Intensive Debatten auf Augenhöhe

Die DGUF-Tagung »Ein Berufsverband für die Archäologie?«

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Webbasierte Vortagung vom 6. März - 16. Juni 2017
Präsenztagung beim 9. DAK in Mainz am 4. Juli 2017

In einem Online-Forum debattieren seit 6. März derzeit mehr als 160 Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer über eine berufsständische Organisation für die Archäologie: Braucht man so etwas, gibt es so etwas bereits, was muss und was kann eine solche Organisation realistischerweise leisten? Studierende und Uni-Professoren, Museumsmitarbeiter, staatliche Denkmalpfleger und Mitarbeiter privatwirtschaftlicher Grabungsfirmen haben sich zu dieser offenen Debatte zusammengefunden. Dabei sind Archäologen im engeren Sinne und Vertreter der Nachbarwissenschaften wie z. B. Bioarchäologen, die oft von archäologischen Projekten leben. Sie alle gemeinsam treibt die Sorge um, dass viele Kollegen unter prekären Beschäftigungsverhältnissen, problematischen Zeitverträgen oder unverhältnismäßiger Entlohnung ihrer guten Arbeit leiden. Vor allem die Privatwirtschaft klagt über das Fehlen breit akzeptierter Qualitäts- und Sozialstandards, so dass wenige »schwarze Schafe« die Preise und damit den Lebensstandard aller Beschäftigten nach unten treiben. Könnte man mit Hilfe eines Berufsverbandes aus dieser Abwärtsspirale ausbrechen?

Die staatliche Denkmalpflege kann z. B. mit Grabungsrichtlinien die Qualität des »Produkts« Grabung regeln. Aber auf die Bedingungen, wie das Produkt entsteht, hat sie im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags kaum Einfluss, hier gilt die »freie Marktwirtschaft«. Doch nur Mitarbeiter, die von ihrem Beruf auch dauerhaft und ökonomisch hinreichend leben können, werden nachhaltig gute Arbeit liefern können, und auch die Archäologen in sicheren festen Stellen haben ein hohes Interesse daran, dass fachliche und soziale Mindeststandards von allen verlässlich eingehalten werden. Auch diejenigen, die etwa in Museen als selbständige Freiberufler Führungen und Events anbieten, die als Spezialisten etwa für Anthropologie, Archäozoologie, wissenschaftliche Illustrationen, komplexe IT-Aufgaben etc. ihre Dienstleistung als Projekte anbieten, sind betroffen.

In Summe ein sehr komplexes Feld, das sich in der eintägigen Präsenztagung am 4. Juli 2017 in Mainz im Rahmen des Deutschen Archäologiekongresses nicht hinreichend behandeln und debattieren ließe. Zudem ist es zeitlich wie finanziell nicht für alle Interessierten möglich, Anfang Juli einen Wochentag für eine Tagungsteilnahme einzusetzen. Bei diesem Thema müssen nach unserer Überzeugung aber alle, die wollen, mitreden dürfen. Daher hat die DGUF eine webbasierte Vortagung organisiert und damit erstmals ihre Tagung in zwei Teile gegliedert: In einem Forum, das vom 6. März bis 16. Juni 2017 aktiv ist, können sich nach (kostenfreier) Anmeldung alle Interessierten informieren und aktiv an den Debatten teilnehmen. Mitte März hatten sich bereits mehr als 160 Teilnehmer angemeldet. Die Ergebnisse und Arbeitspapiere der Vortagung werden dann Grundlage für die Präsenztagung am 4. Juli in Mainz sein.

Wie unterscheidet sich die DGUF-Vortagung von einer ganz normalen Tagung?

Die webbasierte Tagung verläuft in vielen Aspekten nicht anders als eine Präsenztagung: Es gibt angemeldete Teilnehmer, es gibt ein Tagungsprogramm mit Sektionen und Themen, damit der Austausch strukturiert und ergebnisorientiert erfolgen kann. Das Programm ist – das ist ein Vorteil gegenüber lange vorher festgelegten klassischen Tagungen – offen für Aktualisierungen, damit eventuell zunächst übersehene Aspekte, die in den Debatten aufkommen und als wichtig erkannt werden, ihren notwendigen Platz bekommen. Auch an unvermeidliches Zu-spät-Kommen wie bei Präsenztagungen haben wir gedacht: Der nachträgliche Einstieg in die Tagung ist ohne weiteres möglich. Im Gegenteil: weitere Teilnehmer aus möglichst vielen und unterschiedlichen Bereichen der Archäologie sind willkommen!

Erste Tendenz im Meinungsbild: Eine berufsständische Organisation fehlt

Feste Ergebnisse sind bei einem so komplexen Thema nach drei Wochen natürlich noch nicht zu erwarten. Doch erste Tendenzen im Meinungsbild zeichnen sich ab: Viele Teilnehmer – insbesondere aus der privatwirtschaftlichen Archäologie – sind mit dem Ist-Zustand unzufrieden, ihnen fehlt ergänzend zu den bestehenden Strukturen (Gewerkschaften, diverse archäologische Organisationen wie z. B. auch der DGUF) eine berufsständische Organisation (»Berufsverband«, »Kammer«) in der Archäologie. Als wesentlich gilt, dass die Mitgliedschaft in ihr transparent an Regeln und Kriterien gebunden ist, deren nachhaltige Verletzung seitens eines einzelnen Mitglieds auch zu dessen Ausschluss führt. So dass im Ergebnis die Mitgliedschaft im Verband wie ein Qualitätssigel verwendet werden kann. Vielen Teilnehmern erscheint eine breite Aufstellung als wichtig, d. h. die Inklusion aller in der Archäologie Tätigen, einschließlich der Grabungsarbeiter und -techniker, einschließlich der für die Archäologie tätigen Spezialisten. Als Nebenprodukt des Tagungsthemas, quasi, debattieren hier erstmals Firmen aus allen Regionen Deutschlands auch ganz offen über das Thema Geld, und es entwickeln Vertreter unterschiedlichster Interessengruppen Ideen zur Verbesserung der berufspraktischen Bildung junger Archäologen.

Beteiligung ausdrücklich erwünscht

Die Tagung hat das Potenzial, den Beruf Archäologie in Deutschland spürbar zu beeinflussen und mitzugestalten. Wer sich fernhält, verzichtet auf seine Mitsprache-Möglichkeit. Wer sich hingegen einbringt, kann seinen Anliegen Gehör verschaffen und den Prozess mitgestalten.

Die Rolle der DGUF

Die DGUF selbst sieht sich vor allem als Organisator und Moderator; sie selbst ist weder ein Berufsverband noch möchte sie ein Berufsverband werden. Inhaltlich hat sie zum Thema keine vorab festgelegte Position. Welches Ergebnis die Debatte am Ende auch immer erreicht, die DGUF wird es respektieren. Allerdings nimmt die DGUF eine klare Haltung ein, nämlich dass

a) es zum Schutz des kulturellen Erbes eine starke Archäologie braucht, die arbeitsfähig ist und in der hochqualifiziertes Personal tätig ist, und dass
b) Strategien des Musters »man müsste mal …« ebenso erfolglos sind wie die Haltung »Es hat doch eh keinen Wert, da wird sich nie etwas ändern« oder das Schielen auf »die da oben«, die alles richten sollen.

Nein, wir selbst müssen uns auf den Hosenboden setzen und einen guten Weg finden! Genau das voranzutreiben ist die Rolle der DGUF für die Archäologie und für all unsere Kollegen.