Mykenische Paläste: Kein Untergang durch Erdbeben

Die Gründe für das Ende der mykenischen Paläste um 1200 vor Christus konnten bisher nicht eindeutig geklärt werden. Die langjährige Hypothese, dass sie durch ein starkes Erdbeben oder einen sog. »Erdbebensturm« zerstört wurden, kann nach Meinung des Archäoseismologen Klaus-Günter Hinzen und des Archäologen Joseph Maran widerlegt werden. Beide haben in dem mehrjährigen Forschungsprojekt die mykenischen Zitadellen von Tirnys und Midea untersucht.

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Das Löwentor von Mykene in einer Zeichnung von Théodore du Moncel, 1845
Das Löwentor von Mykene in einer Zeichnung von Théodore du Moncel, 1845

Niemand weiß genau, warum die mykenischen Paläste um 1200 vor Christus ihr Ende fanden; auch ein Mega-Erdbeben oder ein »Erdbebensturm« am Ende der Bronzezeit wurden angenommen. »Für diese Hypothese konnten wir in den mykenischen Städten Tiryns und Midea keine Belege finden«, erklären nun der Geophysiker Professor Dr. Klaus-Günter Hinzen von der Universität zu Köln und der Archäologe Professor Dr. Joseph Maran von der Universität Heidelberg. Seit 2012 haben die Kölner Archäoseismologen die mykenischen Zitadellen Tiryns und Midea im Rahmen des Projektes HERACLES (Hypothesis-Testing of Earthquake Ruined Argolid Constructions and Landscape with Engineering Seismology) untersucht.

Nun haben sie ihre Abschlussarbeit »Reassessing the Mycenaean Earthquake Hypothesis: Results of the HERACLES Project from Tiryns and Midea, Greece« im Bulletin of the Seismological Society of America veröffentlicht.

Hinzen untersuchte mit seinem Team die mykenischen Zitadellen von Tiryns und Midea in der Argolis, im Nordosten der Peloponnes, wo auch Mykene liegt. Beide Orte sollten laut gängiger Hypothese am Ende der Bronzezeit von mehreren Erdbeben heimgesucht und um 1200 vor Christus durch ein starkes Erdbeben zerstört worden sein. Damit sei wie bei anderen mykenischen Zentren der Untergang der ganzen Kultur eingeleitet worden. 

In den Jahren 2012-2013 untersuchte das Team die lokale Geologie der Orte, ihre Lage in den Erdbebenzonen Griechenlands und die vermeintlichen Erdbebenschäden in den Grabungen vor Ort. Sie sammelten Daten und modellierten, wie sich Erdbeben in Tiryns und Midea ausgewirkt hätten. Die Forscher setzten eine Reihe von geophysikalischen Messverfahren ein: aktive und passive Seismik, refraktionsseismische Messungen und Array-Messungen mit Seismometern. Ein dreiviertel Jahr lang wurden zehn Messstationen betrieben, die kleinere Erdbeben registrierten, die es in Griechenland immer wieder gibt. Hinzu kamen gravimetrische Messungen des Erdschwerefeldes. Mit den gewonnenen Daten berechneten sie die Standorteffekte während eines Erdbebens.

Die Zitadellen von Tiryns und Midea sind beide auf Bergrücken errichtet worden. Die Oberstadt von Tiryns steht auf einem Kalkgesteinsrücken, die umgebende Unterstadt hingegen auf lockeren Sedimenten. »Die Standorteffekte bei Erdbeben sind auf den Sedimenten sehr viel stärker. Bei einem Erdbeben würde man erwarten, dass als erstes die Unterstadt leidet und nicht der Palast.« so Hinze. Gerade in der Unterstadt ist aber kein Schaden nachgewiesen. Alles, was bisher als Erdbebenschaden angesehen wurde, lag im Palastbereich. Beide Wissenschaftler sind sich einig, dass der Großteil dieser Schäden mit großer Sicherheit nicht als Erdbebenschaden interpretiert werden.

Zum Teil handelte es sich stattdessen um langsamen Verfall im Laufe der Jahrhunderte oder um Fehlinterpretationen von Befunden, erklärt Hinzen: »Man hat zum Beispiel in den 1970ern in einem Raum Terracottafiguren und –vasen gefunden, die zerbrochen auf dem Boden lagen. Die alte These war, dass diese Artefakte durch ein Erdbeben von einer steinernen Bank heruntergefallen seien.« Hinzen und sein Team schauten sich die Verteilung der Bruchstücke so wie sie gefunden wurden an. »Wir konnten durch mehrere tausend Modellrechnungen in einer Computersimulation zeigen, dass ein Erdbeben hier als Ursache kaum in Frage kommt.«

Auch die grundsätzliche Erdbebengefahr in der östlichen Peloponnes betrachteten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen anhand von Simulationen. »An sich ist diese Gegend für griechische Verhältnisse relativ ruhig. Wenn überhaupt, so kämen für ausgedehnte Zerstörungen in Tiryns nur lokale Erdbebenherde in der Argolis in Frage. Für solche Beben gibt es aber bisher keine Nachweise«, erklärt der Kölner Archäoseismologe. Die neuen Ergebnisse lassen bezweifeln, dass Tiryns und Midea Opfer eines »Erdbebensturms« am Ende der Bronzezeit wurden, wie ihn einige Wissenschaftler postulieren.

Das Projekt wurde von den Universitäten Köln und Heidelberg mit Unterstützung der griechischen Altertümerverwaltung durchgeführt und von der Gerda-Henkel-Stiftung und der Fritz-Thyssen-Stiftung jeweils zur Hälfte gefördert.

Publikation

Klaus-G. Hinzen, Joseph Maran, Hector Hinojosa-Prieto, Ursula Damm-Meinhardt, Sharon K. Reamer, Jana Tzislakis, Kilian Kemna, Gregor Schweppe, Claus Fleischer, Katie Demakopoulou

Reassessing the Mycenaean Earthquake Hypothesis: Results of the HERACLES Project from Tiryns and Midea, Greece

Bulletin of the Seismological Society of America (2018). 27.03.2018
DOI: 10.1785/0120170348