Die Alamannen und das Christentum

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Die Ausbreitung des Christentums darf wohl als eine der wichtigsten und folgenreichsten Ereignisse in der Geschichte der Alamannen bezeichnet werden, die von jeher das besondere Interesse der Frühmittelalterforschung auf sich gezogen hat. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daß Zeitraum und Art der Glaubensübernahme nach wie vor umstritten sind und gerade in jüngster Zeit vor dem Hintergrund großer Ausstellungen und Fachtagungen wieder kontrovers diskutiert werden.

Theoretisch bestand die Möglichkeit, daß die Alamannen bereits in der Spätantike (4./5. Jahrhundert) durch den Kontakt mit ihren einstigen Kontrahenten und späteren Grenznachbarn, den Römern, sowie durch die intensiven Stammesbeziehungen zu den bereits christlichen Burgundern und Goten mit dem Christentum in Verbindung kamen. Doch dürfte eher der Übertritt des Frankenkönigs Chlodwig zum römisch-katholischen Glauben und seine Taufe am Weihnachtsfest des Jahres 508 durch Bischof Remigius von Reims wohl auch für das Christentum bei den Alamannen ein Stichdatum gewesen sein. Den Berichten des fränkischen Geschichtsschreibers Gregor von Tours (540-594) zufolge war schließlich der Schlachtensieg über die Alamannen 486/497 der Auslöser, weswegen Chlodwig gelobt hatte, sich taufen zu lassen.

Durch das Ergebnis dieser Entscheidungsschlacht wurden die Weichen für den Einzug des Christentums bei den Alamannen gestellt, so daß man den Zeitraum zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert n.Chr. - die sogenannte Merowingerzeit - als die Christianisierungsepoche der Alamannen bezeichen kann. Schriftliche Zeugnisse, die hierüber Auskunft geben könnten, sind jedoch bemerkenswert dürftig: Es scheint, als habe sich diese bedeutsame geistesgeschichtliche Wende ganz im Stillen und erst recht spät vollzogen. Etwa zur Mitte des 6. Jahrhunderts stellt der byzantinische Geschichtsschreiber Agathias aus Myrina in seinem Bericht über den Krieg der Franken und Goten gegen die Byzantiner fest, daß sich die im Heer des Frankenkönigs Theudebald mitkämpfenden Alamannen lediglich in Bezug auf ihre Religion von den Franken unterscheiden, da sie "irgendwelche Bäume und Flüsse, Hügel und Schluchten wie Götter verehren, indem sie, als wären es heilige Handlungen, Pferden und Rindern und unzähligen anderen Tieren die Köpfe abschlagen". Außerdem schildert er, wie schonungslos die alamannischen Heeresteile christliche Heiligtümer verwüsteten und Kirchenschätze plünderten, wohingegen "die von ihnen, die echte Franken waren, den Heiligtümern viel Schonung und Rücksicht erwiesen". Allerdings, so äußert Agathias die Hoffnung, werde sich die Gesinnung der Alamannen durch deren engen Kontakt zu den Franken sicherlich in kurzer Zeit zum Besseren bekehren.

Rund einhundert Jahre später verfaßt der Mönch Jonas von Susa im Kloster Bobbio eine Lebensbeschreibung des Iren Columban, der sich an der Wende des 6. zum 7. Jahrhundert im Bodenseeraum als Missionar betätigt haben soll. In Bregenz soll Columban mit seinen Gefährten, unter denen sich auch sein Schüler Gallus befand, "die Saat des Glaubens unter den Heiden" verbreitet haben, indem er ein Opferfest zu Ehren Wodans, der auch als Merkur angesprochen wird, im wahrsten Sinne des Wortes platzen läßt. Ein Wunder versetzt den Atemhauch des Mönchs in die Lage, ein mit Opferbier gefülltes Faß zum Bersten zu bringen, so daß der Teufel, der im unheiligen Getränk verborgen war, entschwindet. "Die Barbaren, die es sahen, sagten verblüfft, der Mann Gottes habe einen starken Atem, da er ein mit starken Verstrebungen zusammengehaltenes Gefäß zerstören könne. Er aber tadelte sie mit den Worten des Evangeliums, von solchen Opfern künftig abzulassen und heimzugehen. Viele ließen sich, beeindruckt von den Worten der Belehrung des heiligen Mannes, zum Glauben an Christus bekehren und wurden getauft; Andere hingegen, die durch das Wasser der Taufe zwar schon gereinigt, aber noch mit heidnischem Irrglauben versehen waren, führte er durch seine Ermahnungen zur Befolgung der Lehre des Evangeliums als guter Hirte zurück in den Schoß der Kirche".

