Wo Isis Jesus zu Hilfe holt

Texte voller Zaubersprüche stehen im Zentrum eines neuen Forschungsprojekts an der Universität Würzburg. Sie verraten viel über das religiöse Leben in Ägypten im Übergang von der traditionellen Religion zu Christentum und Islam.

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Forscherteam
Das Forschungsteam in der Handschriftensammlung der Unibibliothek (v.l.): Markéta Preininger Svobodová, Korshi Dosoo und Edward O. D. Love. (Foto: Gunnar Bartsch/Universität Würzburg)

Was tut ein Mann, der Angst hat, eine Frau könnte ihm mit ihrer Aussage vor Gericht schaden? Er ruft auf einem kleinen Stück Papier Engel zu Hilfe. Diese sollen mit einem Zauber die Frau verstummen lassen. Zur Verdeutlichung ist dem Text eine einfache Zeichnung beigefügt. Dort ist gut zu erkennen, wie zwei Geister die Frau in die Zange nehmen und ihren schädlichen Einfluss auf sie ausüben.

Mehr als 1.000 Jahre ist es her, dass der unbekannte Mann magische Kräfte anrief, die ihm aus seinen Schwierigkeiten heraushelfen sollten. Weil der Zettel über die Jahrhunderte nicht verloren ging, wissen wir heute von diesem privaten Drama. Mittlerweile liegt er gut konserviert in den Tresoren der Würzburger Universitätsbibliothek und wird nur selten ans Tageslicht befördert. Einem neuen Forschungsprojekt ist es zu verdanken, dass das unscheinbare Stück Papier jetzt wieder auf Interesse stößt.

Das Forschungsprojekt

»The Coptic Magical Papyri: Volksreligion im spätantiken und frühislamischen Ägypten« lautet der Name des Forschungsprojekts, das soeben seine Arbeit aufgenommen hat. Angesiedelt am Lehrstuhl für Ägyptologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und ausgelegt auf fünf Jahre, will es einen vollständigen Überblick über alle heute bekannten magischen Texte und Textfragmente aus der Zeit von etwa 200 bis 1200 nach Christi Geburt geben – inklusive Übersetzung, Interpretation und Einordnung in einer frei zugänglichen Datenbank. Verantwortlich dafür ist der Nachwuchsgruppenleiter Dr. Korshi Dosoo; er wird unterstützt von dem Postdoc Edward O. D. Love und der Doktorandin Markéta Preininger Svobodová.

So unterschiedlich diese Texte in ihrem äußerlichen Auftritt sind – einige sind auf Papyrus geschrieben, andere auf Pergament oder Papier; Tonscherben finden sich darunter und Bleiamulette – so identisch ist doch ihr Inhalt: Immer schildern sie private religiöse Praktiken, die dazu bestimmt sind, mit den Krisen des täglichen Lebens in Ägypten fertig zu werden. Dementsprechend lassen sich die meisten von ihnen fünf großen Themenkreisen zuordnen: Liebe, Schutz, Heilkunst, Flüche und Divination – also die Wahr- oder Vorhersagekunst.

Liebeszauber und Bitte um Schutz

So zeigt beispielsweise ein Pergament aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert nach Christus, dass sich Menschen damals bei der Partnersuche die Hilfe höherer Mächten holten. In dem Text ruft ein gewisser Apa Apollo, vielleicht ein Mönch, die Kräfte des Iao Sabaoth an. Er bittet darum, nachdem er das Pergament an der Tür eines bestimmten Maure niedergelegt habe, dass der andere Mann den Apa Apollo »von Stadt zu Stadt« suche, bis Maure ihm »alle seine Wünsche« erfülle.

Schutz erhoffen sich die Verfasser solcher Texte beispielsweise auch vor feindlichen Angriffen. Dann bitten sie die Götter darum, einen Gegner vor dem Wettkampf oder einen persönlichen Feind durch Krankheit oder Schlaflosigkeit so zu schwächen, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Und unter dem Stichwort »Heilkunst« finden sich Texte, die sich wie eine Mischung aus Rezeptbuch und Zauberspruch lesen. Einerseits ist dort erklärt, dass eine Mischung aus Salz, Goldstücken und Öl Entzündungen heilen kann; andererseits soll der Zettel selbst – aufgerollt und um den Hals getragen – Kinder beispielsweise vor Fieber schützen.

