Genetischer Schmelztiegel im kupferzeitlichen Südosteuropa

Studie belegt frühen Kontakt zwischen bäuerlichen Gesellschaften und Hirtennomaden in der nordwestlichen Schwarzmeerregion

Neue archäogenetische Studien zeigen, dass Migration und individuelle Mobilität in der Menschheitsgeschichte eine größere Rolle spielen als bisher angenommen. Ein internationales Wissenschaftlerteam analysierte die Genome von 135 Individuen der Kupfer- und Bronzezeit in Südosteuropa und der nordwestlichen Schwarzmeerregion. Die Ausbreitung von Menschen spiegelte sich nicht nur in genetischen Profilen wider, sondern auch im Transfer von Wissen, sozialen Veränderungen und Handelsbeziehungen.

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Kupferzeitliche Grabbeigaben aus dem Gräberfeld von Varna
Beigaben aus dem kupferzeitlichen Gräberfeld von Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Die Kupfer- und Goldgegenstände gelten als die weltweit ältesten. Foto © Kalin Dimitrov

Südosteuropa spielte eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung der Landwirtschaft aus dem Nahen Osten. Zusammen mit den frühbäuerlichen Gruppen kamen kulturelle und technologische Innovationen, die sich schnell über ganz Europa ausbreiteten. Vor etwa 7.000 Jahren begann man in Südeuropa mit dem Abbau und der Verarbeitung von Kupfer. Durch die günstige Lage an der Donau und dem Schwarzen Meer sowie den Zugang zu Gold und Salz florierten die Gesellschaften in Südosteuropa durch Handel mit benachbarten Regionen. In Teilen von Bulgarien und Rumänien entstanden zahlreiche größere Siedlungshügel, die durch ein dichtes Austauschnetzwerk verbunden waren. Gleichzeitig bildeten sich soziale Hierarchien heraus, die sich in der ungleichen Verteilung von Prestigegütern, wie den zahlreichen Goldfunden im Gräberfeld von Varna in Bulgarien, zeigten.

Die archäologische Forschung zeigt eine große Ähnlichkeit der materiellen Kultur und ein stabiles soziopolitisches Netzwerk über einen Zeitraum von etwa 500 Jahren. Die genetische Homogenität der Individuen der Kupferzeit bestätigt diese Stabilität. Im Vergleich zur ersten Welle der Frühbauern gab es nur geringfügige genetische Veränderungen, lediglich ein leichter Einfluss von Jäger-Sammlern aus umliegenden Regionen ist feststellbar.

Beginn einer neuen Ära

Vor etwa 6.000 Jahren wurden viele Siedlungen der Kupferzeit aufgegeben, die Gründe dafür sind noch unklar. Möglicherweise spielten klimatische Veränderungen und die Erschöpfung natürlicher Ressourcen eine Rolle. Die Siedlungsaktivitäten scheinen sich weiter nach Norden in die Gebiete der Waldsteppe, z. B. in das heutige Moldawien und die Ukraine, verlagert zu haben. Dort entstanden riesige Siedlungen zur Zeit der Cucuteni-Trypillia Kultur. Die Region um das heutige Odessa war vor 5.500 bis 4.600 Jahren ein Schmelztiegel mit Einflüssen aus der ausgehenden Kupferzeit, der nordwestlichen Cucuteni-Trypillia Kultur, der östlich angrenzenden Steppenregion und der geografisch entfernten Maikop Kultur im Nordkaukasus. In dieser Zeit gab es eine Vielzahl technischer Innovationen, wie das Rad und den Wagen, sowie neue metallurgische Verfahren und Gerätschaften, die sich rasch über große Gebiete zwischen dem Kaukasus und der Nordsee ausbreiteten.

Die Erbgutanalysen von 18 Individuen aus der Zeit vor 6.500 bis 5.400 Jahren bestätigen die Heterogenität der archäologischen Funde. Neben der lokalen genetischen Signatur der kupferzeitlichen Siedler Südosteuropas konnten auch genetische Signaturen aus der Steppe und dem Nordkaukasus nachgewiesen werden. Dies deutet auf eine Mischung von Einflüssen hin, die in dieser Kontaktzone zwischen 6.500 und 5.400 Jahren vor heute aufeinandertrafen.