Vom Walhall ins Paradies ?

Die schriftlichen Überlieferungen scheinen die landläufige Vorstellung von der religiösen Geisteshaltung der Alamannen zu bestätigen, die noch lange und zäh an den alten heidnischen Kulten festhielt und allenfalls eine oberflächliche Hinwendung zum Christentum betrieb. Auch die archäologischen Zeugnisse lassen vorgeblich zunächst keinerlei grundlegende kulturelle Folgen eines Christianisierungsprozesses erkennen. Der traditionelle Bestattungskult, bei dem die Toten dem Vermögen der Hinterbliebenen entsprechend mit reichen Beigaben auf den zentralen, abseits der Siedlungen gelegenen Gräberfeldern beerdigt wurden, verläuft ungebrochen weiter und zudem wirken manche Beigabenensembles, vor allem in den waffenstarrenden Männergräbern, alles andere als christlich. Aus dieser Situation resultiert die häufig geäußerte Einschätzung, daß der Prozeß der Christianisierung in den rechtsrheinischen Gebieten des Merowingerreiches nur allmählich voranschritt. Allenfalls ein Glaube, der sich den Schutz der alten wie der neuen Religion sichern wollte, wird den Alamannen auch von archäologischer Seite zugebilligt. So sei etwa das traditionell-germanische Dekor des sogenannten Tierstils, verbunden mit christlicher Symbolik, auf einem Objekt ein Hinweis auf diesen Glauben, der sehr gerne mit dem Begriff Synkretismus versehen wird.

Da man sich traditionell vorstellt, die vorchristliche Religionswelt der Alamannen sei mit den Göttern der germanischen Heldensagen bevölkert gewesen, wird die Synkretismus-Theorie und der Übertritt der Alamannen zum Christentum auch mit Slogans wie "Zwischen Heidenopfer und Christenglauben", "Vom Walhall zum Paradies" oder "Von Wodan zu Christus" propagiert. Doch lassen sich die anziehend- geheimnisvoll klingenden Klischees von der religiösen Haltung der Alamannen archäologisch tatsächlich nachweisen ? Abgesehen von einzelnen und zudem umstrittenen Hinweisen, etwa Runeninschriften mit der Nennung germanischer Gottheiten, existieren so gut wie keine zuverlässigen Hinweise, die über das religiöse Geistesleben der Alamannen während der Merowingerzeit so sicher Auskunft geben wie die Gegenstände mit christlichem Symbolgehalt. Auf unzähligen Objekten, die als Bestandteile der Kleidung der Verstobenen in die Gräber gelangten, finden sich Kreuze, abstrakte Christusdarstellungen und christliche Heilszeichen, die sich der Tier- und Pflanzenwelt bedienen. Manche Objekte, wie die runden Gewandspangen des 7. Jahrhunderts, sogenannte Scheibenfibeln, weisen erst bei genauerer Betrachtung eine aus Filigran und Halbedelsteinen konzipierte Kreuzsymbolik auf, andere Gegenstände wiederum integrieren die christlichen Symbole in den traditionellen alamannischen Dekorschatz. Um vieles eindeutiger sind die oft auf mediterrane Vorbilder zurückzuführenden figürlichen Darstellungen mit biblischen Motiven, wie etwa die Mariendarstellung auf einer der Hüfinger Phaleren aus dem beginnenden 7. Jahrhundert, die vielleicht aus Byzanz stammt.

