Rekonstruiert und erprobt: Römische Feldgeschütze am Harzhorn

Römer und Germanen – am Harzhorn sind sie aufeinandergetroffen. Am heutigen Freitag (23. November) wurde eine historische Schlacht in der Nähe von Kalefeld (Landkreis Northeim) nachempfunden. Sechs Torsionsgeschütze, deren historische Vorbilder in der Zeit von 200 v. Chr. bis 400 n. Chr. auf den Schlachtfeldern eingesetzt wurden, feuerten ihre Salven in 100 Meter entfernte Ziele.

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Probeschüsse mit dem Geschütz Cremona, nachgebaut von Studierenden der Universität Osnabrück. Foto: Universität Osnabrück/Günther Moosbauer

Die Feldgeschütze wurden von Studierenden der Universitäten Trier, Osnabrück und der Helmut Schmidt Universität Hamburg rekonstruiert. Gleichzeitig baute das Gymnasium Ising (Bayern) ein historisches Geschütz. Dafür wurden Originalfunde aus Spanien und Italien analysiert und Stücke aus Rumänien neu vermessen.

Gespannt verfolgten die Zuschauer am Harzhorn das Klacken der Abzüge der antiken Feldgeschütze und die Einschläge der Bolzen. »Hier bekommen wir einen Eindruck, wie im Gefecht um das Harzhorn solche Waffen eingesetzt wurden«, so Prof. Dr. Moosbauer, Archäologe an der Universität Osnabrück. Antike Bolzenspitzen, häufig in Schussrichtung gebogen, lassen Rückschlüsse auf den Einsatz von Feldgeschützen vor knapp 1.800 Jahren zu. Aber es geht den Historikern um mehr als die reine Nachempfindung einer historischen Schlacht. »Ein römischer Ingenieur – Vitruv – hinterließ uns Schriften, die wertvolle Informationen zu solchen Waffen enthalten.« Technische Unterstützung erfuhr das Team der drei Hochschulen durch den Ingenieur Hans Berg. Er beriet und half bei der Anfertigung der CAD-Pläne, die die Grundlage für die Rekonstruktionen waren. »Ziel war es, möglichst detailgetreu Geschütze aus vier Jahrhunderten zu rekonstruieren und bis zur Belastungsgrenze zu erproben«, so der Osnabrücker Wissenschaftler Moosbauer.

Das älteste Geschütz wurde in doppelter Ausfertigung an der Unversität Trier nachgebaut. Das Original wurde in Caminreal (Provinz Teruel im Nordosten Spaniens) in einer keltiberischen Siedlung geborgen. Diese wurde um das Jahr 74 v. Chr. im Zuge innerrömischer Auseinandersetzungen zerstört. Vom Geschütz, einem sogenannten Scorpio, waren die Beschlagteile aus Eisen gut erhalten, das Holz allerdings längst verwittert. Die ausführlich vermessenen Bestandteile befanden sich aber noch in Originallage.

Aus dem 1. Jh. n. Chr. stammen die zwei an der Universität Osnabrück rekonstruierten Geschütze vom Typ Cremona. Vitellius, von den Legionen am Rhein zum römischen Kaiser ernannt, zog über die Alpen nach Italien, um seinen Anspruch gegenüber den Konkurrenten zu sichern. 69 n. Chr. unterlag er in der Schlacht bei Cremona den Truppen seines Gegners Vespasian. Moosbauer: »Unser Geschütz blieb dabei auf dem Schlachtfeld liegen. In Dienst gestellt wurde es im Jahr 45 n. Chr. in Mainz von der vierten makedonischen Legion. Von besonderer Bedeutung ist, dass aus dem Rheinkies bei Xanten-Wardt eine Manuballista (Handgeschütz) mit fast vollständig erhaltenem Holzkorpus geborgen worden ist. Sie ließ Rückschlüsse auf Details der Holzkonstruktion des Cremonageschützes zu.«

