Jüdische Grabsteinfunde sind einzigartige Zeugnisse jüdischer Tradition in Mainz

Bei Bauarbeiten in der Mainzer Altstadt hat im November 2020 die Landesarchäologie Mainz 18 mittelalterliche jüdische Grabsteine freigelegt. Die Steine waren in einer Mauer als Füllmaterial verbaut worden. Kulturminister Prof. Dr. Konrad Wolf stellte gemeinsam mit Dr. Marion Witteyer, Leiterin der Landesarchäologie Mainz, der stellvertretenden Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Mainz, Joanna Wroblewska-Nell, sowie Rabbiner Aharon Vernikovsky die Fundstücke vor. Sie stammen ursprünglich von dem »Alten jüdischen Friedhof Mainz«, der im 11. Jahrhundert angelegt worden war.

Foto: MWWK / Piel
Kulturminister Prof. Dr. Konrad Wolf bei der Vorstellung der jüdischen Grabsteine. Foto: MWWK / Piel

»Mainz bildete gemeinsam mit Speyer und Worms im Mittelalter ein europaweit bedeutendes Zentrum jüdischen Lebens. Zu den einzigartigen Zeugnissen der drei SchUM-Gemeinden gehört auch der 1926 eröffnete Denkmalfriedhof, auf dem zahlreiche im Zuge von Bauarbeiten wiederentdeckte mittelalterliche Grabsteine aufgestellt wurden. Er ist in seiner Form weltweit einzigartig. Als Teil des Alten jüdischen Friedhofs ‚Mainzer Judensand« ist der Denkmalfriedhof damit ein zentrales Monument im Rahmen des SchUM-Welterbeantrags auf Anerkennung durch die UNESCO«, so Kulturminister Prof. Dr. Konrad Wolf. »Die mittelalterlichen Grabsteine vom ‚Alten jüdischen Friedhof Mainz« waren nach 1438 in großer Zahl als Baumaterial zweckentfremdet worden. Das gilt auch für die jetzt wieder entdeckten Grabsteine. Sie sind jahrhundertealte Zeugnisse der jüdischen Verwurzelung und Tradition in Mainz. Wir werden jetzt gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde klären, wie wir mit den Funden umgehen werden.«

»Die Grabung an der Rheinstraße ermöglicht uns erneut einen Blick auf das bedeutende historische Erbe der jüdischen Vergangenheit von Mainz. Zugleich ist es auch ein Zeugnis einer der dunklen Phasen der jüdischen Geschichte als hier und in vielen anderen Städten Deutschlands und Europas jüdische Gräber geschändet und Grabsteine als Baumaterial wiederverwendet wurden. Ob sich unter den neu gefundenen Mainzer Grabsteinen auch solche von bekannten Persönlichkeiten aus der SchUM-Zeit befinden, muss erst die Lesung der Inschriften ergeben. Sicher ist jedenfalls, dass die Grabsteine im 15. Jh., spätestens in der 1. Hälfte des 16. Jh. in der Rheinufermauer verbaut wurden. Möglicherweise waren die Pogrome von 1438 Anlass für die Zerstörung der Grabstätten. Insgesamt wurden 18 Grabsteine durch die Grabung wiedergewonnen«, erklärt Dr. Marion Witteyer, Leiterin der Landesarchäologie Mainz.

»Dass die Grabsteine lange Zeit in anderen Bauwerken verbaut wurden, lässt sich auch als ein Zeichen für die Verwickelungen der jüdischen Geschichte in Deutschland sehen«, so die stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Mainz, Joanna Wroblewska-Nell. »Gerade aber in einem Jahr wie 2021, in dem wir daran erinnert werden, dass Juden seit 1700 Jahren in Deutschland leben, können die wieder aufgefundenen Grabsteine auch dafür stehen, dass jüdisches Leben in Mainz nicht nur eine Geschichte hat, sondern auch eine Zukunft haben soll.« Und Rabbiner Aharon Vernikovsky ergänzt: »Die gefundenen Grabsteine sind ohne Frage von großer historischer und religiöser Bedeutung für die Erschließung jüdischer Geschichte des mittelalterlichen Mainz.«

Nach ihrer Freilegung wurden die Grabsteine in einem Depot der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) in Mainz-Bretzenheim zur weiteren Bearbeitung eingelagert. Als nächster Schritt findet die wissenschaftliche Bearbeitung der Steine und ihrer Inschriften statt. »Es ist unsere Verpflichtung, das jüdische Erbe zu dokumentieren und zu bewahren«, ergänzt der Minister.

Der alte jüdische Friedhof auf dem Judensand in Mainz ist der älteste jüdische Friedhof in Aschkenas und zugleich der größte aus der Zeit bis 1300. Er wurde zwischen dem 11. und späten 19. Jahrhundert nahezu durchgehend genutzt. In Anlage und Grabgestaltung wirkte er typbildend. Grundlegende Prinzipien der Grabgestaltung des aschkenasischen Judentums wurden in Mainz und Worms entwickelt und sollten für ganz Mitteleuropa maßgebend werden. Mittelalterlichen Schriftquellen zufolge reichte der Einzugsbereich des Mainzer Friedhofs, der traditionell von der Stadt angelegt worden war, vom Nahetal über den Rheingau bis nach Oppenheim.

Neben dem alten jüdischen Friedhof Worms ist er das bedeutendste Zeugnis der jahrhundertealten Bestattungstradition von Jüdinnen und Juden in den SchUM-Gemeinden. Noch heute ist der Friedhof in Mainz ein bedeutendes Ziel für Pilgerreisende.

Von den im Mainzer Stadtgebiet bei Bauarbeiten wiederentdeckten mittelalterlichen Grabsteinen und Fragmenten wurden 180 auf dem Denkmalfriedhof aufgestellt. Um die nachträgliche Aufstellung zu kennzeichnen, verzichtete man bewusst auf die Ostung der Grabsteine. Ihre Aufstellung entlang eines serpentinenartig gewundenen Pfades folgte didaktischen Prinzipen und geschah zum Gedächtnis der Verstorbenen.

Der Denkmalfriedhof dokumentiert die Bedeutung der jüdischen Gemeinde Mainz in Mittelalter. In seiner Anlage von 1926 ist er einzigartig in der jüdischen Welt. Die mittelalterlichen Grabsteine bezeugen überaus anschaulich die Entwicklung der jüdischen Kultur. Sie stammen aus dem 11. bis frühen 15. Jahrhundert. Der älteste datierte (1049) jüdische Grabstein Mitteleuropas befindet sich heute im Landesmuseum Mainz.

Blog-Beiträge durchblättern
Mit unserem kostenlosen Newsletter können Sie sich regelmäßig alle aktuellen Infos von Archäologie Online bequem in Ihr Postfach senden lassen.