Von Perlen, Rost und Meeresschnecken

Archäologie im Norden von Burkina Faso

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Der Begriff Sahel löst hierzulande meist negative Assoziationen aus – dürre Landschaften, hungernde Menschen und große Armut. Die reiche Geschichte des Sahel ist dagegen kaum bekannt. Durch seine Lage am Rande der Wüste kreuzten sich hier verschiedene Handelsrouten und Warenströme zwischen Orient, Mittelmeer und Innerafrika, die den Bewohnern des Sahels teils beträchtlichen Wohlstand einbrachten. Aus archäologischer Sicht waren solche Trans-Sahara-Handelsbeziehungen erst ab der arabischen Eroberung Nordafrikas im 7./8. Jahrhundert n. Chr. nachzuweisen, da entsprechende Importgüter (von vereinzelten Funden abgesehen) erst ab dieser Zeit belegt waren. Was an einem kleinen See im Sahel von Burkina Faso dagegen entdeckt wurde, veränderte diese Sicht der Dinge entscheidend. Glasperlen, Kaurischnecken und Kupferschmuck wurden in Gräbern entdeckt, die teilweise bis ins 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. reichen.

Von 1996 bis 2001 wurden Wohn- und Begräbnisstätten der Eisenzeit am Mare de Kissi im Nordosten von Burkina Faso im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs der Universität Frankfurt archäologisch untersucht. Den Studien zufolge war der Nordrand des Sees über 1500 Jahre lang permanent besiedelt gewesen. Die ersten sesshaften Siedler brachten gegen Ende des ersten Jahrtausends v. Chr. das Eisenhandwerk, die Viehzucht und eine voll entwickelte Landwirtschaft in die Region ein.

Die Menschen wohnten solange am gleichen Ort, dass sich die Abfälle der Siedlungen zu regelrechten Hügeln anhäuften. Über 60 solcher »Siedlungshügel« sind am Mare de Kissi zu erkennen. Sie bestehen vor allem aus großen Mengen Keramik, aber auch Steine, Knochen, Metallgegenstände und Perlen finden sich in solchen Schutthaufen. Häuser sind nicht erhalten geblieben, da die Bauten aus ungebranntem Lehm errichtet wurden. Bereiche, wo seinerzeit Lehmhäuser standen, lassen sich bei Ausgrabungen aber durch Abfolgen ehemaliger Fußböden erkennen.

Die Friedhöfe befanden sich in Sichtweite der Wohnbereiche. Die Gräber wurden teilweise mit einer Steinstele kenntlich gemacht. Die meisten Toten wurden in ihrer Tracht mit Schmuck und Waffen bestattet. Einige Gräber zeichneten sich durch eine besonders reiche Ausstattung aus, andere hatten nur wenige oder gar keine Beigaben. Fast immer wurde jedoch eine bestimmte Grabsitte eingehalten: der Tote lag mit dem Kopf in westlicher, mit den Füßen in östlicher Richtung. Der Kopf war meist nach rechts gewendet, so dass der Blick nach Süden wies. Die Menschen wurden nicht nur einzeln in die Gräber gelegt; manchmal finden sich zwei oder sogar noch mehr Skelette dicht beieinander in einem Grab. Zwischen Frauen und Männern gab es offenbar keine großen Unterschiede in der Bestattungsweise. Kleinkinder fanden sich allerdings in keinem der ausgegrabenen Friedhöfe. Wo sie bestattet wurden, bleibt ungewiss.

In den Gräbern fanden sich die verschiedensten Waffenarten. Besonders häufig sind Pfeile mit ins Grab gegeben worden. Teilweise lagen sie noch in Bündeln zusammen, an deren Außenseiten Reste des Holz-Lederköchers erkennbar sind. Auch Dolche mit ringförmigem Griff kommen vielfach vor. Große, am Oberarm getragene Krummdolche sind dagegen seltene Waffenbeigaben. Besonders interessant ist auch der Fund zweier Schwerter: ein Krummschwert mit einer verzierten Klinge sowie ein gerades, schmales Kurzschwert. Sie hatten ursprünglich Holzgriffe. Reste der Dolch- und Schwertscheiden sind auf den Klingen noch erkennbar. Sie bestanden aus Holz und waren mit Leder oder Fell überzogen. Die beiden Schwerter, die aus dem 5. bis 7. Jh. n. Chr. stammen, sind die ältesten ihrer Art, die bisher in Westafrika gefunden wurden.

Schmuck war im eisenzeitlichen Sahel wohl sehr beliebt: Fast in jedem Grab in Kissi ist Schmuck enthalten. Dieser war den Toten nicht ins Grab hineingelegt worden, sondern sie trugen ihn – z. B. eine Perlenkette um den Hals, ein Gürtel aus Perlen um die Hüfte, oder Kupferreifen an den Fußknöcheln. Der Metallschmuck war meist aus Eisen, doch vor allem in den reicher ausgestatteten Gräbern fanden sich auch Kupferringe und –reifen für Finger, Ohren, Arme und Fußknöchel. Dieses Metall besaß vermutlich ein höheres Prestige. Kupfer kommt in der direkten Umgebung von Kissi nicht vor, daher muss das Metall oder sogar das fertige Objekt importiert worden sein. Einen Hinweis auf die Herkunft einiger Kupferobjekte gab eine Analyse des Metalls und der enthaltenen Blei-Isotope durch Wissenschaftler der Universität in Tucson, Arizona – demnach stammen die meisten analysierten Objekte aus Nordafrika.

