Mittelalterliche Markthallen der Hansestadt Stendal ausgegraben

Im Zuge des Ausbaus der Straße »Am Kornmarkt« führte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt von Juli bis November 2015 Ausgrabungen durch, die seit März 2016 auf dem angrenzenden Stendaler Marktplatz fortgesetzt werden. In den ersten vier Wochen der diesjährigen Grabungstätigkeit im Vorfeld der Neugestaltung des Platzes kamen zahlreiche Befunde zutage, die neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte Stendals zulassen.

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Ausgrabung Stendal
Die Ausgrabungen auf dem Stendaler Marktplatz. Foto: Manfred Böhme, © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Hervorzuheben ist vor allem ein großes Backsteingebäude im Süden der Grabungsfläche, bei dem es sich um das im Jahr 1188 erstmals erwähnte »Kaufhaus« der Stadt Stendal handeln dürfte. Hiervon wurden zugehörige Fundamente entdeckt, die den südlichen Gebäudeumriss nachzeichnen. Es zeigte sich allerdings, dass das Gebäude in diesen Bereichen bereits im Spätmittelalter wieder abgetragen worden ist. Dabei wurde auch der Innenbereich so sehr verändert, dass man zu der im 12. Jahrhundert bestehenden räumlichen Unterteilung im Inneren des Kaufhauses erst nach Abschluss der Grabungen mehr sagen kann.

Auch aus der Zeit vor 1180 wurden Befunde dokumentiert, die Erkenntnisse zur Nutzung des Platzes vor der Errichtung des Kaufhauses zulassen. Dabei handelt es sich um einen Graben, der in seinem ost-westlichen Verlauf den späteren Bauplatz für das Kaufhaus vorbestimmt. Mit dem Graben wurde vermutlich schon eine Fläche festgelegt, die mit einer bestimmten Funktion behaftet war. Um das Jahr 1185 wurde der Graben dann mit einem soliden Ziegelbauwerk überdeckt. Im frühen 13. Jahrhundert wurde dieser Graben in einer weiter südlich verschobenen Position erneut angelegt.

In paralleler Lage zu dem Gebäude aus dem 12. Jahrhundert wurde im 14. Jh. ein weiteres Kaufhaus errichtet. Es handelt sich um einen gestreckten hallenartigen, gleichfalls in Ziegelarchitektur ausgeführten Bau von 50 bis 60 Meter Länge. In diesem haben sich Fußböden und Ablagerungen aus seiner Nutzungszeit als Markthalle gut erhalten. Es lassen sich auch spätere Veränderungen in Form von unterteilenden Einbauten erkennen. Noch können den Abteilungen keine einzelnen Handwerke zugeordnet werden. Allerdings lassen sich zum Beispiel aufgrund der Konzentration von Knochensplittern Bereiche eingrenzen, in denen über Jahrhunderte konstant sogenannte Fleischscharren (Fleischbänke) bestanden. Als diese »zweite« Markthalle im 14. Jahrhundert gebaut wurde, waren alle Gräben bereits verfüllt und der gesamte Marktplatz mit einer Sandschüttung erneuert worden. Möglicherweise erhielt der Platz in dieser Zeit auch eine erste Pflasterung.

Auch das Terrain dieser »zweiten« Markthalle hatte seine Vorgeschichte. Hier fanden sich aus der Zeit um 1200 und vom Beginn des 13. Jahrhunderts bereits mehrere aneinandergereihte Holzbuden, die als Verkaufsstände gedient haben. Deren Nachweise gelangen vornehmlich an der westlichen Marktseite, da hier bessere Erhaltungsbedingungen für Hölzer und anderes organisches Material gegeben waren. Innerhalb eines solchen Marktstandes konnten dort Teile eines Fußbodens freigelegt werden, der mit Bohlen ausgelegt war.

Die frühneuzeitliche Geschichte des Platzes spiegelt sich in den massiven Fundamentresten des »Gewandhauses« wider, welches im 17. Jahrhundert erbaut wurde und dessen Gestalt aus mehreren archivalischen Quellen des 18. Jahrhunderts detailgenau bekannt ist. Dieses zuletzt als Steueramt und Spritzenhaus genutzte Gebäude wurde 1885 abgerissen, womit die nunmehr freigelegten Fundamente die einzigen materiellen Zeugen des Stendaler »Gewandhauses« darstellen.

Die Ausgrabungen werden seit Beginn der diesjährigen Saison im Rahmen einer Vereinbarung zwischen der Hansestadt Stendal und dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt durch 12 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Indien unterstützt. Die vor Krieg und Verfolgung aus ihrer Heimat Geflüchteten erhalten vom Landkreis Stendal eine Aufwandsentschädigung von 1,05 Euro pro Stunde. Arbeitsplätze würden durch dieses Pilotprojekt nicht gefährdet, betonte Dr. Alfed Reichenberger, Sprecher des Landesamtes. Vielmehr können durch das Engagement der Helfer zusätzliche Arbeiten erledigt werden, die normalerweise aufgrund der Kürze der Grabungszeit nicht möglich sind, wie z.B. das Waschen der Funde direkt vor Ort.