Eine wilde Mischung der Religionen

»Diese Dokumente dienen als wichtige Informationen für die Volksreligion – die Realitäten, wie sie im täglichen Leben erlebt und durchgeführt wurden, und nicht das Ideal religiöser Praktiken und Überzeugungen«, erklärt Korshi Dosoo das Interesse der Wissenschaftler an diesen Textdokumenten. Damit geben sie Auskunft über die Entwicklung religiösen Lebens in Ägypten in einer Zeit, die vom Übergang von der traditionellen ägyptischen Religion zu Christentum und Islam geprägt ist. 

Welche wilden Mischungen sich daraus bisweilen ergeben, zeigt nach Dosoos Ansicht ein Textbeispiel deutlich. Darin wird geschildert, wie der ägyptische Gott Horus Hilfe bei seiner Mutter Isis erbittet. Er schickt dazu drei Dämonen zu Isis, die eindeutig christliche Namen tragen. Isis antwortet mit einem Zauberspruch, der Jesus anspricht. »Diese Widersprüche will ich verstehen«, sagt Dosoo. Aus ihnen ließe sich viel über das soziale Gefüge und die religiöse Vorstellungswelt der damaligen Welt herauslesen.

Täglich neue Zufallsfunde

472 dieser magischen Texte seien der Forschung heute bekannt, erklärt der Historiker. »Allerdings stoßen wir momentan bei unserer Arbeit täglich auf ein bis zwei neue«, so Dosoo. Nur etwa 300 davon seien bislang veröffentlicht – das aber nicht in einem zentralen Nachschlagewerk, sondern an den unterschiedlichsten Stellen, von denen viele längst vergessen sind. Die Suche nach ihnen nimmt deshalb aktuell einen Großteil der Arbeitszeit von Dosoos Team ein und sie erfordert einiges an detektivischem Geschick.

»Die meisten dieser Texte liegen heute in Sammlungen von Museen und Universitäten weltweit«, erklärt Dosoo. Vor allem in Nordamerika, Australien und natürlich Ägypten werden die Forscher fündig – glücklicherweise aber auch in Europa. In Berlin befinde sich die größte Sammlung, was die Arbeit um einiges erleichtere. Als »Museumsarchäologie« beschreibt Dosoo seine derzeitige Tätigkeit. Konkret bedeute dies: Archive durchsuchen, Register wälzen und Kataloge durchblättern. Bisweilen hilft auch der Zufall nach: Freunde hören von Bekannten von einem unbekannten Textfragment, das in einer Universitätssammlung seiner Wiederentdeckung harrt, und melden ihren Fund nach Würzburg.

Publikationen und ein Podcast

Fünf Jahre für knapp 500 kurze Texte: Das klingt nach entspanntem Arbeiten. Tatsächlich könnte die Zeit knapp werden, sagt Dosoo. Schließlich setzt sich das Projekt aus fünf Komponenten zusammen. Wichtigster Teil ist der Aufbau eines ständig aktualisierten, öffentlich zugänglichen Online-Korpus koptischer magischer Texte, der in einer speziellen Datenbank gespeichert ist. Neue Texte will das Team sowohl online als auch in gedruckter Form veröffentlichen und ältere Manuskripte – wo nötig – korrigieren und ebenfalls publizieren. Darüber hinaus sind spezifische Studien geplant zu verschiedenen Aspekten der magischen Texte, wie etwa ihre Sprache, ihr Verständnis vom Kosmos oder die Schilderung der rituellen Praktiken. 

Und damit das neu erworbene Wissen nicht nur unter dem kleinen Kreis der Ägyptologen bekannt wird, planen Dosoo und seine Mitarbeiter die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in einem Blog und über einen Podcast. Der soll den programmatischen Titel »You're a Wizard?« tragen und all die Themen behandeln, die sich auf die altägyptischen, griechischen und koptischen magischen Traditionen sowie auf das Leben und die Religion im alten Mittelmeer im Allgemeinen beziehen. Was ist Magie? Wer waren die Magier und was war ihre Rolle in der Gesellschaft? Wie ist das Studium der koptischen Magie heute relevant? Diese und viele weitere Fragen wollen Dosoo, Love und Preininger Svobodová darin – unterstützt durch zahlreiche Gastwissenschaftler – beantworten.

Koptisches Papyrus mit magischen Sprüchen
Mehr als 1.000 Jahre ist dieses Stück Papier alt. Es sollte magische Kräfte aktivieren und himmlische Hilfe holen. Foto: Gunnar Bartsch/Universität Würzburg