Auch an den über 5000 in Kissi gefundenen Perlen unterschiedlichen Materials lassen sich Kontakte mit anderen Regionen ablesen, denn die wenigsten wurden vor Ort hergestellt. Besonders häufig sind Quarz- und Chalzedonperlen aus saharischen Werkstätten nördlich des Flusses Niger im heutigen Mali. Der Fluss war wohl eine regelrechte Handelsachse, entlang derer Waren transportiert und ausgetauscht wurden. So stammt auch ein spezieller Typus roter Steinperlen aus einer direkt am Fluss gelegenen Produktionsstätte in der Nähe des heutigen Niamey in Niger. Sogar noch weiter flussabwärts reichen die Verbindungen: im südnigerianischen Igbo Ukwu (ca. 9. bis 11. Jh.) wurden Glas- und Steinperlen mit zum Teil gleicher Herkunft wie in Kissi entdeckt. Eine chemische Analyse zahlreicher Glasperlen erbrachte für Kissi den Beleg, dass es sich wohl bei den meisten Glasperlen um Importe aus Persien handelt.

Mit zu den eindeutigsten Indizien für weit reichende Kontakte zwischen dem Sahel und der weiteren Welt zählen die Funde von Kaurischnecken, die in zwei Gräbern gemacht wurden. Es handelt sich bei ihnen um die Art Cypraea moneta, die ihre größte Verbreitung im Indischen Ozean hat. In historischer Zeit gelangten sie hauptsächlich von den Malediven nach Afrika. Jene Kauris aus den Gräbern von Kissi datieren in das ca. 5. bis 7. Jh. n. Chr. und sind damit die ältesten, die bisher in Westafrika gefunden wurden. Vermutlich wurden Kauris in dieser Zeit noch nicht als Zahlungsmittel verwendet, sondern dienten vielmehr als Schmuckstücke, vielleicht auch als Abwehrzauber.  In den Gräbern lagen sie – flach, durch abgeschliffene Rückseiten - aneinandergereiht auf der Stirn der Bestatteten.

Ebenfalls zu den ältesten archäologischen Funden ihrer Art im subsaharischen Raum zählen die Textilreste, die in Kissi gemacht wurden. Durch die Fülle metallener Objekte in den Gräbern hat sich ein konservierendes Milieu entwickelt, so dass sich in unmittelbarer Nähe zum Metall zahlreiche organische Reste, unter anderem Textilien, erhalten haben. Die ältesten Textilfragmente datieren in das 1. bis 3. Jh. n. Chr. und sind damit annähernd 1000 Jahre älter als jene, die bisher als älteste galten – die Tellem-Textilien aus der Falaise de Bandiagara in Mali. Zwar sind die Fragmente nicht groß genug, um bestimmen zu können, ob es sich bei ihnen um Reste von Decken oder eher um Kleidung handelt. Was sich jedoch bestimmen ließ, war das Rohmaterial das für das Garn verwendet worden ist: Wolle. Nicht etwa Baumwolle, sondern feine Tierhaare wurden versponnen, um daraus die Textilien zu fertigen. Dies brachten Restauratoren des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz ans Licht. Ob die Wolle oder die Textilien importiert worden waren oder in Westafrika selbst hergestellt wurden, ist allerdings unbekannt.

Die Besiedlung von Kissi bricht nach dem 13. Jh. aus noch nicht restlos geklärten Gründen ab. Auch andere Siedlungen im Sahel von Burkina Faso werden in etwa in dieser Zeit bis zum 15. Jh. verlassen. Historisch belegt sind Einwanderungswellen von nomadischen Gruppen. Ein mögliches Szenario für den „Untergang“ von Kissi ist, dass in die Region einwandernde Nomaden mit ihren Viehherden um Wasser und Weide mit den dort sesshaften Ackerbauern konkurrierten und sie schließlich aus dem Gebiet verdrängten. Über 600 Jahre nach dem Abbruch der Besiedlung haben die Ausgrabungen in Kissi die Tür zu einer unerwartet reichen Vergangenheit Westafrikas aufgestoßen. Dabei weist der Fundort im Norden von Burkina Faso weit über den lokalen Kontext hinaus. Importfunde wie Glasperlen aus dem Vorderen Orient und Meeresschnecken aus dem Indischen Ozean zeigen, dass die Bewohner von Kissi bereits zu Beginn des ersten Jahrtausends n. Chr. Handelskontakte mit weit entfernten Regionen hatten.

Eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Sonderausstellung im Naturmuseum Senckenberg  in Frankfurt a. M. machte die Funde und Forschungsergebnisse vom 8. September bis 28. Oktober der Öffentlichkeit zugänglich. Die Artefakte werden nun offiziell dem Staat Burkina Faso zurückgegeben und ab dem 14. März 2008 im Nationalmuseum von Ouagadougou, der Hauptstadt des Landes, ausgestellt.

Literatur

Magnavita, S. 2001. A ceramic figurine from Kissi, Burkina Faso. Sahara 13, 128-129.

Magnavita, S. 2002. Das Grab des Kriegers. In: Reikat, A. (Hrsg.), Leben in Westafrika. J.W. Goethe Universität Frankfurt a. M., SFB 268 Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne, Plexus-Verlag, Frankfurt a. M., pp. 44-49.

Magnavita, S., Hallier, M., Pelzer, C., Kahlheber, S. & Linseele, V. 2002.
Nobles, Guerriers, Paysans. Une nécropole de l’Age de fer et son emplacement dans l’Oudalan pré- et protohistorique. Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie 22, 21-64.

Magnavita, S. 2003. The beads of Kissi, Burkina Faso. Journal of African Archaeology 1 (1), 127-138