Neandertaler im Kreis Olpe

Heimatforscher findet den ersten Nachweis für den Neandertaler

Für ungeübte Augen sieht er aus wie ein schlichter dunkelgrauer Stein. Bei den Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sorgt er jetzt für mehr als bloße Begeisterung. Das gerade einmal acht Zentimeter lange Stück Kieselschiefer trägt eine kleine Sensation in sich, ist es doch ein Werkzeug des Neandertalers. Damit ist dieser Stein, den die Fachleute als »Levallois-Kern« bezeichnen, der erste Nachweis für den Neandertaler im Kreis Olpe. Entdeckt haben ihn weder hochmoderne Techniken noch die bei »Schatzjägern« aktuell besonders gefragten Metallsonden, sondern schlicht die geübten Augen von Heimatforscher Gilbert Schmelter.

Levallois-Kern
Auf den ersten Blick unscheinbar, aber mit wichtigem archäologischen Inhalt: Dieser Levallois-Kern ist ein Produkt des Neandertalers. Foto: LWL/H. Menne

»Bislang reichen die Besiedlungsnachweise im Kreis Olpe nur knapp 10.000 Jahre bis in die Mittelsteinzeit zurück«, erläutert der Leiter der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen, Prof. Dr. Michael Baales. »Jetzt haben wir den ersten Nachweis, dass hier bereits der Neandertaler lebte.« Denn Steine wie der jetzt entdeckte sind typische Relikte aus dem Alltag des wohl bekanntesten Urmenschen. Dabei handelt es sich eigentlich um regelrechten Abfall. »Diese Kerne dienten den Neandertalern dazu möglichst flache Steinsplitter, so genannte Abschläge, abzutrennen«, beschreibt Baales. Diese Abschläge haben sie dann zu Werkzeugen weiterverarbeitet, etwa zu Waffenspitzen oder Schlachtgeräten. Auch dieser Levallois-Kern ist also der Zeuge einer komplexen Steinbearbeitung, mit der sich die Neandertaler vor zehntausenden von Jahren abmühten. Die Urmenschen lebten vor etwa 280.000 bis vor gut 40.000 Jahren. Baales verortet den neuen Fund in die letzte Eiszeit, die 80.000 bis 40.000 Jahre zurück liegt.

Diese archäologische Überraschung ist dem scharfen Blick und der jahrelangen Erfahrung von Schmelter zu verdanken. Der Attendorner entdeckte den Stein, als er eine Ackerfläche oberhalb der Lenne bei Lennestadt-Trockenbrück nach archäologischen Relikten absuchte. Schmelter ist seit einigen Jahren ein Helfer für die Archäologen der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen. Immer wieder geht er mit Kennerblick auf die Suche, entdeckt regelmäßig vor allem Steingeräte aus längst vergangenen Zeiten. Auf diese Weise gelang es ihm bereits, die Fundkarten um einige neue Fundorte aus der Mittelsteinzeit zu ergänzen. Eine wichtige Hilfe für das Archäologenteam, denn gerade die Steinwerkzeuge oder auch Keramik kann keine Metallsonde und noch so ausgefeilte Technik aufspüren.

»Dieser außergewöhnliche Fund zeigt, wie wichtig freiwillige Helfer und gerade die klassischen Heimatforscher für unsere Arbeit sind«, betont Baales. Die Funde sind »Botschafter« der im Boden verborgenen Bodendenkmäler und damit wichtige Informationen für die Archäologen. Sie helfen dabei, etwa bei geplanten Baumaßnahmen die Gefährdung dieser durch die Erde geschützten Zeugnisse der Vergangenheit besser einschätzen zu können. »Leider werden Ehrenamtliche Helfer wie Schmelter immer seltener, vielerorts gibt es sogar niemanden mehr, der diese besondere Kunst des Aufspürens mit dem bloßen Auge beherrscht«, so Baales. »Metallsuchgeräte erleben gerade einen regelrechten Hype und verdrängen die klassischen Heimatforscher. Sonden versprechen vermeintlich wertvolle Entdeckungen wie Münzschätze oder Edelmetalle und verlocken viele dazu, ohne die erforderliche Genehmigung auf die Suche zu gehen. Dabei kommen selten wirkliche Schätze wie dieser Levallois-Stein zutage«, weiß Baales. Noch seltener kann wie in diesem Fall die Urgeschichte einer ganzen Region neu geschrieben werden.

Zeugnisse der mittleren Altsteinzeit gibt es im nordwestlichen Sauerland übrigens einige, darunter auch überregional bedeutende wie etwa in den Höhlen des Hönnetals bei Balve. Sie fehlten bisher allerdings in den südlichsten Bereichen Südwestfalens einschließlich des Kreises Siegen-Wittgenstein. Schmelter hat diese leeren Flecken in den Fundkarten nun beseitigt. »Vielleicht lassen sich durch diesen Fund ja andere Geschichts- und Archäologieinteressierte begeistern, in die Fußstapfen von Gilbert Schmelter zu treten. Die Archäologen helfen gern beim Einstieg in die hohe Kunst des Suchens nach Artefakten mit dem bloßen Auge«, so Baales.

Baale, Schmelter
Prof. Dr. Michael Baales (r.) ist von dem Fund des Heimatforschers Gilbert Schmelter (l.) begeistert. Solche Funde sind sehr selten und wichtige Informationsquellen für die Archäologen. Ganz nebenbei schreiben sie wie in diesem Fall auch im wahrsten Sinne Geschichte. Foto: LWL/H. Menne
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