Götter, Gräber und Agenten

Bereits zum 16. Mal präsentieren Fachleute auf der Jahrestagung der rheinischen Archäologie am 3. und 4. Februar wichtige Entdeckungen aus Paläontologie und Archäologie des Jahres 2019. Die neu konzipierte Tagung bietet erstmalig auch »Schlaglichter« auf einzelne herausragende Funde und Befunde.

Hortfund
Auswahl restaurierter Lanzenspitzen aus dem Hortfund von Voerde-Spellen (920–720 v. Chr. Mit insgesamt 5,5 kg Materialgewicht stellte er ein damals unschätzbares Vermögen dar. Foto: Jürgen Vogel/LVR-LandesMuseum Bonn

Vorgeschichte

Im Rahmen des ALEGrO-Projektes – Aachen Lüttich Electricity Grid Overlay – ist eine neue Hochspannungsgleichstromverbindung in Deutschland und Belgien zur unterirdischen Verlegung geplant. Die Trasse verläuft auf etwa 40 Kilometer quer durch das westliche Rheinland und bot als lineares Projekt die einmalige Möglichkeit, einen repräsentativen Querschnitt durch die Siedlungslandschaft zu erhalten. Hier konnten 59 Fundplätze unterschiedlicher Zeitstellung untersucht werden – von der Jungsteinzeit bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Erwähnenswert ist eine bandkeramische Siedlung mit Erdwerk bei Würselen-Broichweiden, die Einblicke in das Leben der ersten Bauern im Rheinland vor 7.300 Jahren gibt.

Ein Gräberfeld ohne Gräber erbrachte die sorgfältige Durchsicht einer Sammlung aus dem Bestand des LVR-LandesMuseums Bonn: 105, oft vollständige, jungsteinzeitliche Beilklingen (Dechsel) und 55 Hämatitbrocken zur Herstellung eines rötlichen Farbpulvers hatte ein Sammler zwischen 1973 und 2018 auf Ackerparzellen nahe Elsdorf-Niederembt aufgelesen. Allesamt typische Grabbeigaben der Bandkeramik. Sie belegen eines der im Rheinland sehr seltenen Gräberfelder dieser Zeitstellung mit etwa 150 bis 200 Gräbern.

Eine Sensation im Rheinland ist der spätbronze-/früheisenzeitliche Hortfund (920–720 v.Chr.) aus Voerde-Spellen. Die 132 teils fragmentierten, teils vollständigen Lanzenspitzen stellten mit einem Gewicht von rund 5,5 Kilo ein unschätzbares Vermögen dar.

»Moderne Untersuchungen an den teils beeindruckenden Wallanlagen in Eifel und Bergischem Land revidieren den bisherigen Forschungsstand«, so resümiert Dr. Erich Claßen, Leiter des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland, die wichtigen Ergebnisse dieses Forschungsprojektes. »Knapp ein Drittel der 60 Anlagen im südlichen Rheinland wurde bisher neu untersucht und oft sind sie wesentlich älter als gedacht. So stammt zum Beispiel die »Alteburg« bei Windeck-Leuscheid, die man bisher für eine mittelalterliche Fliehburg hielt, aus der Zeit um 100 v. Chr.«

Neue Erkenntnisse zur Wallkonstruktion erbrachte die präzise Dokumentation der Befunde am »Alten Burgberg« bei Euskirchen-Kreuzweingarten. Sie belegt eine Wehrmauer in Kastenbauweise mit Holzrahmenwerk und zwei trocken gesetzten Schalmauern. Zwei verkohlte Gerstenkörner aus der Verfüllung zweier Pfostengruben aus der Bauzeit der Anlage besitzen besondere Bedeutung: Ihre naturwissenschaftliche Datierung in die Zeit von 197–47 v.Chr. bzw. 166 v.Chr.–20 n.Chr. spricht für die Entstehung der Befestigung in der späten Eisenzeit. Die Errichtung von Wallanlagen in der Eisenzeit lässt sich mit der Ausbeutung von Metallvorkommen in Zusammenhang bringen. Genutzt wurden diese Anlagen jedoch immer wieder über die Jahrhunderte hinweg.