Frühere archäogenetische Studien haben gezeigt, dass die frühen Hirtenvölker der angrenzenden Steppengebiete Osteuropas ein deutlich anderes genetisches Profil hatten als die bäuerlichen Gesellschaften in Südosteuropa. Dieses genetische Profil leitete sich zu fast gleichen Teilen von osteuropäischen Jäger-Sammlern aus dem heutigen Südrussland sowie dem südlichen Kaukasus ab. Das Wissenschaftlerteam konnte diese genetische Signatur auch im Schmelztiegel um das heutige Odessa finden. »Die größte Überraschung für uns war, dass wir eine Beimischung der typischen genetischen Steppensignatur nun mehr als 500 Jahre früher als erwartet fanden«, sagt Erstautorin Sandra Penske vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

»Das bedeutet, dass es neben einem archäologisch belegten kulturellen Austausch in der nordwestlichen Schwarzmeerregion auch einen genetischen Austausch zwischen Gruppen aus dem Westen und Osten gab«, fügt Svend Hansen hinzu, Direktor der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts und einer der leitenden Autoren der Studie. Eine Zeit des frühen Kontaktes und Austausches ist mit den neuen Individuen aus der heutigen Ukraine damit deutlich dokumentiert.

Wichtig zu erwähnen ist allerdings, dass kein Beweis dafür gefunden wurde, dass Gruppen aus der Steppe zum Untergang der kupferzeitlichen Kulturen geführt hätten, eine Theorie, die noch von manchen Archäologen des 20. Jahrhunderts vertreten wurde.

Die nachfolgende Frühbronzezeit ab 5.300 Jahren vor heute ist dann durch die Ausbreitung der Hirtennomaden in Zusammenhang mit der Jamnaja-Kultur charakterisiert, welche aus diesem Austausch und Kontakthorizont hervorging. »Individuen aus dem heutigen Bulgarien und der Ukraine, die in für die Steppe charakteristischen Grabhügeln bestattet wurden, tragen ebenfalls die typische »Steppensignatur«. Weiter landeinwärts fanden wir aber auch Individuen, die noch das lokale kupferzeitliche Profil aufweisen«, erklärt Wolfgang Haak vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und leitender Autor der Studie.

Die Gründe für die rasche Ausbreitung der Hirtennomaden ist noch nicht vollständig geklärt, die kulturellen und technologischen Vorrausetzungen für vollumfängliche Wanderweidewirtschaft waren aber nun allesamt gegeben. Die Forschenden haben sich die verschiedenen Gruppen, die mit der Jamnaja-Kultur assoziiert sind, genauer angesehen. »Wir sehen, dass all diese Gruppen einander genetisch sehr ähnlich sind, was auf einen gemeinsamen Ursprung hindeutet. Wir finden aber auch geringe Einflüsse lokaler Gruppen, abhängig von der geografischen Region in welche sich die Hirtennomaden ausbreiteten«, sagt Sandra Penske.

Insgesamt zeichnet die Studie ein hochdynamisches Bild der Vorgeschichte Südosteuropas, aus welchem deutlich wird, dass differenzierte, archäogenetische Studien wie diese, völlig neue Einblicke in die Interaktionen prähistorischer Kulturen und die genetische Geschichte dieser Region ermöglichen.

Kupferzeitlicher Siedlungshügel in Rumänien
Der kupferzeitliche Siedlungshügel Măgura Gorgana bei Pietrele im heutigen Rumänien. Foto © Konstantin Scheele
Publikation

Sandra Penske, Wolfgang Haak et al.

Early contact between late farming and pastoralist societies in southeastern Europe.

Nature. 20.07.2023
DOI: 10.1038/s41586-023-06334-8
https://www.nature.com/articles/s41586-0...