Archäologie und nationalsozialistische Propaganda

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Archäologie & GesellschaftWissenschaftsgeschichte

Was hat Archäologie mit Politik zu tun? Nicht viel möchte man meinen, wenn man sich das Klischee des Archäologen als eines weltabgewandten, kauzigen Sonderlings ins Gedächtnis ruft. Beschäftigen sich Archäologen nicht gerade deshalb mit der Vergangenheit, weil sie ihrer Gegenwart im Grunde nur wenig abgewinnen können ? Dem eifrigen Kinogänger werden dagegen vielleicht jene finster dreinblickenden und in Naziuniformen gekleideten Gestalten in den Sinn kommen, mit denen sich der Musterarchäologe Indiana Jones zeitweilig herumzuschlagen hatte. Wo nun, zwischen diesen beiden Zerrbildern, ist die Tätigkeit jener Archäologen anzusiedeln, die tatsächlich in der Zeit des Nationalsozialismus lebten und arbeiteten? Welchen Einfluß hatten die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Archäologie als Wissenschaft? Und welchen politischen Zwecken konnte die Archäologie im Rahmen der nationalsozialistischen Diktatur dienen?

All diesen Fragen - unter dem besonderen Blickwinkel der Situation im besetzten Elsass und Lothringen während des II. Weltkriegs - widmet sich die Ausstellung L'Archéologie en Alsace et en Moselle au temps de l'annexion (1940-1944), die Ende März in Straßburg eröffnet wurde. Erarbeitet wurde sie von einem Team unter der Leitung von Bernadette Schnitzler, der Leiterin des Musée Archéologique de Strasbourg, sowie ihres lothringischen Kollegen Jean-Pierre Legendre, die beide durch ihre einschlägigen Publikationen aus den vergangenen 10 Jahren der Fachwelt als hervorragende Kenner der Materie bekannt sind. Besonders begrüßenswert ist die Ausstellung, da sie erstmalig - und das gilt nicht allein für Frankreich - einen Überblick über den momentanen Forschungsstand zum Thema "Archäologie und Nationalsozialismus" bietet. In Deutschland hat erst in den letzten Jahren eine dem Thema in Umfang und Form angemessene Forschungstätigkeit eingesetzt, nachdem diese heikle Epoche der Fachgeschichte zuvor weitgehend tabuisiert worden war - in ähnlicher Weise, wie in Frankreich lange Zeit der Komplex der in aller Regel erzwungenen, mitunter aber auch freiwilligen Zusammenarbeit der einheimischen Bevölkerung mit den deutschen Behörden während der Besatzungszeit nicht thematisiert wurde. Auch dieser Bereich wird in der Ausstellung nicht verschwiegen.