Römische Epoche

Zum Jahresende 2019 gelang mit der Fertigstellung des Antrags zur Aufnahme des Niedergermanischen Limes (NGL) in das UNESCO-Weltkulturerbe ein entscheidender Schritt. Am 9. Januar 2020 wurde der gemeinsame Antrag von den Niederlanden, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bei der UNESCO in Paris eingereicht, voraussichtlich im Sommer 2021 wird über die Aufnahme des NGL entschieden. Die archäologischen Überreste des NGL gehören zu den bedeutendsten Bodendenkmälern in Nordrhein-Westfalen. Deren Erforschung mit modernsten Mitteln war zentraler Inhalt der im Vorfeld der Antragstellung geleisteten Arbeit im Limes-Projekt des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege.

Doch auch der Rhein in römischer Zeit war Forschungsschwerpunkt. Geoarchäologische und archäobotanische Untersuchungen des Fachamtes und der Universitäten Köln und Bonn erbrachten ein überraschendes Ergebnis: Die Römer bevorzugten – entgegen der bisherigen Forschungsmeinung – die aktiven Prallhänge des damaligen Flusses als Hafenstandorte. Die massiven Uferschutzbauten waren so effektiv, dass der Rheinverlauf lange stabil blieb. Erst in der Spätantike und mit dem Ende des Römischen Reiches fehlte die Instandhaltung und sie zerfielen – und der Rhein kehrte in seine alte Dynamik zurück.

Funde von Seltenheitswert sind zwei Goldfibeln des 1. Jahrhunderts n. Chr. aus Bedburg-Pütz und Kerpen-Manheim, die wohl in der gleichen rheinischen Werkstatt gefertigt wurden. Die Entdeckung und Meldung der beiden Fibeln sind ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit lizensierten Sondengängern, die einen wichtigen Beitrag zur Bodendenkmalpflege leisten.

Besondere Funde barg auch ein römischer Brunnen auf dem Areal des Neuen Kanzlerplatzes in Bonn, im Bereich der römischen Zivilsiedlung (vicus). Die Skulptur des Gottes Apoll aus dem 2. Jahrhundert gehört, wenngleich ohne Kopf, zu den qualitativ hochwertigsten im Rheinland. Er fand sich in einer Schicht des 3. Jahrhunderts gemeinsam mit zwei weiteren Skulpturenfragmenten, vielleicht Musen, sowie zwei Weihealtären und einem Inschriftenstein mit der Aufschrift APO[L oder l]. Vielleicht stammen sie aus einem Privat- oder Apolloheiligtum. Die Stücke könnten während der Unruhen im Römischen Reich in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts zerstört und in den Brunnen gestürzt worden sein.

Im LVR-Archäologischen Park Xanten erbrachten die laufenden Forschungen wieder spannende Aufschlüsse über den Alltag in der römischen Stadt Colonia Ulpia Traiana. So geben zahlreiche kleine Terrakottafiguren aus einer Grube neue Einblicke in das kultische Treiben in der alten Metropole. Rätselhaft sind zwei Eisenobjekte aus dem Bereich des antiken Hafens sowie zwei Amphoren aus Blei im Miniaturformat, über deren Funktion die Experten noch grübeln. In der Werft des Freilichtmuseums kamen die Arbeiten an einem römischen Patrouillenschiff, das im Frühjahr seine Jungfanfahrt antreten soll, in großen Schritten voran. Erstmals wurden dabei Segel aus Leinen experimentell rekonstruiert und in den römischen Handwerkerhäusern vor den Augen der Museumsgäste gewebt.

Das Römisch-Germanische Museum der Stadt Köln war im Jahr 2019 vielerorts im Stadtgebiet tätig. Die Ausgrabungen am Domhotel öffneten ein Fenster in die Stadtgeschichte und dies obwohl der Bau des Luxushotels ab 1893 die Befunde zum Großteil zerstört hatte. Von der frühesten römischen Holzbauphase aus der Zeit des Kaisers Augustus um Christi Geburt und der nachfolgenden Steinbebauung zeugen die Reste, darunter auch ein gut erhaltener Keller. Ein weitaus jüngerer Fund aus einer als Abfallgrube genutzten Latrine gibt Einblicke in die Bewirtung der Hotelgäste im frühen 20. Jahrhundert: ein vielteiliger Geschirrsatz aus Glas.

Am Rudolfplatz – einem anderen »HotSpot« der Stadtgeschichte – konnten Öfen und Abfallgruben der dort ansässigen römischen Töpfereiindustrie des 2. Jahrhunderts aufgedeckt werden. Eine besondere Überraschung war die Entdeckung eines Teils des Brücken-Widerlagers der Kölner Stadtbefestigung des Mittelalters, hier im barocken Ausbauzustand. Der barocke Festungsrest und der römische Keller am Dom können als hochrangige Zeugnisse der Stadtgeschichte dauerhaft erhalten werden.

