Viergöttersteine sind Teile von römerzeitlichen Jupitergigantensäulen, die vor allem in der römischen Provinz Germania Superior errichtet wurden, in der auch das heutige Reutlingen liegt. Diese Monumente bestehen in der Regel aus einer Säule, die von einer Figurengruppe bekrönt wird, die Jupiter auf einem Pferd zeigt, wie er ein Blitzbündel schleudert und einen Giganten niederreitet. Die Säule selbst steht auf einem achtseitigen Wochengötterstein mit der Darstellung der Wochentage; darunter befindet sich - als Basis - ein Viergötterstein. Auf dessen Seiten sind Abbildungen von unterschiedlichen griechisch-römischen oder keltischen Gottheiten und gelegentlich Inschriften angebracht.
Bei den Jupitergigantensäulen handelt es sich um provinzialrömische Monumente, die im Laufe des 1. Jahrhunderts erstmals auftraten und vor allem im 2. und frühen 3. Jahrhundert häufig aufgestellt wurden. Man errichtete sie an ganz unterschiedlichen Orten, wie z. B. in heiligen Bezirken, an Straßenkreuzungen, auf zentralen Plätzen oder bei landwirtschaftlichen Gehöften. Mit dem Abzug des römischen Militärs und dem Ende der römischen Herrschaft im 3. Jahrhundert nach Christus wurden diese Säulen zerstört und beseitigt, lediglich in Ostfrankreich ist noch ein seit der Antike erhaltenes Denkmal bekannt.
Der Stein aus Reutlingen wurde von Mitarbeitern des LAD, mit Unterstützung der Fa. Bosch und den Baufirmen vor Ort verladen und zur Restaurierung bzw. Untersuchung in den Dienstsitz des LAD nach Tübingen gebracht. Die wissenschaftliche Bearbeitung ist zwar erst angelaufen, aber dennoch gibt es bereits einige vorläufige Ergebnisse. Die Götterdarstellungen sind sehr gut erhalten und ihre Qualität zeugt vom großen Können des Bildhauers. Dargestellt sind Merkur und Minerva sowie eine weitere weibliche Gottheit die noch nicht eindeutig bestimmt ist. Möglicherweise handelt es sich um Ceres, die Göttin des Ackerbaus und der Ehe. Die vierte Seite ist ungewöhnlich. Hier sind zwei Personen dargestellt, die bisher noch nicht bestimmt werden konnten. Es sind bärtige Männer, von denen einer dem anderen den Arm um die Schulter legt. Möglicherweise handelt es sich um die Brüder Castor und Pollux, die aus der griechischen Mythologie bekannt sind und auch von den Römern verehrt wurden (dagegen sprechen die fehlenden Mützen und die gewöhnlicherweise jugendliche Darstellung).
Genau genommen ist der Reutlinger Fund also kein Vier-, sondern ein Fünfgötterstein. Er ist sowohl aus regionalgeschichtlicher als auch aus wissenschaftlicher Sicht ein wichtiger Fund und betont die Bedeutung der römischen Besiedlung im heutigen Reutlingen.