Eine besondere Eigenart christlicher Bestattungspraxis bei den Alamannen wie auch bei den Bajuwaren war die sogenannte Goldblattkreuzbeigabe, eine Sitte, die spätestens um 600 aus dem südalpinen, langobardisch-byzantinischen Raum in die Gebiete nördlich der Alpen gelangte und vor allem im Verlauf des 7. und auch noch zu Beginn des 8. Jhs. üblich war. Die hierzu verwendeten Kreuze aus dünnem Blech, die auch als Folienkreuze bezeichnet werden, da sich unter Ihnen vereinzelt auch solche aus Silber- oder Bronzeblech befinden, lagen stets in der Nähe des Kopfes oder der Brustgegend. Offenbar waren sie ursprünglich auf einem Schleier oder Leichentuch befestigt, der das Gesicht des Toten bedeckte, so daß der Mund mit dem Kreuz in Berührung kam. Annähernd einhundert solcher Kreuze sind bis heute aus dem nordalpinen Raum bekannt, von denen weit über die Hälfte im alamannischen Siedlungsgebiet, vor allem zwischen Neckar und oberer Donau gefunden wurde. Im Gegensatz zu anderen Objekten mit christlichem Symbolgehalt, die bereits vor ihrer Deponierung als Grabbeigabe in der Welt der Lebenden in Benutzung waren, dienten die Folienkreuze ausschließlich dem Grabbrauch. Sie wurden hierfür nicht etwa aus dem italischen Raum importiert, sondern offenbar bei Bedarf jeweils individuell vor Ort hergestellt, wofür ihre oft sehr nachlässig angebrachte Verzierung mittels Preßblechstempeln spricht, die im krassen Gegensatz zum Materialwert der Kreuze steht.

Gerade vor dem Hintergrund der Goldblattkreuzsitte läßt sie Fülle von Gegenständen mit christlicher Symbolik zunehmend berechtigte Zweifel an der stellenweise bis heute gängigen Methode aufkommen, Kreuzzeichen als bloßes Dekor abzuwerten und die derart verzierten Objekte als Importgegenstände zu bezeichnen, deren Sinngehalt unverstanden blieb. Im Gegenteil ist es stattdessen, um Rainer Christlein zu zitieren, "an der Zeit, im archäologischen Fundmaterial unserer Reihengräber des 7. Jahrhunderts ernsthaft nach Zeugnissen des Heidentums zu suchen".

Die "Christianisierung" als Forschungsproblem

Abgesehen von der mangelhaften analytisch-neutralen Beurteilung der archäologischen Quellen scheint es der Forschung auch immer noch schwer zu fallen, sich eine geistesgeschichtlich derart bedeutsame Begebenheit wie die Annahme des Christentums bei den Alamannen anders vorzustellen, als einen systematischen und zielgerichteten, kirchenorganisatorischen Prozeß. Doch kann die Frage der Christianisierung der Alamannen ohnehin nicht pauschal beantwortet werden, da deren partikularistische, an Gefolgschaft und Personenverband orientierte Gesellschaft innerhalb des Stammesgebietes nicht überall dieselben Bedingungen für einen gleichgerichteten Bekehrungsvorgang bot. Der Begriff "Christianisierung" wird daher mittlerweile von einigen kritischen Vertretern der neueren Forschung nicht ganz unberechtigt in Anführungszeichen gesetzt und im Hinblick auf seine Anwendbarkeit für die Übernahme des christlichen Glaubens bei den Alamannen in Frage gestellt. Festzuhalten bleibt außerdem, daß bei der Glaubensannahme der Alamannen nirgendwo Gewaltanwendung oder Repressalien im Spiel waren, wie etwa bei der Bekehrung der Sachsen in karolingischer und bei den Slawen in ottonischer Zeit.

