Ein Überraschungsfund aus dem Hohen Mittelalter

Der Aufmerksamkeit eines Spaziergängers ist es zu verdanken, dass das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) einen besonderen Neuzugang verzeichnen kann: Das Aquamanile, ein bronzenes Handwaschgefäß in Form eines Pferdes aus dem Hohen Mittelalter ist ein Luxusobjekt und in archäologischer Hinsicht ein außergewöhnlicher Fund.

Aquamanile von Großdemsin
Halbfrontale Ansicht des Aquamaniles von Großdemsin. Deutlich zu erkennen ist der Ausguss am Maul. Foto © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták.

Im Juli 2021 machte ein aufmerksamer Spaziergänger in der morastigen Niederung des Baches Schlagenthiner Stremme bei Großdemsin (Landkreis Jerichower Land) einen herausragenden Fund, der aus dem Boden einer frisch gemähten Wiese ragte. In vorbildlicher Weise meldete und übergab er das Objekt an das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt, wo es als hochmittelalterliches Aquamanile, ein Gefäß zum Ausgießen von Wasser, in Form eines Pferdes aus dem Zeitraum zwischen etwa 1150 und 1250 identifiziert wurde.

Die archaisch wirkende Pferdegestalt von circa 20 Zentimeter Länge und etwa 23 Zentimeter Höhe besitzt einen langgestreckten röhrenförmigen Rumpf mit ausladenden Rundungen an Gesäß und Brust und einen steil aufgerichteten Hals und Kopf. Die Grundform mit starren Vorderund leicht zurückgestellten Hinterbeinen erinnert an Löwenaquamanile der Zeit um 1200 nach Christus. Das leicht geschwungene, keilförmige Haupt des Pferdes mit seinen großen mandelförmigen Augen und nach vorn gerichteten spitzen Ohren ist plastisch vom Hals abgesetzt. Auf Stirn und Hals ist in Form von vier strichgefüllten Dreiecken die Mähne wiedergegeben. Auf der Stirn findet sich zudem das Scharnier samt beweglichem Klappdeckel für den Einguss. Der Ausguss liegt am Maul. Ein schlichter gebogener Rundstab dient als Griff.

Die eher unnatürlichen Proportionen und die recht stilisierte Ausführung lassen vermuten, dass das Aquamanile bereits im 12. oder in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand, wobei es sich keiner bestimmten Werkstatt zuschreiben lässt. Mit Magdeburg läge ein nahes frühes Zentrum für anspruchsvollen Buntmetallguss vor, in der Kunstgeschichte wird für Gieß-Pferde mit ähnlichen Charakteristika jedoch meist eine Entstehung in Ungarn unter Einfluss islamischer Vorbilder postuliert.

Zum Einsatz kamen derartige Gießgefäße im Mittelalter sowohl in liturgischen als auch in profanen Kontexten. Sie dienten zum Reinigen der Hände, entweder im Verlauf eines Mahls zum Vollzug und zur Demonstration eines luxuriösen, höfischen Lebensstils in adeligen Kreisen oder im Rahmen liturgischer Handwaschungen während des Gottesdienstes. Aus dem figürlichen Gefäß wurde Wasser über die Hände gegossen, das in einem darunter gehaltenen Becken wieder aufgefangen wurde. Bei dem Aquamanile von Großdemsin handelt es sich nicht nur um eine ausgesprochene Seltenheit, da derartige Objekte im archäologischen Fundmaterial kaum vorkommen, sondern auch um eines der frühesten bekannten Gießgefäße seiner Art. Daher wurde der herausragende Überraschungsfund kurzfristig in die eigentlich bereits abgeschlossene Konzeption der neuen Räume der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte aufgenommen, die ab dem 5. November 2021 der Öffentlichkeit zugänglich sein werden. Hier wird das Aquamanile zusammen mit anderem liturgischen Gerät den mittelalterlichen Gottesdienst veranschaulichen.

Aquamanile von Großdemsin
Detailansicht des Kopfes des Aquamaniles von Großdemsin. Auf der Stirn der unter einem beweglichen Klappdeckel verborgene Einguss. Foto © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták.
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