Europäische Hausrinder stammen aus dem Nahen Osten

Eine Studie unter Mainzer Beteiligung in den Proceedings of the Royal Society zeigt, dass es keine Domestizierung von Auerochsen in Europa gab.

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Alle Rinderrassen, die heute in Europa verbreitet sind, stammen ursprünglich aus dem Nahen Osten. Wie Wissenschaftler herausfanden, gibt es tatsächlich keine Anzeichen dafür, dass der vor etwa 400 Jahren ausgestorbene Auerochse in Europa domestiziert wurde. "Die Vorfahren unserer heutigen Hausrinder kamen vermutlich mit Viehzügen über Anatolien nach Europa", sagt Prof. Dr. Joachim Burger vom Institut für Anthropologie der Universität Mainz. Die Untersuchungen zur Abstammung der europäischen Rinder anhand alter Erbsubstanz wurden von dem Wissenschaftsjournal Proceedings of the Royal Society veröffentlicht.

Schon lange spekuliert man darüber, wo der Ursprung der europäischen Haustiere zu lokalisieren ist. Bei Ziege und Schaf ist bekannt, dass sie aus dem Nahen Osten stammen, denn es gibt in Europa keine entsprechenden Wildtiere, die hätten domestiziert werden können. Das Hausrind allerdings besitzt in Europa einen wilden Vorfahren, den Auerochsen - auch Ur genannt - der erst im 17. Jahrhundert ausgestorben ist. Eine Studie mehrerer Autoren, angeführt von Forschern aus Dublin und Mainz, weißt nun nach, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Gemeinsam mit über 40 weiteren, international renommierten Kollegen legen Ceiridwen Edwards, Dan Bradley (beide Dublin), Ruth Bollongino und Joachim Burger (beide Mainz) die molekulargenetische Analyse von DNA aus Skeletten des ausgestorbenen Auerochsen vor und vergleichen sie mit den Gendaten prähistorischer Hausrinder. Dadurch können sie die Geschichte der Rinder seit dem Ende der Eiszeit recht genau nachvollziehen.

Der Auerochse gehörte bis zu seiner Ausrottung zu den größten Landtieren Europas. Er war fast so groß wie ein Elefant und diente dem Menschen fast ausschließlich als Fleischlieferant. Höhlenmalereien wie in Lascaux zeigen die frühe Verbreitung des Wildrindes in Europa. Gemäß der Studie, die in dem britischen Wissenschaftsjournal Proceedings of the Royal Society veröffentlicht wurde, verringerte sich die Anzahl der europäischen Auerochsen aufgrund der Vergletscherung Europas vor circa 16.000 Jahren. Danach stieg ihre Zahl wieder an. Vor etwa 11.000 Jahren war der Auerochse fast in ganz Europa heimisch, ausgenommen der Norden Skandinaviens, nördliche Teile Russlands und Irland. Dann erreichte vor rund 8.500 Jahren mit dem Überschreiten des Bosporus eine völlig andere Rinderrasse den europäischen Kontinent. Diese Vorfahren unserer heutigen Rinder unterschieden sich genetisch sehr deutlich vom europäischen Wildrind, das sie im Verlauf der folgenden Jahrtausende völlig verdrängen sollten.

"Alleine können diese Vieherden nicht nach Europa gekommen sein, es muss von Menschen organisierte Viehzüge gegeben haben", schließt Professor Burger. Binnen weniger Menschengenerationen war die neue Rinderrasse über ganz Mittel- und Osteuropa verbreitet und fand sich in fast jedem Bauernhof der ersten sesshaften Europäer. Erstaunlicherweise konnte die Studie der Palaeogenetiker keine Kreuzungen zwischen heimischen wilden Auerochsen und eingeführten domestizierten Rindern feststellen. "Die damaligen Bauern müssen die neuen Tiere getrennt von ihren wilden Artgenossen in Gehegen gehalten haben. Die Intensität der Viehzucht im frühen Neolithikum war folglich wesentlich höher als bisher gedacht", erklärt Ruth Bollongino.

Doch woher kamen die domestizierten Rinder? Bislang konnte aufgrund der schlechten Erhaltungsbedingungen keine alte DNA aus Skeletten im Nahen Osten gewonnen werden. Nach jahrelangen intensiven Versuchen gelang es den beiden Teams aus Dublin und Mainz nun doch. Ceiridwen Edwards aus Irland erläutert dazu: "Unsere Studie konnte zum ersten Mal den Ursprung der europäischen Hausrinder in Syrien und Anatolien genetisch lokalisieren." Gleich ob es sich um Schwarzbunte, Fleckvieh oder schottisches Hochlandrind handelt: alle Rinder kamen aus dem Nahen Osten nach Europa.