5.000 Jahre Megacity - Ausstellung in Herne zeigt »Uruk« als eine Wiege der Zivilisation

Mit einer Ausstellung über "Uruk" im heutigen Irak erinnert seit Sonntag (3.11.) das LWL-Museum für Archäologie in Herne an die älteste bekannte Großstadt der Menschheit vor 5.000 Jahren. Auf 800 Quadratmetern zeigt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) bis zum 21. April nächsten Jahres über 300 Exponate von Tontafeln mit Keilschrift über digitale Architekturmodelle bis zur 1,05 Meter hohen »Uruk-Vase« aus der Stadt mit einst 40.000 bis 50.000 Einwohnern.

Nachrichten durchblättern
Gilgamesh-Relief
Gilgamesch und Enkidu im Kampf mit Humbaba. Altbabylonisches Terrakotta-Relief, 18.-17. Jh. V Chr. Berlin, Vorderasiatisches Museum. © Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum / Olaf M. Teßmer

Die »Megacity Uruk« hatte alles, was Großstädte der Gegenwart auszeichnet: Wasserversorgung, Straßenbau, intensiven Handel, kulturelle Zentren und nach der Erfindung der Schrift - die Bürokratie. Bekannt ist Uruk auch durch ihren legendären König Gilgamesch, dessen Heldentaten in einem der ältesten Mythen der Welt beschrieben werden.

»Metropolen sind keine Erfindungen der Moderne. Ob es um Kreditsysteme geht, Eheverträge, Lieferscheine oder mehrsprachige Wörterbücher - im hochentwickelten Uruk gab es das bereits«, sagte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch bei der Vorbesichtigung der Leihgaben aus London, Paris und Berlin, die der Besucher auf einem Themenrundgang in Herne erlebt. Weil die Keilschrift der Stadtbewohner entziffert sei, könne der Ausstellungsbesucher zum Beispiel Getreide- und Fischrationen der Arbeiter in Uruk, aber auch Probleme mit dem Abwassermanagement und das Schulwesen nachvollziehen.

»Uruk ist die älteste bekannte Großstadt der Menschheit, sozusagen die Wiege der Zivilisation«, so Prof. Dr. Markus Hilgert von der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin, über die Stadt, die zirka 300 Kilometer südlich vom heutigen Bagdad lag. »Uruk bildete den Auftakt einer blühenden Stadtkultur in Mesopotamien, die erst im ersten Jahrtausend vor Christus von Babylon übertroffen werden sollte.«

Vor 100 Jahren begannen deutsche Forscher mit der systematischen Ausgrabung. Aus diesem Anlass zeigt das LWL-Museum in Herne als zweite und letzte Station nach Berlin die umfassende Zusammenschau der Entdeckungen aus Uruk. Hilgert: »Schon 1913 war für uns ein Uruk-Jahr. Fast täglich konnten die Forscher damals von aufsehenerregenden Grabungsergebnissen berichten.«

»Im vierten Jahrtausend vor Christus entwickelte sich in Uruk vieles, was später wie selbstverständlich das Funktionieren einer Stadt garantierte und Voraussetzung für das Zusammenleben in einer Großstadt wurde: Stadtverwaltung, Infrastrukturmaßnahmen, Arbeitsteilung, Versorgung der Bevölkerung, Repräsentation der Stadt und ihrer Elite sowie politisches Handeln in größeren Regionen«, erläuterte Dr. Margarete van Ess von der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin.

Im südlichen Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris gab es fast nur Lehm. Trotzdem entwickelte sich eine Großstadt auf 5,5 Quadratkilometern. »Das Konzept Stadt wurde schnell zur überzeugenden Lebensform nicht nur in der Region, sondern im gesamten Vorderen Orient und je nach sozialen und politischen Erfordernissen ausgebaut«, so Dr. Nicola Crüsemann, Kuratorin von der Curt-Engelhorn Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen (Mannheim).

Tontafeln, Siegel, Architektur-Modelle und Rauminstallationen erzählen in der Ausstellung Geschichten aus dem Alltagsleben in der Stadt. Multimediale Elemente ergänzen die Exponate. So taucht der Besucher auf seinem Rundgang ein in die älteste Großstadt der Welt und bemerkt, dass sich das Phänomen Großstadt prinzipiell kaum geändert hat.