"Missionierung" und Eigenkirchenwesen

Vielfach wird die Ausbreitung des Christentums bei den Alamannen mit dem Aufkommen der ersten Kirchen gleichgesetzt, doch kennzeichnen diese eher einen Höhepunkt, keinesfalls jedoch den Beginn der Christianisierung. Durch die mittlerweile recht stattliche Zahl archäologisch untersuchter Kirchen läßt sich mit großer Sicherheit feststellen, daß die frühesten Kirchenbauten der Alamannia nämlich schon in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts, also bereits einige Jahrzente vor dem vermeintlichen Wirken irischer Missionare und nur wenige Zeit nach den Schilderungen des Agathias errichtet wurden. Allerdings waren die ersten alamannischen Landkirchen alles andere als prächtige Gotteshäuser. Es handelt sich dabei zunächst um einfache rechteckige Holzpfostenbauten, selten länger als fünfzehn und breiter als zehn Meter und oft noch ohne charakteristische Apsis, die allein von ihrem Grundriss her kaum von zeitgleichen hölzernen Wohnbauten zu unterscheiden sind. Im Verlauf des 7. Jahrhunderts wurden diese Holzkirchen an der gleichen Stelle mitunter durch Steinkirchen mit annähernd gleichen Proportionen ersetzt. Mancherorts wurde die erste Kirche am Ort auch gleich in Stein errichtet, doch blieb der Holzkirchenbau parallel dazu weiterhin in Gebrauch. Die maßstabsgetreu rekonstruierte Steinkirche von Herrsching am Ammersee in Oberbayern vermittelt einen sehr anschaulichen Eindruck von der Gestalt eines solchen, sowohl im bajuwarischen wie auch im alamannischen Gebiet für das 7. Jahrhundert typischen Gotteshauses. Sie kann in einem archäologischen Park besichtigt werden, der vor wenigen Jahren genau an der Stelle errichtet wurde, an der die Kirchenbaubefunde ausgegraben worden waren.

Auffällig selten lassen sich für diese Kirchen die wichtigsten Notwendigkeiten einer liturgischen Ausstattung, wie etwa Altäre oder Taufsteine, archäologisch nachweisen. Charakteristisch ist hingegen, daß die meisten frühmittelalterlichen Gotteshäuser im Innern sowie unmittelbar außerhalb eine Reihe von zeitgleichen Gräbern mit zuweilen sehr reichen und kostbaren Grabausstattungen aufweisen. Eines der bemerkenswertesten und schönsten Inventare dieser Art stellt ohne Frage die reiche Schmuckausstattung der Dame aus Grab 10 in der Peterskirche von Lahr-Burgheim im Ortenaukreis dar. Die qualitätvoll verarbeiteten Bestandteile dieses Beigabenensembles belegen in beispielloser Weise die enge Verbindung des traditionellen Amulettglaubens mit der christlichen Heilssymbolik und sind zugleich ein Zeichen dafür, daß die in der Zeit um 700 bestattete Dame wohl nicht nur zu den vornehmsten, sondern auch zu den frommsten Frauen ihrer Zeit gehört haben dürfte.

Die ersten christlichen Heiligtümer des frühen Mittelalters waren somit keinesfalls in erster Linie für den Gottesdienst errichtet worden. Als sogenannte Eigenkirchen waren sie im persönlichen Besitz jener Eliten, deren Gräber oft ad sanctos, d. h. in der Nähe des Altars und somit im Einflußbereich der Heiligenreliquien zu finden sind, und dienten vorrangig dem privaten Seelenheil ihrer Familien und dem Gedächtnis an die Ahnen. Erst viel später, während des 8. und 9. Jahrhunderts, werden diese Kirchen auch mit den begehrten Pfarrechten versehen, die den ehemaligen Besitzern als Pfarrherren durch den Kirchenzehnt erträgliche Einkünfte sicherte. Doch zugleich bestimmten diese auch den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Kirche und ihre uns bekannten gottesdienstlichen und seelsorgerischen Aufgaben (z.B. Taufe, Bestattung, Beichte) sowie ihre rechtsverbindliche Zugehörigkeit zu einem Bistum.