Nach mehr als vier Jahrzehnten muss das Römisch-Germanische Museum der Stadt Köln grundlegend saniert werden. Seit November haben die Ausstellungsstücke ihr neues Interimsquartier im Belgischen Haus bezogen. Hier wird eine ebenso hochkarätige wie repräsentative Auswahl kostbarer Pretiosen aus Kölner Ausgrabungen gezeigt.

Mittelalter und Neuzeit

Ein singulärer Fund kam in einem der 87, zumeist beraubten, frühmittelalterlichen Gräber aus Bonn-Beuel (Vilich-Rheindorf) zutage: In einem Schankeimer steckten drei Hähne. Diese waren nicht etwa als Speisebeigabe gedacht, sondern weisen auf eine besondere Freizeitbeschäftigung hin: Hahnenkämpfe. Dieser Fund sowie besondere Glasgefäße und mit aufwändigen Granat- bzw. Glaseinlagen (Cloisonné) verzierte Metallobjekte zeugen von Wohlstand und internationalen Kontakten der so ausgestatteten Personen.

Ein aus 41 Silbermünzen und -fragmenten bestehender Schatz des 11. Jahrhunderts stammt aus einer Raubgrabung nahe Remscheid-Reinshagen. Die vollständigen Münzen sollten bereits 2018 in einer Auktion versteigert werden, die Fragmente blieben – da für den Verkauf unattraktiv – im Besitz des illegalen Sondengängers. Somit wäre dieses wichtige Kulturrelikt zur mittelalterlichen Geldgeschichte beinahe für die Allgemeinheit verloren gegangen. Glücklicherweise konnten die Auktion gestoppt und ein Verfahren gemäß Kulturgutschutzgesetz eingeleitet werden. Die Silberdenare wurden inzwischen dem LVR-LandesMuseum Bonn übergeben, wissenschaftlich ausgewertet und werden nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

In Erkelenz-Immerath kamen die Ausgrabungen an der Vorgängerkirche von St. Lambertus zum Abschluss. Dabei wurden – neben Baubefunden – über 200 mittelalterliche bis neuzeitliche Gräber freigelegt. Von besonderem Interesse war eine dem Ortsadel vorbehaltene Grablege innerhalb einer um 1240/50 angebauten Adelskapelle. In einem der eigentlich beigabenlosen Gräber fand sich überraschend ein gläserner Glättstein zum »Bügeln« von Textilien. Dieser wurde womöglich heimlich dort deponiert, denn die Kirche lehnte derartige Grabbeigaben strikt ab.

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs ließ die Firma Aerostahl in den unterirdischen Tuffsteinbrüchen (Ofenkaulen) bei Königswinter Flugzeugmotorenteile von Zwangsarbeitern produzieren. Die archäologische Untersuchung zweier Barackenstandorte erbrachte umfangreiche Erkenntnisse zum Leben der Zwangsarbeiter, aber auch der ab 1945 dort untergebrachten, ausgebombten Bevölkerung. Die Baracken brach man nach dem Krieg ab und verkaufte sie, Glas und Porzellangeschirr, aber auch Schuhe, Besteck, Werkzeug und Konservendosen verblieben vor Ort.

Agententätigkeit im Kalten Krieg bezeugt ein sowjetisches Funkgerät aus Elsdorf-Heppendorf, Tagebau Hambach. Dieser für die Bodendenkmalpflege überraschende Fund wurde in der UdSSR hergestellt, ist allerdings zu Tarnungszwecken in Englisch beschriftet. Das noch original verpackte Kurzwellenfunkgerät hatte eine Reichweite von 1.200 Kilometer. Der aus heutiger Sicht abgelegene Fundort erklärt sich durch seine Nähe zu einem US-Kernwaffenstützpunkt in Nörvenich.

Goldfibel 1. Jh.
Seltene Goldfibel des 1. Jahrhunderts n. Chr. aus Kerpen-Manheim. Foto: Jürgen Vogel/LVR-LandesMuseum Bonn
Schatzfund aus Remscheid-Reinshagen
Silbermünzen des illegal geborgenen Schatzes aus Remscheid-Reinshagen aus dem 11. Jahrhundert. Foto: J. Vogel/LVR-LandesMuseum Bonn
Agentenfunkgerät
Zeugnis des Kalten Kriegs: Agentenfunkgerät aus Elsdorf-Heppendorf. Foto: Jürgen Vogel/LVR-LandesMuseum Bonn
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