Gilgamesch-Epos als Einstimmung

Das berühmte und älteste bekannte Epos um den legendären König Gilgamesch stimmt den Besucher zu Beginn auf die Ausstellung ein: Als König der Stadt Uruk will er seine Kräfte mit der Welt messen und strebt nach Unsterblichkeit. Gemeinsam mit seinem Freund Enkidu zieht er in die Welt hinaus und kehrt als geläuteter Herrscher zurück, dessen Bauwerke - insbesondere die Stadtmauer - den Menschen Schutz bieten und eine kulturelle Entfaltung erst ermöglichen. Tatsächlich wurde eine Mauer entdeckt. Der Bau dieser neun Kilometer langen und bis zu neun Meter breiten Konstruktion zeugt von architektonischem Können und Organisationstalent, zahlreiche Siegel und Tontafeln belegen das ausgeklügelte Verwaltungssystems Uruks.

Der erste Lieferschein der Welt

In einer Installation ist die Urform des Lieferscheins zu sehen: Form und Größe kleinerer Tonfiguren, sogenannte Tokens, gaben Aufschluss darüber, was geliefert werden sollte. Diese Tokens verschloss man anschließend in einer handgroßen Tonkugel. So war der Kunde in der Lage, die Lieferung anhand der Tokens zu überprüfen. Aus dem Umgang mit Token entwickelte sich über Zwischenschritte die Schrift.

Schon damals spielte Bier eine große Rolle. Es war in Uruk ein Kulturgetränk und Grundnahrungsmittel, das auch den Göttern geopfert wurde. Da es ungefiltert war, trank man es mit Strohhalmen. Auf einer »Bierrezept«-Tafel ist nachvollziehbar, wie viel Getreide für die Biererstellung nötig war.

Neben Gemeinsamkeiten mit modernem Großstadtleben gab es aber auch Unterschiede. Im Gegensatz zu heute waren Kult und Religion nicht von Wissenschaft und Politik getrennt. Wie wichtig den Menschen damals Religion, auch in Verbindung mit Macht und Herrschaft, war, kann der Besucher in einer Rekonstruktion des Heiligtums der Stadtgöttin Inanna-Ischtar selbst erfahren.

Eines der berühmtesten Objekte ist die Dame von Warka - auch »Uruk-Kopf« genannt. Dabei handelt es sich um einen maskenartigen Frauenkopf, dessen Augen und Augenbrauen freistehen, da dort ursprünglich Edelsteine eingelegt waren. Wahrscheinlich wurde hier die Stadtgöttin dargestellt. Dieser Kopf wurde vermutlich an der Wand eines Tempels befestigt und war Bestandteil eines Kultes.

Wahrsagerei

Einen zentralen Aspekt im Leben der damaligen Gesellschaft bildeten Magie und Kult. Ein Orakelspruch aus Uruk lautete: »Wenn die Gedärme aussehen wie Humbabas Gesicht, kommt Unheil.« Die heute skurril anmutende Eingeweideschau war eine der wichtigsten Wahrsagemethoden. Wahrsagerei war eine feste Institution, genutzt vom König und vom einfachen Arbeiter, um den alles bestimmenden Willen der Götter zu erahnen oder auf sich geladenes Unheil abzuwenden..

Vokabeln lernen vor 5.000 Jahren

In Uruk gehörte eine Schreib- und Sprachausbildung zum Unterrichtsstoff junger Gelehrter. So fanden die Archäologen Listen mit Vokabeln zu unterschiedlichen Themen: Listen mit Gefäßbezeichnungen, mit Eigenschaften von Gottheiten oder mit Namen. Eine ganz besondere Liste stammt aus dem 4. Jahrtausend vor Christus: Sie nennt auf einer Tontafel 58 verschiedene Schweinearten.
Dr. Constanze Döhrer vom LWL-Museum für Archäologie: »Ob diese Tafel von einer besonderen Vorliebe für Schweinebraten zeugt, von einer besonderen Wertschätzung des borstigen Allesfressers oder einfach von einer großen sprachlichen Vielfalt in Uruk, ist unklar. Tatsächlich trafen in diesem kulturellen Zentrum Menschen aus verschiedenen Regionen aufeinander, was die große Vielfalt an Schweinearten und -namen erklären könnte. Vielleicht konnte man sich im Wohlstand der großen Stadt auch eher die Haltung des anspruchsvollen Tieres leisten. Schweine fressen Nahrung, die normalerweise Menschen vorbehalten ist. Darüber hinaus können sie weder als Zug- oder Lasttiere, noch als Milch-, Fell- oder Wolllieferanten dienen. Im 2. und 1. Jahrtausend vor Chr. werden Schweine daher kaum noch gehalten.«

