»Die in diesem Jahr erzielten Ergebnisse zeigen weitere Aspekte der Neugestaltung der frühbyzantinischen Stadt auf und bestätigen unsere Vermutungen einer Transformation der antiken zur christlichen Zivilisation«, so die Leiterin des Forschungsprojekts, PD Dr. Beate Böhlendorf-Arslan, und betont weiter: »Zusammen mit den aufgefundenen Objekten des täglichen Lebens rekonstruieren wir seit Projektbeginn das Alltagsleben einer Provinzstadt im 4. bis 7. Jahrhundert n. Chr.«
Auf Basis der aktuellen Funde vermutet das Archäologen-Team, dass das Gasthaus, das nahe dem Haupteingangstor der Stadt gelegen ist, mit einer Kapelle ausgestattet gewesen sei. Der Gebäudekomplex besteht aus mehreren Räumen: Zentral im Erdgeschoss gelegen befinden sich ein großer Aufenthaltsraum mit rückwärtiger Küche, Backofen und Speicherraum, den eine Galerie überspannt. Diese Galerie wurde als Speisezimmer genutzt; hier befanden sich einst vier Marmortische. Daneben liegen zwei kleine Kammern, davon ein Treppenraum, über den das nicht mehr erhaltene Obergeschoss über eine weitere Treppe betreten werden konnte.
Die nördliche Kammer wurde dagegen als Werkstätte genutzt. Nach den Funden von Sattlernadeln, Punzen und kleinen Schabern zu urteilen, wurden hier offensichtlich Ledergegenstände der Gäste repariert. Ein größeres Zimmer im Norden wurde wahrscheinlich als weiterer Gast- oder Aufenthaltsraum genutzt. Die Wände des Raumes sind mit durchgehenden Steinbänken flankiert, im Zentrum stand ehemals ein kleiner Tisch. Erhellt wurde der Bereich durch große Glasfenster und an Ketten aufgehängte Glaslampen, die in Scherben an einer Stelle gefunden wurden. Die Bereiche nahe der Stadtmauer waren offensichtlich Schlafräume und Ställe.
Ein weiterer Fokus der aktuellen Ausgrabungskampagne lag in dem Areal der schon 2015 entdeckten Audienzhalle des Bischofs: Zur Klärung der in den letzten beiden Jahren untersuchten Terrasse, die mit der Kirche, bischöflichen Audienzhalle und Grabkapelle das neue Zentrum der frühbyzantinischen Stadt bildete, ist in diesem Jahr ein Gebäudekomplex am Nordrand des Areals ausgegraben worden.
Dieser Komplex besteht aus mindestens fünf L-förmig aneinander gereihten Räumen. Der mittlere davon diente wahrscheinlich als Durchgang in die Terrasse. Den Eingang bildete ein massives Portal, dessen Türsturz mit einem Christogramm verziert war. An dieses Durchgangszimmer waren mehrere Vorrats- und Lagerräume angeschlossen. In diesen standen ein Trog und große Vorratsgefäße (Pithoi) noch an Ort und Stelle auf dem Fußboden. Offensichtlich wurden die Räume als Depot genutzt, in denen man diverse Gegenstände aufbewahrte. In einem der Räume lehnten mehrere große Dachziegel und ein Wasserrohr aus Ton für eine weitere Verwendung an den Wänden. Hinter einem der Dachziegelstapel ist eine Eisenhacke gefunden worden, die der Besitzer möglicherweise hier für die Reparatur des Daches niederlegte. In zwei großen – teilweise im Fußboden eingelassenen – antiken Vorratsgefäßen (Pithoi) ist möglicherweise Getreide gelagert worden. Der Fund einiger Messer, einer Getreidemühle und eine große Reibeschale aus Marmor weist darauf hin, dass auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten verrichtet worden sind. Die Archäologen vermuten, dass das hierzu benötigte Wasser aus einem mehr als 4,5 m tiefen Brunnen gewonnen wurde, der sich an zentraler Stelle des Raumes befindet.
Alltag und Lebensumstände des 6. und 7. Jahrhunderts sind durch diesen Depotraum rekonstruierbar. Ein überraschender Fund und gut versteckt zwischen der rückwärtigen Zimmerwand und einem der Pithoi wurden Überreste eines Ferkels gefunden, das offensichtlich beim Einsturz des Daches unter diesem begraben wurde. Die vielfältigen, an Ort und Stelle belassenen Objekte in diesem Komplex (und auch in den anderen bisher ausgegrabenen Gebäuden) weisen einmal mehr daraufhin, dass Assos von einer verheerenden Naturkatastrophe, wahrscheinlich einem Erdbeben, heimgesucht wurde, die das Ende der frühbyzantinischen Stadt im 7. Jahrhundert einleitete. Das Resultat dieser Katastrophe, die durch einstürzende Mauern und Dächer verschütteten Gegenstände, helfen nun dem Archäologen-Team, den Alltag der frühbyzantinischen Stadt zu rekonstruieren.
Seit Oktober 2013 ist am Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt "Entwicklung der Stadt Assos in spätantiker und byzantinischer Zeit" angesiedelt. Durch die Einbettung in den Leibniz-»WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident« (LWC Mainz) besteht die Möglichkeit für Studierende der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (JGU), sich an diesen Forschungen zu beteiligen und zusammen mit Studierenden der Universitäten Çanakkale und Istanbul (Türkei) an den türkischen Ausgrabungen teilzunehmen.