Palast aus der Zeit des Mittani-Reichs im Nordirak entdeckt

Deutsche und kurdische Archäologen und Archäologinnen haben am Ostufer des Tigris in der Region Kurdistan-Irak einen Palast aus der Bronzezeit entdeckt. Wie das internationale Forscherteam berichtete, lässt sich die Anlage am Fundort Kemune in die Zeit des Mittani-Reiches datieren, das vom 15. bis 14. Jahrhundert vor Christus weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens beherrschte.

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Palast von Kemune
Blick auf den Palast von Kemune, Drohnenaufnahme von West. Foto: Universität Tübingen

Im zurückliegenden Herbst brachte der sinkende Wasserspiegel des Mosul-Stausees im Nordirak unerwartet Überreste einer antiken Stadtanlage zum Vorschein. An den vom Wasser freigespülten, offenliegenden Ruinen wurde spontan eine archäologische Rettungsgrabung unternommen. Diese wurde im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts der Universität Tübingen mit der Kurdistan Archaeology Organization (KAO) in Zusammenarbeit mit der Antikendirektion Duhok gemeinsam von Dr. Hasan Ahmed Qasim (Duhok) und Dr. Ivana Puljiz (Tübingen) geleitet. Der kurdische Archäologe Hasan Ahmed Qasim erläutert: »Der Fund ist eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte in der Region und veranschaulicht den Erfolg der kurdisch-deutschen wissenschaftlichen Zusammenarbeit«. Das Projekt wurde größtenteils durch die KAO und deren Sponsor, dem kurdischen Geschäftsmann Hersh Isa Swar, finanziert.

Wie Ivana Puljiz vom Tübinger Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) berichtete, handelt es sich um ein planmäßig angelegtes Gebäude mit massiven, bis zu zwei Meter dicken Innenmauern aus Lehmziegeln. Einige Wände seien über 2 Meter hoch und die Innenräume teilweise verputzt. »Wir haben zudem Reste von Wandmalereien in leuchtenden Rot- und Blautönen gefunden«, sagte Puljiz: »Wandmalereien dürften im 2. Jahrtausend vor Christus im Alten Orient ein typisches Ausstattungsmerkmal von Palästen gewesen sein, sie haben sich aber nur sehr selten erhalten. Deshalb stellt die Entdeckung von Wandmalereien in Kemune eine archäologische Sensation dar.«

Wie Puljiz berichtete, sind die Überreste des Palastes mindestens sieben Meter hoch erhalten. Klar erkennbar seien zwei Nutzungsphasen, die anzeigen, dass das Gebäude über einen sehr langen Zeitraum benutzt wurde. Im Inneren des Palastes konnte das Team mehrere Räume identifizieren, von denen acht teilweise ausgegraben wurden. In einzelnen Bereichen wurden große, gebrannte Ziegel gefunden, die als Bodenplatten verwendet wurden. In den Palasträumen wurden zehn mittanische Keilschrifttafeln aus Ton entdeckt, die momentan von der Philologin Dr. Betina Faist (Universität Heidelberg) übersetzt und ausgewertet werden. Der Inhalt einer Schrifttafel deutet darauf hin, dass der Ort Kemune höchstwahrscheinlich die alte Stadt Zachiku war, die bereits in einer altorientalischen Quelle der Mittleren Bronzezeit (ca. 1800 v. Chr.) genannt ist. Dies würde bedeuten, dass die Stadt mindestens 400 Jahre bestanden hat. Zukünftige Textfunde werden zeigen, ob diese Identifikation zutreffend ist.

Der Palast stand während des Altertums auf einer Anhöhe am Rand des Flusstales, die vor der Flutung des Stausees nur 20 Meter vom Ostufer des Tigris entfernt gelegen war. Um das abschüssige Gelände zum Fluss hin abzustützen, wurde in der Mittanischen Zeit eine monumentale, aus Lehmziegeln erbaute Terrassenmauer vor der Westfront des Palastes angelegt. Der Palast thronte also über dem Tigristal.

Geländebegehungen, die durch den Tübinger Survey des SFB 1070 unter der Leitung von Dr. Paola Sconzo (Tübingen) im Umfeld des Palastes durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass sich eine größere Stadt in nördlicher Richtung an den Palast anschloss. Hasan Ahmed Qasim erklärt: »Wir hatten den Fundort Kemune bereits 2010 bei einem Niedrigwasserstand des Sees entdeckt. Bereits damals haben wir eine mittanische Keilschrifttafel gefunden und Überreste von Wandmalereien in rot und blau gesehen. Aber erst jetzt können wir hier ausgraben«. Eine Ausgrabung war bislang nicht möglich, da das Gelände seit Mitte der 1980er Jahre von den Wassern des Mosul-Stausees überflutet war. Aufgrund ausbleibender Niederschläge und Wasserknappheit im südlichen Irak war der Pegelstand des Sees im Sommer und Herbst des letzten Jahres so stark gesunken, dass erstmals mit einer Ausgrabung begonnen werden konnte.

»Das Mittani-Reich ist eines der am wenigsten erforschten altorientalischen Reiche«, erläutert Puljiz: »Informationen über Paläste der Mittani-Zeit liegen bisher nur aus Tell Brak in Syrien sowie aus den an der Peripherie des Reiches gelegenen Städten Nuzi und Alalach vor.« Auch sei es bislang nicht gelungen, die Hauptstadt des Mittani-Reiches zweifelsfrei zu lokalisieren. Die Entdeckung eines mittanischen Palastes in Kemune ist deshalb von unschätzbarer wissenschaftlicher Bedeutung.

Das Reich von Mittani erstreckte sich vom 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr. von der Mittelmeerküste bis in den Osten des heutigen Nord-Irak. Das Kerngebiet dieses Großreiches befand sich im heutigen Nordost-Syrien, wo auch seine bisher nicht sicher lokalisierte Hauptstadt Waschukanni gelegen haben dürfte. Akkadische Keilschrifttexte aus dem Fundort Tell el-Amarna im heutigen Ägypten zeigen, dass die mittanischen Könige auf Augenhöhe mit den ägyptischen Pharaonen und den Großkönigen von Hatti und Babylonien interagierten. Beispielsweise ist bekannt, dass der mittanische König Tuschratta seine Tochter dem Pharao Amenophis III. zur Frau gab. Um 1350 v. Chr. verlor Mittani seine politische Bedeutung. Die bis zu diesem Zeitpunkt beherrschten Territorien gerieten unter die Kontrolle der umliegenden Großreiche der Hethiter und der Assyrer. Charakteristisch ist die bemalte Keramik der Mittani-Kultur. Solche Keramikgefäße zeichnen sich durch eine sorgfältig ausgeführte helle Bemalung auf dunklem Grund aus. Ihr auffälliges Aussehen ermöglicht es Archäologen Fundorte, an denen Scherben dieser bemalten Gefäße gefunden werden, in die Zeit des Mittani-Reiches zu datieren.

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28.06.2019
Fragment von Wandmalerei
Fragment von Wandmalerei. Foto: Universität Tübingen
Terassierungsmauer des Palastes
Die Terrassierungsmauer westlich des Palastes von Kemune. Foto: Universität Tübingen
Ausgrabung am Mossul-Stausee
Die Grabungen am Ufer des Mossul-Stausees; Raum mit Wandmalereien im Palast von Kemune. Foto: Universität Tübingen
Dr. Ivana Puljiz
Dr. Ivana Puljiz. Foto: Universität Tübingen
Dr. Hasan Ahmed Qasim
Dr. Hasan Ahmed Qasim. Foto: Universität Tübingen