Das Geheimnis des "Buches der Geheimnisse"

"Buch der Geheimnisse" - ein Titel, der für sich spricht. Geheimnisvoller klingt dagegen der Name des Originalwerkes: Sefer ha-Razim.

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Das ist hebräisch und heißt doch nichts anderes. Womit das erste Geheimnis schon gelüftet wäre. Zugegeben ein bescheidenes Geheimnis angesichts der in diesem klassischen Werk der jüdischen Magie zu entdeckenden Beschwörungsformeln, der verschlungenen Liebes- und Heilungszauber, der verschiedenen magischen Anwendungen, die beispielsweise helfen sollen im Pferderennen zu gewinnen oder den Ofen zu befeuern. Für die Wissenschaft mindestens ebenso obskur ist die Überlieferung dieses spätantiken Zauberbuchs. Es kursierte in unzähligen Versionen und Abschriften, wurde dann im Mittelalter ins Lateinische übersetzt und seit der Neuzeit auch in englischen, französischen, deutschen und tschechischen Übertragungen und Bearbeitungen gelesen. Die Geheimnisse um die Überlieferung und Rezeption des Textes versucht ein Forscherteam unter der Leitung von Prof. Peter Schäfer am Institut für Judaistik der Freien Universität Berlin derzeit zu lösen. In zwei bis drei Jahren sollen die Texte in einer synoptischen Edition mit deutscher Übersetzung und ausführlichem Kommentar zur Verfügung stehen.

Die Berliner Forscher haben Erfahrung in der wissenschaftlichen Arbeit mit magischen Texten. Schnell wurde klar, wie lohnend es wäre, verschiedene Versionen, Abschriften und Übersetzungen eines einzigen solchen Textes miteinander zu vergleichen.

Die Wahl fiel auf den zentralen und wichtigsten Text jüdischer Magie:das Buch der Geheimnisse. Die zahlreichen Abschriften erweisen die Bedeutung des Textes, der schon in seinem ältesten Stadium eine enge Verflechtung der jüdischen Kultur mit ihrer hellenistischen Umwelt in der Spätantike bezeugt: Nicht nur Lehnwörter aus dem Griechischen,sondern sogar eine komplette Beschwörung des griechischen Sonnengottes Helios wurden aus griechischen Zaubertexten entnommen. Der Aufbau des Buches mit einer Vorrede und sieben Kapiteln ist dem ptolemäischen Weltbild mit seinen sieben Planetensphären entlehnt. Dieses durch kosmologische Traditionen bestimmte literarische Gerüst wurde mit angelologischen und magischen Texten gefüllt.

Die sieben Kapitel entsprechen den sieben Himmeln, in denen sich jeweils verschiedene Gruppen von Engeln tummeln - außer im letzten Himmel, dem siebten Himmel, der Gott vorbehalten ist. Peinlich genau wird der jeweilige Himmel in der Einleitung jedes Kapitels topographiert. Danach werden die verschiedenen Engel oder Engelsgruppen mit ihren jeweiligen speziellen Fähigkeiten genannt. Jeder Gruppe von Engeln sind verschiedene magische Anwendungen zugeordnet: Wie in einem Handbuch kann der eines Zaubers Bedürftige nachschlagen, welcher Engel ihm bei welcher Anrufung und welchen Verrichtungen mit seinem Zauber zur Seite steht. Der Engel Razi"el, der den Menschen das Sefer ha-Razim offenbart hat, besitzt noch heute im orthodoxen Judentum eine solche Bedeutung, dass man dort das ihm zugeschriebene Sefer Razi"el ha-Mal"akh, ein Buch, das auch Auszüge aus dem Buch der Geheimnisse enthält, als Amulett zum Schutz vor Bränden verwendet. Auch ein Bestseller in esoterischen Kreisen, das Mafteach Shlomo, der sogenannte "Schlüssel Salomos", ist mit Zitaten aus dem Buch der Geheimnisse gespickt.

Glaubt man der Überlieferung, geht die Bedeutung dieses Buches aber weit über diesen Alltagsgebrauch hinaus. Angeblich lernte Noah "aus der Weisheit dieses Buches", wie er seine Arche zu bauen hätte. Bei seinem Tode übergab er es an Abraham, Abraham an Isaak, Isaak an Jakob und so weiter, denn nichts ist für die Glaubwürdigkeit wichtiger gewesen als eine lückenlose Genealogie. Wie auch immer, manche Versionen nennen auch Adam anstatt Noah als denjenigen, dem das Buch übergeben und offenbart wurde. Letztendlich landete es beim König Salomo, in dessen reichhaltiger Bibliothek das Sefer ha-Razim "das teuerste, geehrteste, größte und schwierigste von allen" war. Nicht zuwenig Superlative für ein Buch, dessen magische Anwendungen auf den ersten Blick zumindest überraschend erscheinen: "Wenn Du eine reiche, mächtige und schöne Frau zu dir bringen möchtest, die dich lieben wird, nimm vom Schweiß deines Gesichts und gib ihn in ein Glasgefäß." Nachdem man einige weitere Verrichtungen vollführt hat und den mitgelieferten Zauberspruch, samt Anrufung der Engel der Huld und Gnade und der Wissenschaft gesprochen hat und das Gefäß bei Vollmond unter die Türschwelle der begehrten Dame gestellt hat, steht dem Liebesglück nichts mehr im Wege: "Tags und nachts, vom heutigen Tage an und weiter." Ob solche Zauber tatsächlich gewirkt haben, weiß aber auch Bill Rebiger, der Koordinator der Arbeitsgruppe, nicht.

Für eine profunde Edition solcher Texte gibt es gute Gründe, das Original aufzusuchen: "Erst am Original lassen sich undeutliche Buchstaben, Glossen oder Korrekturen mit letzter Sicherheit bestimmen, da reichen Mikrofilmkopien nicht", erläutert Rebiger. Es müssen für die Edition etwa 50 fragmentarisch erhaltene Manuskriptseiten, 16 vollständige hebräische Handschriften, sieben Textzeugen der lateinischen Übersetzung und etwa 20 weitere magische Sammelhandschriften ausgewertet werden. Letztendlich müssen sieben oder acht Versionen ausgewählt werden, die dann in der Edition nebeneinanderstehen. Die Versionen differieren vor allem in der Zusammenstellung einzelner Passagen, doch gerade diese Abweichungen, z.B. die Hinzunahme von Texten aus anderen Traditionen, machen die Gegenüberstellung interessant.

Einen Spruch, um sich die Arbeit fertig zu hexen, gibt es leider nicht im Buch der Geheimnisse. Bill Rebiger bleibt in dieser Hinsicht auch lieber auf dem Boden der Wissenschaften, denn da ist der Erfolg gewiss. Und wer weiß schon, was statt der Arbeit bei einer entsprechenden magischen Anwendung zu tun wäre? Wer romantisch zu Mond und Sternen sprechen möchte, muss vorher - ganz unromantisch - einen weißen Hahn schlachten und mit dessen Blut drei Kuchen backen und in die Sonne stellen. Man sieht: Vor dem Erfolg steht der Schweiß, auch bei Zauberbüchern.

Quelle: FU Berlin / Niclas Dewitz