Aus der Datierung der Kirchen und Kirchengräber ergibt sich also, daß vor allem die Angehörigen der alamannischen Oberschicht bereits im späteren 6. Jahrhundert größtenteils Christen gewesen sein dürften. Deren Übertritt zum Christentum erfolgte ohne Frage nach dem historisch überlieferten Vorbild des Frankenkönigs Chlodwig, indem die Glaubensannahme des Gefolgsherren den entscheidenen Impuls für die Bekehrung im Kreis der Gefolgschaft lieferte, denn es verstand sich von selbst, dessen Beispiel zu folgen. Christliches Bekenntnis war religiöser Zeitgeist und Lifestyle zugleich und wurde als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit angesehen, um zu den Großen jener Zeit gehören zu können. Im alamannischen Raum dürfte dieser Impuls am ehesten vom Herzogshaus ausgegangen sein. Über die Zugehörigkeit der alamannischen Herzöge und ihrer Familien zum fränkischen Hofadel ergab sich recht schnell und weitgehend unkompliziert die Hinwendung der alamannischen Eliten zum christlichen Glaubensbekenntnis. Gleichsam dürften edle Familien aus den linksrheinischen Gebieten des Merowingerreiches, die sich in den rechtsrheinischen Gebieten niederließen und hier ihre Kirchen bauten, als zusätzliches Vorbild gewirkt haben. Die christliche Organisation in Alamannien war somit nicht das systematische Werk einzelner Missionare oder Heiliger, sondern wurde vor allem von den merowingischen Eliten getragen.

Kirche, Klerus, Königtum

Insofern muß auch die Entstehung des Bistums Konstanz, das als eines der wichtigsten Ereignisse der alamannischen Kirchengeschichte zu bezeichnen ist, deutlich differenzierter betrachtet werden. Dessen Anfänge liegen nach wie vor im Dunkeln, denn keine der Quellen, die von seiner frühen Existenz zeugen, ist vor dem 8. Jahrhundert entstanden. Gleichwohl geht die Forschung einhellig und sicher nicht zu unrecht von einer Gründung während der Merowingerzeit aus, doch ist der nähere zeitliche Rahmen sowie der eigentliche Anlass umstritten. Die zumeist übliche Datierung in das ausgehende 6. Jahrhundert oder die Zeit um 600 basiert im wesentlichen auf den Schilderungen der Vita des heiligen Gallus, denn die etwa um 615 anzusetzende Bischofswahl des Diakons Johannes von Grabs durch den alamannischen Herzog Cunzo lassen das Bistum Konstanz bereits als festgefügte Institution erkennen. Bemerkenswert an der Entstehungsgeschichte des Bistums Konstanz ist die Tatsache, daß es sich im Gegensatz zu den alten Bistümern links des Rheins, wie etwa Mainz, Speyer oder Straßburg aller Wahrscheinlichkeit nach auf keine spätrömischen Kirchentraditionen berufen konnte. Dennoch war es kein "Missionsbistum" im eigentlichen Sinne, das in kirchlich völlig unerschlossenem Terrain tätig war, wie die ältere, kirchengeschichtliche Forschung immer wieder behauptet hat. Wie auch das Bistum Augsburg, das mit der Verehrung der heiligen Afra immerhin über eine auf die Spätantike zurückzuführende Ursprungslegende verfügt, stützte sich die Konsolidierung des Bistums Konstanz vielmehr auf die Initiative regionaler, weltlicher Mächte, an deren Spitze das alamannische Herzogtum stand, so daß sich auch der erste Sprengel des Bistums Konstanz mit dem Herrschaftsterritorium der alamannischen Herzöge deckte. Der Prozeß der institutionellen Verankerung des Christentums in der alamannischen Gesellschaft kommt auch in der alamannischen Gesetzgebung deutlich zum Ausdruck. Während der zu Beginn des 7. Jahrhunderts verfaßte Pactus Alamannorum im Zusammenhang mit den Vorschriften zum Asylrecht quasi nebenbei auch zu den Rechten der Kirche Stellung nimmt, räumt die um 719/720 vom Alamannenherzog Lantfried erlassene Lex Alamannorum den kirchlichen Rechtsbestimmungen schließlich ein eigenes Kapitel ein.

