Forscher wollen Speiseplan des Hochdorfer Keltenfürsten rekonstruieren

Grünkern kennen die meisten Menschen heute nur noch als Nischenprodukt im Biosupermarkt. Doch gerade in Baden-Württemberg isst man die grün geernteten Dinkelkerne bereits seit Jahrhunderten. Grünkern, so vermutet Archäobotaniker Dr. Hans-Peter Stika, könnte bereits der Keltenfürst von Hochdorf im 5. Jahrhundert vor Christus gegessen haben. Welche Lebensmittel bei den Kelten auf dem Speiseplan standen und wie diese zubereitet wurden, das untersuchen nun Wissenschaftler an der Universität Hohenheim in Stuttgart im Rahmen des ERC-Projektes "PLANTCULT“.

PLANTCULT

Grünkern herzustellen ist Knochenarbeit. Zuerst werden die Körner des Urgetreides Dinkel halbreif geerntet. Auf einem Metallgitter werden die Körner dann mehrere Stunden lang unter ständiger Bewegung geröstet. Die Hitze entzieht den Körnern Feuchtigkeit und macht sie dadurch länger haltbar, der Rauch sorgt für den typischen Geschmack.

Die süddeutsche Grünkern-Tradition reicht aber viel weiter zurück. Wie lange genau, wollen die Archäobotaniker Dr. Hans-Peter Stika und Dr. Marian Berihuete Azorin von der Universität Hohenheim herausfinden. Ihre Vermutung: "Schon der Keltenfürst aus Hochdorf könnte Grünkernbrei oder -brot gegessen haben."

Darauf deuten Spuren von Dinkelkörnern hin, die in der Siedlung neben dem Fürstengrab in Hochdorf bei Ludwigsburg gefunden wurden. Besonderes Glück für die Archäobotaniker: Die Ausgrabung förderte verkohlte Dinkelkörner zutage, vermutlich Überreste aus einem Herd oder einer Feuerstelle. "Im verkohlten Zustand sind die Körner bis heute erhalten geblieben, sodass wir sie hier im Labor analysieren und mit dem modernen Grünkern vergleichen können", freut sich Dr. Stika.

Dabei wollen die Forscher vor allem wissen, wie die gefundenen Dinkelkörner aus der Eisenzeit zubereitet wurden. Um Grünkern handelt es sich nur dann, wenn die Körner im unreifen Zustand, also grün, geerntet und dann mit Rauch und Hitze haltbar gemacht werden – das sogenannte „Darren", das in speziellen Räucherhütten stattfindet.

Ob das mit den Dinkelproben aus der Hochdorfer Keltensiedlung geschehen ist, erkennen Dr. Stika und Dr. Berihuete unter dem Rasterelektronenmikroskop. Dazu vergleichen sie die Getreidefunde aus der Hochdorfer Keltensiedlung mit Proben einer alten Dinkelsorte, die speziell für die Grünkern-Ernte im Odenwald angebaut wird. "Sehen die vorzeitlichen Dinkelkörner so aus wie das frisch gedarrte Grünkern aus dem Odenwald, bedeutet das, dass sie auf ähnliche Weise behandelt und haltbar gemacht wurden", erklärt Archäobotaniker Dr. Stika.

Die modernen Vergleichsproben ernten die Forscher in diesen Tagen auf Versuchsfeldern in Walldürn-Altheim am Rande des Odenwaldes im Übergang zum Bauland. Dort wird die Sorte "Bauländer Spelz" angebaut, eine Dinkelsorte, die sich besonders gut für die Grünkern-Produktion eignet. Die Wissenschaftler der Universität Hohenheim dokumentieren dabei die gesamte Verarbeitungskette: Aussaat, verschiedene Zwischenstände, Ernte und Weiterverarbeitung zum Grünkern.

Getreide unreif ernten, um es dann aufwendig zu konservieren: Für diese scheinbar unnötig komplizierte Vorgehensweise gab es gute Gründe. Bisher sei man davon ausgegangen, dass klimatische Bedingungen wie kühle, verregnete Sommer in der Region zu der speziellen Verarbeitung des Dinkels geführt haben. "Dagegen spricht aber, dass auch in warmen Regionen wie Nordafrika und dem Nahen Osten Getreide unreif geerntet und gedarrt wird", erklärt Archäobotanikerin Dr. Berihuete Azorin.

Ihr Kollege Dr. Stika vermutet wirtschaftliche Gründe: "Den Dinkel grün zu ernten bedeutet, dass die Bauern schon Anfang Juli die ersten Einnahmen haben – einen Monat vor der eigentlichen Getreideernte. Das könnte für viele Bauern eine finanzielle Entlastung gewesen sein."

"Was haben die Leute vor hunderten oder sogar tausenden von Jahren gegessen – und wie haben sich bestimmte Kulturen anhand dieser Speisen identifiziert?" So fasst Dr. Stika den Ansatz des EU-Projektes PLANTCULT zusammen, in dessen Rahmen das Grünkern-Experiment stattfindet.

Neben Grünkern und Dinkel will er sich noch verschiedene andere Nahrungsmittel ansehen: Auch Malz wurde in Hochdorf gefunden und dort, wie Dr. Stika im vergangenen Jahr nachweisen konnte, bereits vor 2.500 Jahren zu Bier verarbeitet.

Gemeinsam mit Projektpartner Dr. Andreas Heiss vom Österreichischen Archäologischen Institut wird Dr. Stika noch ein weiteres Grundnahrungsmittel unter dem Rasterelektronenmikroskop betrachten: Brote, die in Pfahlbausiedlungen aus dem Neolithikum, der Bronze- und frühen Eisenzeit beispielsweise vom Bodenseeufer in Hornstaad-Hörnle IA (Gemeinde Gaienhofen) und Sipplingen-Osthafen oder vom Zürichsee, Parkhaus Opéra Zürich, gefunden wurden. Proben davon bekommen die Wissenschaftler von der Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg, der Kantonsarchäologie Zürich und aus dem Museum für Brotkultur in Ulm zur Verfügung gestellt.

Europaweit untersuchen Forscher aus Griechenland, Deutschland, Österreich und der Schweiz in dem Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Soultana Maria Valamoti von der Aristoteles-Universität Thessaloniki weitere regionale Nahrungsmittel wie zum Beispiel Olivenöl, Bier und Wein. Dabei betrachtet das Team auch Herstellung, Verzehr und kulturelle Bedeutung der verschiedenen Nahrungsmittel. Rückschlüsse darauf erlauben Fundstücke wie Kochutensilien, Werkzeuge und Geräte zur Verarbeitung verschiedener Lebensmittel sowie historische Texte und Inschriften.

Der European Research Council der Europäischen Kommission fördert das auf fünf Jahre angelegte Projekt "Identifying the food cultures of ancient Europe: an interdisciplinary investigation of plant ingredients, culinary transformation and evolution through time" mit insgesamt knapp 1,9 Millionen Euro.

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