Fastfood und Wegwerfgeschirr

Auf dem Wege Uruks zur Großstadt kam es zu großen gesellschaftlichen Umwälzungen: Es entstanden Arbeitsteilung und Massenproduktion. Die Menschen waren nicht mehr Selbstversorger, sondern gingen zur Arbeit. Ein von der Elite gesteuertes Versorgungssystem war für die Aufteilung grundlegender Güter zuständig.
Davon zeugen beispielsweise die sogenannten »Glockentöpfe«: schlichte, standardisiert hergestellte Keramikgefäße, die tausendfach bei Ausgrabungen zu Tage kamen. Spuren des Gebrauchs fehlen meistens. Alles deutet daraufhin, dass es sich bei den Glockentöpfen um ein einfaches Wegwerfprodukt handelt, vergleichbar mit dem heutigen Plastikgeschirr.

Alte Verwaltungstexte aus Uruk belegen eine Zuteilung von Essensportionen an die Arbeiter. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass das Wort für »Ration« aus zwei Bildern zusammengesetzt ist: einem menschlichen Kopf und einer Schale. Daher wird angenommen, dass diese Glockentöpfe dazu dienten, die Arbeiter am Arbeitsplatz mit ihrer täglichen Nahrungsration zu versorgen. Archäologen vermuten, dass es sich bei der Einteilung von Rationen in diesen Glockentöpfen um eine Art Bezahlung der Arbeiter gehandelt haben könnte. Diese bestand wahrscheinlich aus Brot oder einer Art Bierbrei.

Da die Töpfe kaum Gebrauchsspuren aufweisen, spricht vieles dafür, dass es eine Art Mittagspause gab, bei der die Arbeiter zusammen mit ihren Kollegen aßen und die Glockentöpfe danach einfach wegwarfen.
Die Wiederentdeckung Uruks hat ihre eigene Geschichte. Ein Bereich der Ausstellung widmet sich mehr als der 100-jährigen Forschungsgeschichte rund um Uruk. Obwohl bisher nur fünf Prozent der einstigen Großstadt ausgegraben sind, können Archäologen und andere Wissenschaftler das Leben der Menschen von Uruk in vielerlei Hinsicht nachvollziehen.

Im Vorderasiatischen Museum in Berlin hatte die Sonderausstellung von April bis September 2013 über 400.000 Besucher. Das Vorderasiatische Museum konzipierte diese Ausstellung in Kooperation mit der Curt-Engelhorn-Stiftung für die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts und der Deutschen Orient-Gesellschaft.

Inneres eines Heiligtums
In der Ausstellung kann man einen Blick in das Innere eines Heiligtums werfen. Foto: Herr Gerharz
Restauratorin mit Terrakotten
Ein einführender Film zeigt einen zeitlichen Überblick über die lange Siedlungsgeschichte der Stadt Uruk. Foto: Herr Gerharz
3D-Rekonstruktion Weißer Tempel
Eine Restauratorin legt letzte Hand an eine Reihe von Terrakotten. Foto: Herr Gerharz
3D-Rekonstruktion Rech-Heiligtum
3D-Rekonstruktion des »Weißen Tempels«, der auf einer 12 m hohen Terrasse steht. Uruk-Zeit, um 3450 v. Chr. © artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: Deutsches Archäologisches Institut
3D-Rekonstruktion Zikkurat
3D-Rekonstruktion des seleukidischen Resch-Heiligtums, 3. Jh. V. Chr. © artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: Deutsches Archäologisches Institut
3D-Rekonstruktion der von König Urnamma errichteten Zikkurrat für die Liebes- und Kriegsgöttin Inanna/Ischtar, Uruk, III. Dynastie von Ur, um 2110 v. Chr. © artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: Deutsches Archäologisches Institut