur als Siedlungsgebiet, sondern auch als Verkehrsroute zukommt. Der infrastrukturell wichtige Ausbau der ICE-Strecke durch die Deutsche Bahn AG bietet für die Archäologie Sachsen-Anhalts die einmalige Chance, die Siedlungsgeschichte einer ganzen Region auf einem vollständig untersuchten Teilstück zu dokumentieren und die Kulturgüter vor der Zerstörung zu bewahren. Neben der wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Relevanz des Streckenneubaus zwischen Erfurt und Halle/Leipzig belegen die Ergebnisse bereits nach einjähriger Grabungstätigkeit auch die hohe wissenschaftliche Bedeutung der Ausgrabungen für die Region.