Doch ist es sicherlich zu modern gedacht, den zunehmenden Einfluß der Kirche lediglich als politisches Mittel zur Festigung der weltlichen und geistlichen Herrschaft zu betrachten. Die Institutionalisierung der schon bestehenden Grundlagen christlicher Gesinnung war eine unausweichliche geistesgeschichtliche Konsequenz, die eine solide Grundlage für ein neues Identitätsbewußtsein schuf, quasi ein "wir-Gefühl", eigenständig-merowingischer Reichskultur. Selbstverständlich profitierte auch das merowingische Königtum von einer gefestigten, kirchlich-administrativen Infrastruktur in den Gebieten rechts des Rheins. Erst die Gemeinschaft des Glaubens, die alle Volksteile des Merowingerreiches unter einer allumspannenden Religion zusammenfaßte, bot die Garantie für eine stabile Königsherrschaft. Besonders eng ist die kirchliche Entwicklung mit der Regierungszeit König Chlothars II. (613-629) sowie vor allem mit dessen Sohn und Nachfolger Dagobert I. (623-639) verbunden, der als Herrscher über das dem alamannischen Siedlungsgebiet benachbarte Teilreich Burgund bestrebt war, beide Reichsteile miteinander sowohl politisch wie auch religiös zu verbinden. Es verwundert daher nicht, in den Kirchen des alamannischen Raumes mitunter Gräber merowingerzeitlicher Geistlicher der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts anzutreffen, die mit ihren charakteristischen Grabausstattungen deutliche Indizien dafür liefern, daß die ersten Priester Alamanniens aus dem burgundischen Raum kamen, wo die Entwicklung des sogenannten "irofränkischen" (besser: merowingischen) Mönchtums mit der Gründung des Vogesenklosters Luxeuil unter Columban ihren Anfang nahm. Nicht der irische Klostergründer und angebliche Alamannen-Missionar, wohl aber die der Klosterinstitution entwachsenen und in deren Regeln geschulten Nachfahren sorgten somit für die infrastrukturelle Festigung der Kirche in den rechtsrheinischen, alamannisch-bajuwarischen Gebieten.

Institutionalisierung und Glaubensmentalität

Ein Christentum im vereinfachten Sinne der paulinischen Ecclesia , d.h. einer Gemeinschaft mit christlichem Gedankengut, christlicher Symbolik und christlichem Selbstverständnis hat es - daran lassen die archäologischen Indizien keinen Zweifel - zwar nicht flächendeckend, jedoch großräumig bereits spätestens seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts auch rechts des Rheins schon gegeben. Doch entbehrte der Glaube der frühmittelalterlichen Menschen - und damit sind alle gesellschaftlichen Schichten mit Ausnahme des Klerus gemeint - jener intellektuell-dogmatischen Kompliziertheit, in der sich das Christentum während der Spätantike entfaltet hatte. Die ersten alamannischen Christen, von denen wohl kaum jemand lesen oder schreiben konnte, wußten wahrscheinlich wenig von der tieferen Botschaft der Bibel. Das wesentliche, was man für das Bekenntnis zum Christentum verstand, war die Vorstellung von einem Gott und dessen Sohn Jesus Christus als seinen Boten. Für das gelebte alamannische Christentum, das sich überwiegend an den religiösen Erfordernissen des Alltags orientierte, waren Fragen nach einer bestimmten Auslegung des Neuen Testamentes unwichtig. Die christliche Gesinnung der Alamannen des 6. und 7. Jahrhunderts dürfte somit im wahrsten Sinne des Wortes konfessionslos gewesen sein, so daß allem Anschein nach nicht einmal die Taufe eine integrale Bedeutung besaß, um sich als Christ zu fühlen. Stattdessen galt die Regel, daß man durch sein gesellschaftliches Umfeld in die neue Lebens- und Glaubensauffassung hereinwachsen konnte. Ein solcher Glaube, für den der Kirchgang noch keine Rolle spielte, ist sicherlich nicht als fromm zu bezeichnen. Oberflächlichkeit sollte ihm jedoch nicht unterstellt werden, denn man glaubte in allen Situationen des Lebens ehrfürchtig und aufrichtig an die göttliche Allmacht und dessen Schutz, den man sich durch Amulette, Kreuzzeichen und christliche Symbolik zu sichern erhoffte.

