SAXONES. Das erste Jahrtausend in Niedersachsen

22.09.2019 - 02.02.2020

Braunschweigisches Landesmuseum
Burgplatz 1
38100 Braunschweig
Deutschland

Sturmfest und erdverwachsen? Archäologen und Historiker haben die Geschichte des 1. bis 10. Jahrhunderts im heutigen Niedersachsen, aber auch in Westfalen grundlegend revidiert. Die bekannte Erzählung von der Eroberung dieser Gebiete durch den germanischen Stamm der »alten Sachsen«, wie es unter anderem das populäre Niedersachsen-Lied propagiert, und die angeblich dort praktizierte frühe Demokratie wurden kritisch hinterfragt. Das Ergebnis: eine schöne Geschichte – aber auch nicht mehr.

Der Mythos entpuppte sich nicht nur als romantisch verklärt, sondern auch als politisch gewollt – und wurde bereits im frühen Mittelalter genutzt, um Herrschaftsansprüche zu rechtfertigen. Die neuesten Forschungsergebnisse werden nun erstmalig einer breiten Öffentlichkeit präsentiert, im Rahmen der großen Niedersächsischen Landesausstellung 2019 »Saxones. Das erste Jahrtausend in Niedersachsen«, die unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten Stephan Weil steht und nacheinander in den Landesmuseen in Hannover und Braunschweig präsentiert wird.

Die Ausstellung stellt neun Menschen des 1. Jahrtausends vor. Von den meisten ist ihr Name nicht überliefert, aber die archäologischen Grabfunde der Protagonisten ermöglichen dem Besucher nicht nur eine anschauliche Reise in die ferne Zeit, sondern lassen teilhaben am politischen Geschehen des 1. Jahrtausends. Der Illustrator Kelvin Wilson hat diese neun Persönlichkeiten anhand von in der Ausstellung präsentiertem archäologischem Fundmaterial und historischen Quellen zum Leben erweckt. Wichtigste Botschaft der Schau: Der Mythos eines schon zu Römerzeiten oder gar noch früher existierenden »Stammes« von Sachsen oder »Saxones«, von dem sich eine kontinuierliche Abstammungslinie bis hin zur Gegenwart ziehen lässt, ist eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts.

Als sich die deutschen Länder bzw. Fürstentümer als einheitlichen Staat, als eine Nation zu erfinden suchten, wurden die germanischen Stämme der Franken, Alemannen, Bajuwaren, Sachsen, Thüringer als historischen Beweis für Zugehörigkeit und Größe eines Landes herangezogen, das sich 1871 – für viele damals verspätet - als Staat bildete. Das wiederholte sich in ähnlicher Form 1946 bei der Gründung Niedersachsens. Der erste Ministerpräsident Hans Hinrich Kopf zog nun die alten Sachsen heran, um ein vermeintlich seit Jahrtausenden existierendes Zusammengehörigkeitsgefühl des neu gegründeten Bundeslandes aus den alten Ländern Braunschweig, Schaumburg-Lippe, Hannover und Oldenburg zu beschwören.

Wer waren die alten Sachsen. Die schriftliche Überlieferung gibt uns keine eindeutige Antwort. Es gibt ganz unterschiedliche Vorstellungen von antiken und frühmittelalterlichen Autoren, wer Sachsen waren, was sie taten und wo sie lebten. Fazit: Sachsen waren eigentlich immer die, die man dafür hielt. Fassbar wird eine sächsische Identität erst, als die Einwohnerschaft Nordwestdeutschlands nach fast 30 Jahre andauernden kriegerischen Auseinandersetzung mit Karl dem Großen im 9. Jahrhundert in das Frankenreich eingegliedert wird und ihre Oberschicht dort politische Ambitionen entwickelt. Am Beispiel der Sachsen zeigt sich, dass Völker äußerst komplexe und instabile Gebilde sind. Identitäten sind immer soziale Konstrukte und entstanden auch damals – wie so oft – in der Abgrenzung nach außen.

Dass es kein »Stamm« von Sachsen war, der das heutige Niedersachsen und angrenzende Westfalen vor dem 9. Jahrhundert n. Chr. bevölkerte, tut der Faszination der Geschichte dieses Siedlungsraumes jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Schaut man sich die Menschen und Akteure dieser Zeit an, findet man ein äußerst facettenreiches Panorama regionaler Vielfalt und europaweit agierende Netzwerke. Schon vor über 1000 Jahren war der norddeutsche Raum ein Land der Regionen. Die Landesausstellung springt auf der Suche nach der Identität und den Strukturen der damaligen Bevölkerung anhand von Momentaufnahmen aus dem Leben von Frauen, Männern und Kindern zu neun verschiedenen Zeitpunkten in das erste Jahrtausend – und fragt genau nach: Was verraten der germanische Anführer aus dem 2. Jahrhundert, die Kinderbraut aus dem 6. Jahrhundert oder Hathumod, die Äbtissin des Stiftes Gandersheim aus dem 9. Jahrhundert, über die jeweilige Zeit?

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