Nachdem die deutsche Wehrmacht im Sommer 1940 innerhalb weniger Wochen Frankreich besiegt hatte, wurde Nord- und Westfrankreich von deutschen Truppen besetzt. Während man den größten Teil dieses Gebietes unter deutsche Militärverwaltung stellte, wurden die Departements Moselle, Bas-Rhin und Haut Rhin, d.h. das Gebiet des ehemaligen Reichslands Elsass-Lothringen, dem Deutschen Reich eingegliedert. Begleitet wurde diese völkerrechtswidrige De-facto-Annexion von einer brutalen Germanisierungspolitik, die den Einheimischen die notwendige "germanisch-deutsche" Gesinnung einimpfen sollte. Unter der Devise "Hinaus mit welschem Plunder" wurden als nicht assimilierungswürdig erachtete Elsässer und Lothringer zu Tausenden verfolgt, vertrieben oder ermordet, Orte und Straßen umbenannt, die französische Sprache, das Tragen von Baskenmützen sowie vieles andere mehr verboten. Im Gegenzug wurden propagandistische Maßnahmen ergriffen, durch die den Bewohnern des besetzten Gebietes ihr "germanisches Volkstum" und damit ihre quasi naturwüchsige Zugehörigkeit zum Deutschen Reich bewusst gemacht werden sollte. In diesem Rahmen spielte die Ur- und Frühgeschichte eine nicht unerhebliche Rolle, wie in der Straßburger Ausstellung deutlich zum Ausdruck kommt. Die Palette der propagandistischen Einsatzmöglichkeiten der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie war vielfältig. Sie erstreckte sich zunächst auf die Förderung der Archäologie als einer Wissenschaft, der eine Schlüsselrolle bei der Erforschung der Vergangenheit der germanischen Völker zugeschrieben wurde. Die eilends aus der Taufe gehobene archäologische Bodendenkmalpflege sollte die zu "Bodenurkunden der germanischen Volksgeschichte" stilisierten archäologischen Denkmäler systematisch erfassen und betreuen. In den selben Kontext gehörte die Gründung eines archäologischen Instituts an der neuen und unter maßgeblichem Einfluss der SS stehenden "Reichsuniversität Straßburg", die als "geistiges Bollwerk gegen Westeuropa" gedacht war und den wissenschaftlichen Nachwuchs intellektuell auf Deutschland ausrichten sollte. Im öffentlichen Leben war die germanozentrische Ur- und Frühgeschichte bei verschiedensten Anlässen präsent; am massivsten durch archäologische Propagandaschauen, etwa der 1942 in Straßburg gezeigten Ausstellung mit dem bezeichnenden Titel "Deutsche Größe - 2000 Jahre Deutscher Kampf am Oberrhein". Nur wenig subtiler ging man gewöhnlich in den vielfältigen populärwissenschaftlichen Schriften zur "germanischen Frühgeschichte" des Elsass sowie bei Schautafeln oder anderen Unterrichtsmaterialen aus Schule und Universität zu Werke. Bis in welche Lebensbereiche sich die propagandistischen Einsatzmöglichkeiten erstreckten, verdeutlichen schließlich die archäologischen Objekten nachempfundenen Abzeichen des "Winterhilfswerks" .

Der Propagandaeinsatz im Zweiten Weltkrieg traf die deutsche Archäologie nicht unvorbereitet. Ein Abschnitt der Ausstellung widmet sich der Entwicklung jener archäologischen Institutionen, die während des Zweiten Weltkriegs propagandistisch aktiv waren. Die Vorgeschichte des politischen Engagements der Archäologie im deutschsprachigen Raum reicht weit zurück. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg proklamierte der völkische Vordenker Gustaf Kossinna die Ur- und Frühgeschichte zur "hervorragend nationalen Wissenschaft". Nach 1933 wurden einerseits die traditionsreichen Altertumsverbände weitgehend gleichgeschaltet, anderseits das Fach an den Universitäten großzügig verankert. Darüber hinaus entstanden zwei Institutionen, die in besonderem Maße die archäologische Forschung in den Dienst der nationalsozialistischen Propaganda stellten: Es handelte sich einmal um den "Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte", der einen Teil einer Kulturabteilung der NSDAP bildete. Weiterhin wurde innerhalb des sogenannten "Ahnenerbes", einer Art Wissenschaftsabteilung der SS, die ansonsten vor allem für ihre mörderischen Menschenversuche bekannt ist, in größerem Stil archäologische Forschung betrieben.

Abgerundet wird die Ausstellung durch Funde, die aus den während des Zweiten Weltkriegs im Elsass und in Lothringen durchgeführten Grabungen stammen. Die Ausstellungstexte sind durchgehend zweisprachig, so dass sich auch Interessierte informieren können, die des Französischen nicht mächtig sind. Der sehr empfehlenswerte Ausstellungskatalog ist reich illustriert und enthält eine Reihe durchweg qualitätvoller Beiträge zum Thema (FF 150.-; nur in französischer Sprache erhältlich).

Insgesamt lohnt die Ausstellung einen Abstecher nach Straßburg auf jeden Fall, auch wenn sie im Kellergeschoss des Museums etwas beengt untergebracht ist und sicher mehr Raum verdient hätte.

Sie ist noch bis zum 31. August im Musée Archéologique de Strasbourg im Palais Rohan (unmittelbar rechts neben dem Straßburger Münster) zu sehen. Anschließend wird sie vom 6. Oktober bis zum 27. Januar 2002 in den Musées de la Cour d'Or in Metz gezeigt werden.