Daß sich dieses noch nicht institutionalisierte - oder vereinfacht: nicht kirchliche "Wildchristentum" - noch lange halten konnte, lag zum einen an der mangelnden kirchlichen Infrastruktur, die bis zur Einführung des Pfarreisystems von der Initiative einzelner Kirchengründer abhing, ebenso läßt sich dieser Zustand auch auf eine Diskrepanz zwischen den religiösen Verhältnissen in der Stadt und auf dem Land zurückführen. Nicht ohne Grund leitet sich der für das Heidentum gewählte antike Begriff "Paganismus" von lateinisch paganus = der Bauer ab, direkt übersetzt also in erster Linie "der Glaube der Leute auf dem Lande", der im Gegensatz zum städtischen Glauben schon seit vorchristlich-römischer Zeit mit dem traditionellen Vorurteil behaftet war, im wahrsten Sinne des Wortes 'bodenständig' und damit besonders primitiv zu sein. Die Alamannen waren von jeher ein landwirtschaftlich ausgerichtetes Volk und die wenigen urbanen Zentren auf alamannischem Territorium, welche den Untergang des römischen Reiches in einer wie auch immer gearteten Form überdauert haben könnten, waren keinesfalls mit den großen linksrheinischen Städten wie Köln oder Trier vergleichbar.

Das institutionalisierte Christentum bei den Alamannen konnte sich daher nur durch den Import aus den westlichen, fränkischen Gebieten des Merowingerreiches ausbreiten, doch selbst dort entsprach die Moral der Christen auf dem Land oft noch nicht den Vorstellungen des hohen Klerus. Der Begriff "Heidentum" ist in den historischen Quellen somit nicht selten lediglich die abschätzige Umschreibung für einen nicht den Dogmen und Vorstellungen der Kirche entsprechend praktizierten Glauben, den es galt, durch kirchliche Instanzen und Glaubensvorschriften umzuformen. Gleichwohl orientierte sich die Konsolidierung der christlichen Glaubenslehre noch lange Zeit an den für unsere Begriffe archaischen Lebenseinstellung der frühmittelalterlichen Gesellschaft. In der durch Gregor von Tours als Christianisierungsmotiv für Chlodwig geschilderten Vorstellung vom "stärkeren Gott" und "Siegeshelfer" kommt am deutlichsten die religiöse Mentalität vor allem der Eliten des Merowingerreiches zum Ausdruck, die von der Formel 'do ut des ', d.h. von den Überlegungen des beiderseitigen "Nehmens und Gebens" geprägt sind, welche auch die Grundlage für das gefolgschaftlich orientierte Zusammenleben der Menschen in jener Zeit darstellte.

Als Religionsphänomen blieb diese Vorstellung im Opfer- und Reliquienkult der katholischen Kirche auch nach dem Mittelalter bis in die Zeit der Aufklärung ein beherrschender Wesenszug der praktizierten christlichen Frömmigkeit. Das frühmittelalterliche Christentum passte sich in seiner dynamischen Entwicklung der martialischen, offenen Ranggesellschaft der Merowingerzeit an, wie sie sich unzweifelhaft auch in den Grabausstattungen jener Zeit widerspiegelt. Der Christus der Alamannen ist nicht das Lamm Gottes, sondern der Kriegerfürst, und dergestalt ist er auch auf zahlreichen Bilddenkmälern zu finden. Ein besonders ausdrucksstarkes Beispiel liefert etwa eine Illustration aus dem Stuttgarter Bilderpsalter, der trotz seiner Entstehung im 9. Jahrhundert bekanntermaßen reichliche Topoi auf die zurückliegenden spätantiken und merowingerzeitlichen Epochen aufzuweisen hat und damit zu den aufschlußreichsten und kostbarsten Handschriften gehört, welche die Schreibstuben alamannischer Klöster hervorgebracht haben. Als Kämpfer gegen das Böse, mit wehendem, purpurrotem Militärmantel und in zeitgenössischer Rüstung, mit Brünne, Spangenhelm und Lanze tritt Christus hier als Pantokrator des neuen Testamentes auf; nicht der leidende Christus steht sogar in zeitgleichen Passionsinterpretationen vorne an, sondern der Held. Mit einem solchen Gott, der in Personalunion von Wehrhaftigkeit und Rechtschaffenheit dem Lebensstil und den Idealen jener Zeit entsprach, identifizieren sich die Eliten des Merowingerreiches -und auch die Edlen Alamanniens, die so zum Wegbereiter für den Siegeszug des Christentums wurden.

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