Vor 5.000 Jahren sahen Europäer anders aus

In der späten Kupferzeit hatten die Menschen in Europa noch dunklere Haut, Haare und Augen

Das gilt zumindest für die damaligen Bewohner der Steppenzone zwischen Ural und Karpaten, wie Anthropologen aus Mainz und London in einer kürzlich veröffentlichten Studie feststellen. Bei DNA-Analysen an Skeletten der dortigen Jamnaja-Kultur fanden sie deutliche Marker für eine dunklere Pigmentierung von Haut, Haaren und Augen. Da Umweltbedingungen allein keine ausreichende Erklärung für die Entwicklung hin zu einer helleren Pigmentierung bietet, vermuten die Forscher eine andere Ursache für die festgestellte genetische Selektion: hellhäutigere Menschen waren anscheinend attraktivere Partner.

Nachrichten durchblättern
5.000 Jahre altes Skelett der Jamnajakultur
Blick in einen Grabhügel nahe der Stadt Kirovograd in der Ukraine mit einem 5.000 Jahre alten Skelett der Jamnajakultur (Foto: Alla V. Nikolova)

Die Frage nach den das menschliche Genom seit dem Ende der Eiszeit verändernden Faktoren ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Jetzt haben Anthropologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und vom University College London (UCL) gemeinsam mit Archäologen aus Berlin und Kiew mithilfe alter DNA aus Skeletten den Nachweis erbracht, dass auch noch in den letzten 5.000 Jahren starke Selektionskräfte auf das menschliche Genom gewirkt haben, die das Erscheinungsbild der Menschen nachhaltig beeinflussten. Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchungen sind soeben im Artikel »Direct evidence for positive selection of skin, hair, and eye pigmentation in Europeans during the last 5,000 years« in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.

Bisher versuchten Anthropologen derartige Selektionssignale aus bestimmten Strukturen in den Genomen heutiger Europäer abzuleiten. Der neue Ansatz der Mainzer und Londoner Wissenschaftler analysiert alte DNA aus archäologischen Skeletten und vergleicht die prähistorischen Daten in Computersimulationen mit denen heutiger Europäer. Lassen sich vorgefundene Veränderungen nicht durch die normale, generationenübergreifende Zufallsverteilung von Merkmalen erklären, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass positive Selektion gewirkt und sich demnach eine bestimmte Mutation in der Population ausgebreitet hat.

Sandra Wilde aus der Arbeitsgruppe Palaeogenetik am Institut für Anthropologie der JGU fielen in ihren Untersuchungen unter einer Reihe genetischer Markern immer wieder diejenigen auf, die mit der Pigmentierung von Haut, Haaren und Augen in Zusammenhang stehen. »Dabei waren die prähistorischen Individuen im Durchschnitt dunkler als ihre Nachfahren«, so Wilde, Erstautorin der PNAS-Studie. »Dies ist besonders bemerkenswert, da die menschliche Evolution über Jahrhunderttausende eigentlich einen dunklen Phänotyp geprägt hatte. Alle unsere frühen Vorfahren waren dunkel.« Doch das änderte sich, als der Mensch vor etwa 50.000 Jahren begann, die nördliche Hemisphäre zu besiedeln.

»Gerade in Europa finden wir eine sehr hohe Variabilität von Pigmentierung«, ergänzt Co-Autorin Dr. Karola Kirsanow, die ebenfalls in der Mainzer Arbeitsgruppe Palaeogenetik forscht. »Dennoch hatten wir nicht damit gerechnet, dass die Selektion in den letzten Jahrtausenden noch so stark war.« In der Tat sind die Selektionssignale, die die Mainzer Paläogenetiker und ihre Kollegen vom University College London festgestellt haben, vergleichbar mit denen für Malariaresistenz oder Laktasepersistenz und gehören zu den stärksten, die je in menschlichen Genomen festgestellt wurden. Die Autoren sehen hierfür mehrere Erklärungsmöglichkeiten: »Die naheliegendste ist die Anpassung an die verminderte Sonneneinstrahlung im Norden«, so Prof. Mark Thomas vom University College in London, Korrespondenzautor der Studie. »Die meisten Menschen generieren Vitamin D über die Haut infolge von UV-Exposition. In den nördlichen Breiten wäre das mit dunkler Haut aber weniger effizient gewesen. Da die Menschen hier auch weniger Vitamin D mit der Nahrung aufnahmen, war hellere Haut die vielleicht beste Option.« »Allerdings erklärt dies nicht die Notwendigkeit einer Veränderung der Haar- und Augenfarbe«, so Wilde. »Es mag aber durchaus sein, dass ein veränderter Phänotyp, also die hellere Haar- und Augenfarbe, als Signal von Gruppenzugehörigkeit gesehen wurde und sich auf die selektive Partnerwahl ausgewirkt hat«. Diese sogenannte sexuelle Selektion ist im Tierreich durchaus üblich und war vielleicht auch eine treibende Kraft der Evolution des Menschen in den letzten Jahrtausenden.

»Eigentlich wollten wir die Variabilität im Genom des Menschen durch räumliche und zeitliche Dynamiken von Bevölkerungen, etwa durch Migrationen, erklären. Positive Selektion im engeren Sinne halten wir für eine Ausnahme. Doch fallen immer wieder die Laktasepersistenz, also die Fähigkeit, Milchzucker im Erwachsenenalter verdauen zu können, und die Pigmentierungsgene mit ihren überraschend hohen Selektionsfaktoren auf«, fügt Univ.-Prof. Dr. Joachim Burger, Seniorautor der Studie, hinzu. »Man darf diese wissenschaftlichen Befunde allerdings nicht so interpretieren, als sei alles, was selektiert ist, auch gut und ausschließlich vorteilhaft. Gerade die durch Partnerwahl hergebrachten Merkmale sind häufig kulturell geprägt und damit eher Geschmackssache denn Anpassung an die Umwelt.«

Die alte DNA wurde aus Skeletten von prähistorischen Populationen in Osteuropa gewonnen. Sie gehören größtenteils der sogenannten Jamnaja-Kultur an. Diese Kultur kennen Archäologen vor allem aufgrund zahlreicher, meist mit Ocker gefärbter Gräber, die in bzw. unter Grabhügeln angelegt wurden. Die Bestattungen der Jamnaja-Kultur liegen in der Steppenzone zwischen dem Fluss Ural und den östlichen Karpaten vor und datieren zwischen 5.100 und 4.400 vor heute. In einem Kurzfilm auf Youtube wird geschildert, wie die Mainzer Palaeogenetiker die alte DNA aus Skeletten analysieren.

Publikation

Wilde, Sandra et al.
Direct evidence for positive selection of skin, hair, and eye pigmentation in Europeans during the last 5,000 years
Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 10. März 2014
DOI: 10.1073/pnas.1316513111