Klebstoff der Steinzeit: Neue Untersuchungen zur Herstellung von Birkenpech durch Neandertaler

80.000 Jahre alte Birkenpechfunde zeigen: Frühe Menschen verwendeten komplexe Produktionsmethoden, um das als Klebstoff zur Befestigung von Steingeräten an hölzernen Schäftungen genutzte Material herzustellen. Die in einer aktuellen Studie untersuchten Funde sind nicht durch einfache Kondensation aus brennender Rinde in einem Lagerfeuer entstanden. Die Beherrschung des aufwendigen technologischen Prozesses ist ein Nachweis für die geistigen Fähigkeiten der Neandertaler.

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Birkenpech mit Fingerabdruck eines Neandertalers
Birkenpechklumpen aus Königsaue. Im Pech zeichnen sich die Abdrücke eines Steins und eines Holzstücks ab; schwach erkennbar der Fingerabdruck eines Neandertalers. Foto: J. Lipták © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Birkenpech ist eines der ältesten von frühen Menschen künstlich hergestellten Materialien. Es wurde beispielsweise als Klebstoff benutzt, etwa um Steingeräte an hölzernen Schäftungen zu befestigen. Die frühesten Belege werden mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht. Der genaue Prozess der Herstellung von Birkenpech ist umstritten. An dieser Frage nach der verwendeten Produktionstechnik hängen wesentliche Einsichten zu den kulturellen Fähigkeiten des Neandertalers.

Birkenpech kann in einem komplizierten mehrstufigen Schwelprozess in einer Grube unter Luftabschluss produziert werden. Die Beherrschung eines solchen Prozesses wäre ein Beleg für umfangreiche kognitive Fähigkeiten des Neandertalers. Experimente haben jedoch ergeben, dass Birkenpech auch aus brennender Rinde auf Steinen kondensieren kann. Wäre dieser Prozess an prähistorischen Funden nachweisbar, würde ein wesentliches Argument für anspruchsvolle kognitive Fähigkeiten des Neandertalers entfallen.

Zur Klärung dieser Frage hat ein Team aus Wissenschaftlern der Universität Tübingen, der Universität Straßburg und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unter Leitung von Patrick Schmidt zwei Schlüsselfunde zur frühen Birkenpechherstellung von dem bekannten Fundplatz Königsaue bei Aschersleben (Salzlandkreis) neu chemisch untersucht und mit experimentell durch unterschiedliche Verfahren hergestellten Proben verglichen.

In Königsaue wurden durch den Braunkohletagebau in den Jahren 1963-1964 archäologische Fundschichten aufgeschlossen. Spuren mehrerer saisonaler Jagdlager von Neandertalern an einem ehemaligen See konnten beobachtet werden, die ältesten Fundschichten datieren etwa um 80.000 Jahre v. H. Unter den Funden waren zwei Stücke von Birkenpech. Auf einem davon konnten bereits vor den aktuellen Untersuchungen Abdrücke eines Steins und eines Holzstücks sowie der Fingerabdruck eines Neandertalers festgestellt werden. Es ist heute im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) ausgestellt.

Die Forscher untersuchten die Funde durch Infrarotspektroskopie, Gaschromatographie und erstellten CT-Bilder. Die Ergebnisse verglichen sie mit Untersuchungen an experimentell hergestelltem Birkenpech. Im Ergebnis steht nun fest: das Birkenpech aus Königsaue wurde im Rahmen eines aufwendigen technologischen Prozesses unter Luftabschluss hergestellt. Die Beherrschung dieser Technologie deutet nicht nur auf erhebliche geistige Fähigkeiten der Neandertaler, auch darf angenommen werden, dass unsere frühen Verwandten in der Lage waren, das Wissen um solche Prozesse zu erhalten und an nachfolgende Generationen weiterzugeben.

Publikation

Schmidt, P., Koch, T. J., Blessing, M. A., Karakostis, F. A., Harvati, K., Dresely, V., & Charrié-Duhaut, A.

Production method of the Königsaue birch tar documents cumulative culture in Neanderthals

Archaeological and Anthropological Sciences. 22.5.2023
DOI: 10.1007/s12520-023-01789-2

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Der Fund von Königsaue - Daumenabdruck eines Neandertalers im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle