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"Älteste Hochkultur Europas" Wirbel um angebliche Archäologie-Sensation

Die älteste Hochkultur Europas liege mitten in Sachsen begraben, berichtete eine britische Zeitung. Die Entdecker der angeblichen Sensation sind nicht amüsiert: Die Fakten seien seit Jahren bekannt, und erklären könne sich die mysteriösen Rundgräben nach wie vor niemand.

Der Bericht im "Independent" klang spektakulär: Die älteste Zivilisation Europas sei von Forschern in Deutschland, Österreich und der Slowakei entdeckt worden. Die Archäologen hätten ein europaweites Netz von 150 Tempeln gefunden, die von einem bis dato unbekannten Kulturvolk gebaut worden sein sollen.

Die Anlagen stammten aus der Zeit von 4800 bis 4600 vor Christus und seien damit 2000 Jahre älter als die Pyramiden. Der Haupttempel befinde sich unter dem heutigen Dresden. "Dresden war Zentrum der ersten europäischen Hochkultur", meldete daraufhin das Berliner Boulevardblatt "B.Z.".

Im Dresdner Landesamt für Archäologie laufen seit dem Wochenende die Telefone heiß. Pressesprecher Christoph Heiermann ist wenig erfreut über die Berichte vom angeblichen Sensationsfund in Dresden: "Neu ist daran nichts". Schon vor Jahren habe man beim Bau eines Einkaufszentrums im Dresdner Stadtteil Nickern Spuren von Kreisgrabenanlagen gefunden. Beim Bau der Autobahn sei ein weiterer Graben von 130 Metern Durchmesser entdeckt worden.

Fotostrecke

Luftbild-Archäologie: Spuren aus der Jungsteinzeit

Foto: Landesamt für Archäologie Sachsen

"Wir kennen rund 150 derartiger Kreisgrabenanlagen in Deutschland, Österreich und der Slowakei", sagte Heiermann, "und zwar schon seit Jahren." Es handle sich um kreisrunde, zwei Meter tiefe Gräben von 20 bis 130 Metern Durchmesser. Dass die knapp 7000 Jahre alten Anlagen einst Tempel waren, wollen die Dresdner Archäologen nicht bestätigen. "Wir können den Strukturen keine Funktion zuweisen", sagte Heiermann im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Er nennt sie vorsichtig "zentrale Orte".

Was zu jener Zeit über der Erde gelegen habe, sei Gegenstand "reiner Spekulation". Man habe im Grunde nur die Gräben nachgewiesen. Es gebe Pfostenabdrücke innerhalb der Anlage, die aber wahrscheinlich nicht von einer Wehrbefestigung stammten. "Wer weiß, was die Menschen darin getrieben haben. Vielleicht war es ein Markt oder ein Tempel oder beides." Festlegen will sich Heiermann nicht. "Was uns die Hände bindet, ist die Schriftlosigkeit." Es fehle an schriftlichen Aufzeichnungen aus der Jungsteinzeit.

Werkzeuge, Knochen und Kunstwerke gefunden

In den neunziger Jahren hatten die sächsischen Archäologen auf Luftbildern bereits ähnliche Rundgräben in zwei Dörfern bei Leipzig aufgespürt. Die Gräben seien oberirdisch nicht sichtbar, weil sie mit Erde gefüllt seien, erklärte Heiermann. Glücklicherweise handelt es sich bei der Füllung jedoch um besonders feine Erde, die die Feuchtigkeit besonders gut hält. Getreide, das über einem solchen Graben wächst, bleibt deshalb länger grün - die Ringgräben zeichnen sich ab.

Die Ausgrabungen in Dresden förderten Werkzeuge aus Stein, Knochen und Holz sowie Keramikfiguren von Menschen und Tieren zu Tage. "Die Erbauer der Gräben waren Bauern, die Feldfrüchte angebaut haben", sagte Heiermann. "Die Häuser waren zum Teil länger als 30 Meter. Die haben organisiert gewohnt, das waren keine zotteligen Wilden."

Genauso rätselhaft wie der Zweck der Grabenanlagen erscheint den Archäologen auch ihr schnelles Auftauchen und Verschwinden. "Sie wurden nur in einem schmalen Zeitkorridor von 200 Jahren genutzt." Ähnlich monumentale Anlagen tauchten erst in der Bronzezeit wieder auf - 3000 Jahre später. "Ob die Kultur abgelöst wurde oder durch eine andere Religion ersetzt - wir wissen es nicht."

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