In Rom kündet die Trajanssäule von drei erfolgreichen Kriegen des römischen Kaisers Trajan gegen die Daker im heutigen Rumänien. Auf ihr wird erstmals Zeugnis abgelegt für auf Karren montierte Geschütze, die gleichzeitig etwas anders konstruiert waren. Grundlage für die an der Helmut Schmidt Universität Hamburg (HSU) und dem Gymnasium Ising gebauten Geschütze desselben Typs waren Funde aus Orsova in Rumänien, die von einem auf einem Kastellturm aufgestelltem Geschütz stammen. Es handelt sich dabei um zwei eiserne Spannbuchsen und eine eiserne, noch 145 Zentimeter lange Verbindungsstange zwischen diesen, die an den Enden gegabelt ist und mittig einen Bogen aufweist. Die schiere Breite, die sich von der Länge dieser Verbindungsstange ableitet, bot Veranlassung, das Geschütz nicht, wie allgemein üblich, mit außen schwingenden Spannarmen zu rekonstruieren, sondern mit innenschwingenden. »Durch die Schussversuche mit dem innenschwingend konstruierten Geschütz der Helmut Schmidt Universität konnte die »innenschwingenden Theorie« in der Praxis belegt werden«, wie Prof. Burkhard Meißner feststellte. Um diese Erkenntnisse abzusichern, wurde zum Vergleich am Gymnasium Ising in Oberbayern ein außen schwingendes Geschütz vom Typ Orsova rekonstruiert.

Um den technischen Fortschritt der römischen Artillerietechnik vergleichen zu können, trafen sich die Projektpartner im September mit ihren Rekonstruktionen auf dem Truppenübungsplatz »Große Höhe« am Bundeswehrstandort Delmenhorst. Auf diesem militärisch überwachten Freigelände bot sich die Möglichkeit, verschiedene Tests zu Reichweite, Zielgenauigkeit, Schussfolge pro Minute, Durchschlagskraft durchzuführen. Nicht nur Historiker und Archäologen, auch Techniker sind an der Forschung beteiligt: Die Professur für Mess- und Informationstechnik in der Fakultät für Maschinenbau der HSU untersucht die ballistischen Eigenschaften der Geschütze. Unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. habil. Hendrik Rothe werden unter anderem die Flugbahnen der Geschosse mit modernsten Lasermessgeräten untersucht und der Abschussvorgang mit Hochgeschwindigkeitskameras aufgezeichnet und analysiert. An der Hochschule Osnabrück werden aktuell Materialtests durchgeführt.

Als erstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass beim republikanischen Geschütz vom Typ Caminreal die optimale Kampfentfernung wohl bei unter hundert Meter lag, beim weiter entwickelten Typ Orsova bei vielleicht 150 Metern. Ohne die Geschütze voll ausgereizt zu haben, erreichte das Orsova Geschütz mit schweren Projektilen eine maximale Schussweite von 307 Metern. Das Cremona Geschütz lag mit gleichen Projektilen bei einer Frequenz von drei Schüssen pro Minute etwas darunter, d.h. knapp unter 300 Metern, mit leichteren Projektilen wurden Weiten von über 360 Metern erzielt.

»Die Treffgenauigkeit ist bei allen Geschützen trotz noch ungeübter Geschützmannschaften sehr hoch, die technischen Möglichkeiten sind bei weitem noch nicht ausgereizt«, betonten Prof. Dr. Christoph Schäfer (Universität Trier) und Prof. Moosbauer. »Mit überarbeiteten Waffen werden wir im nächsten Frühjahr die Grenzen der Geschütze testen. Dadurch werden weitere ballistische Berechnungen möglich, die uns erlauben werden, Flugbahnen von Projektilen und die Einsatzmöglichkeiten von Geschützen in Gefechten wie am Harzhorn genauer zu fassen.«

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Das Geschütz Orsova, rekonstruiert von Studierenden der Helmut Schmidt Universität Hamburg. Foto: Universität Osnabrück/Günther Moosbauer