Wildpferde überlebten Temperaturanstieg nach der Eiszeit

Das Schicksal des Wildpferdes hing während und nach der Eiszeit am Klima und an den Menschen. Dabei war es widerstandsfähiger, als bisher in der Fachwelt angenommen und überlebte den Temperaturanstieg und Klimawandel.

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So oder so ähnlich könnten die Wildpferde etwa 6000 vor Christus ausgesehen haben. (Foto: Robert Sommer)
So oder so ähnlich könnten die Wildpferde etwa 6000 vor Christus ausgesehen haben. (Foto: Robert Sommer)

Das fanden jüngst die Zoologen und Paläoökologen Dr. Robert Sommer, Privatdozent am Institut für Natur- und Ressourcenschutz – Abteilung Landschaftsökologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), und Dr. Ulrich Schmölcke, Bereichsleiter Archäozoologie und Geschichte der Fauna bei der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, heraus. In der kommenden Ausgabe des Fachblatts Journal of Quaternary Science (Heft 8, Band 26) erscheinen ihre Forschungsergebnisse, die bereits im Internet in der online early Version zu finden sind.

Wildpferde zählten einst zur wichtigsten Beute des in Europa und Asien lebenden Neandertalers und des dort einwandernden modernen Menschen. Nach der Eiszeit verlor sich die Spur des Pferdes im nördlichen Europa. Bisher gingen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deshalb davon aus, dass das Wildpferd schon kurz nach der Eiszeit ausstarb, weil es als Steppentier die Bewaldung nicht verkraftete. Sommer und Schmölcke konnten jedoch nachweisen, dass Wildpferde noch bis über 2000 Jahre nach dem Ende der Eiszeit im nördlichen Mitteleuropa vorkamen.

Für ihre Ergebnisse untersuchten die beiden Forscher Knochenreste des Wildpferdes (Equus ferus) in 207 archäologischen Siedlungen im gesamten europäischen Raum aus der Zeit von etwa 9600 bis 3500 vor Christus. Mit Hilfe der Radiokarbondatierung, der Messung von radioaktiven 14C-Atomen, bestimmten die Wissenschaftler das Alter etlicher Wildpferde. Diese Fundmuster verglichen Sommer und Schmölcke mit der Entwicklung der nacheiszeitlichen Umweltverhältnisse und der Klimaentwicklung sowie der zunehmenden Ausbreitung des Menschen in der Jungsteinzeit.

Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Wildpferd die drastischen Temperaturerhöhungen und damit einhergehende Veränderungen der Vegetationsdecke etwa 9600 vor Christus überlebte, obwohl es als typische Art der so genannten Megafauna der Eiszeit angesehen wird. Einige der wichtigsten Beweise dafür stammen aus Mecklenburg-Vorpommern, wo Pferdeknochen aus den mittelsteinzeitlichen Siedlungen Hohen-Viecheln und Tribsees auf 8400 beziehungsweise 7600 vor Christus datiert wurden. Diese Funde, in Kombination mit weiteren Belegen aus Nordeuropa, zeigen, dass die Wildpferde noch in Landschaften gelebt haben, die durch eine zunehmend dichter werdende Vegetationsdecke aus Kiefern, einem dichten Unterwuchs aus Haselnuss-Büschen und ersten einwandernden Laubbäumen bestand. Zu dieser Zeit müssen die Vorkommen der Wildpferde jedoch schon sehr ausgedünnt gewesen sein, weil sie eher selten und nur zu einem auffällig geringen Prozentsatz in der Jagdbeute der Steinzeit-Menschen auftauchten.

Sommer und sein Team schlussfolgern daraus, dass es in der nacheiszeitlichen Wärmezeit, dem Boreal, um 7600 vor Christus im nördlichen Mitteleuropa in der Landschaft noch offene Flächen gegeben hat. Zudem ziehen sie in Betracht, dass natürliche und vom Menschen verursachte Waldbrände sowie regelmäßige Überschwemmungen in Flussniederungen dazu beitrugen, offene Flächen für Wildpferde zu erhalten.

Dies änderte sich jedoch während des Klimaoptimums in Europa ungefähr ab 7000 vor Christus. In dieser Zeit, in der es etwa zwei Grad wärmer war als heute und zahlreiche Laubbaumarten eingewandert waren, die ausgedehnte Eichen-Mischwälder bildeten, war das Wildpferd im nördlichen Mitteleuropa so gut wie ausgestorben. In den ausgedehnten Mischwald-Landschaften fand das Wildpferd keine geeigneten offenen Flächen mehr und starb in den meisten Gebieten aus. Die Wissenschaftler sind jedoch der Meinung, dass die nacheiszeitliche Urlandschaft nicht komplett zugewachsen war. Kleinere offene Flächen wird es bei einer natürlichen Waldentwicklung immer geben. Hier könnte eine kleine Population überlebt haben.

Was sich dann ab etwa 5500 vor Christus in Europa ereignete, kann als kleine Sensation betrachtet werden: Parallel mit der Ausbreitung der neolithischen Menschen, die hauptsächlich vom Ackerbau und der Viehzucht lebten, ist auch die deutliche Wiederausbreitung des Wildpferdes nachgewiesen. Sommer und Kollegen gehen davon aus, dass die Wildpferde durch die Rodungen der frühen Ackerbauern in Europa wieder zunehmend offene Flächen in der Landschaft fanden, was zur Wiederausbreitung führte. Das Wildpferd wurde in der Jungsteinzeit somit zum Kulturfolger. Bis etwa 3600 vor Christus waren so wieder weite Teile Mitteleuropas durch das Wildpferd besiedelt. Dies über 1000 Jahre bevor die ersten Hauspferde in Mitteleuropa auftauchen.

Die vorgestellten Ergebnisse verdeutlichen, was gerade ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Eline Lorenzen und Eske Willerslev (Universität Kopenhagen) ermittelt hat: Sie gehen der grundsätzlichen Frage nach dem Aussterben der „Megafauna" am Ende der Eiszeit nach. Dabei beantworten sie demnächst im Fachmagazin „Nature" die Frage, ob das Klima oder der Mensch für das Aussterben der Großtierfauna verantwortlich ist. So stirbt beispielsweise das Wildpferd in Amerika bereits vor der Ausbreitung des Menschen aufgrund von Klimaveränderungen aus, während sein Schicksal in Europa durch den Menschen und die Konkurrenz zu den Hauspferden besiegelt wird.

 

Publikation

Holocene survival of the wild horse in Europe: a matter of open landscape?
Robert S. Sommer, Norbert Benecke, Lembi Lõugas, Oliver Nelle, Ulrich Schmölcke
DOI: 10.1002/jqs.1509