Die Fahrt über die Meere auf wackligen Flößen war ein riskantes Unterfangen. Als erste Trupps der Gattung Homo sapiens in Richtung Australien aufbrachen, waren sie froh, auf den indonesischen Inseln Zwischenstopps einlegen zu können. Sollten die seefahrenden Steinzeitler auch das Eiland Flores auf ihrer Welteroberungstour angesteuert haben, hat sich ihnen ein bizarres Bild geboten: Zwergmenschen, kaum metergroß, jagten auf den bewaldeten Hängen Miniaturelefanten hinterher.

Jetzt gibt es archäologische Kunde von diesem Vorzeit-Liliput. In einer Höhle im Inselinnern, 25 Kilometer von der floresischen Küste entfernt, stießen Forscher auf Skelette. »Dies ist einer der außergewöhnlichsten Funde der vergangenen 50 Jahre in der Paläoanthropologie«, kommentiert der Brite Robert Foley in Nature. »Es ist der extremste Hominide, der je gefunden wurde.« In der gleichen Ausgabe des Fachblatts präsentiert das australisch-indonesische Team um den Anthropologen Peter Brown von der University of New England in Armidale seinen spektakulären Fund. Die Kleinen von Flores sind so ungewöhnlich, dass sie die Zunft noch auf Jahre hinaus beschäftigen dürften.

Es war kein einsamer Freak, dies belegen sieben Hobbits

Vor drei Jahren nahmen die Forscher in der Karsthöhle Liang Bua den Grabungsabschnitt VII in Angriff. Im September 2003 stießen sie in 5,9 Meter Tiefe auf einen Schädel, einen Oberschenkel-, einen Hüft- und andere Knochen. Auf den ersten Blick sahen die Gebeine nach Homo erectus aus, einem Urmenschen, der vor zwei Millionen Jahren aus Afrika auszog und dann Asien und Europa bevölkerte.

Doch bald standen Brown und seine Kollegen vor einem Rätsel: Die Knochen und der Schädel erwiesen sich für ein ausgewachsenes Erectus-Exemplar als »extrem klein«. Und doch hatten es die Anthropologen mit einem Erwachsenen zu tun. Das zeigten die abgenutzten Zähne. Als die Forscher Senfkörner in den Schädel füllten, wussten sie es: Ganze 380 Kubikzentimeter standen dem Gehirnchen des geheimnisvollen Wesens zur Verfügung. Ein Homo erectus brachte es immerhin auf 650 bis 1260 Kubikzentime- ter, die Denkorgane der modernen Menschen erreichen im Schnitt ein Volumen von 1400 Kubikzentimetern. Handelte es sich womöglich um einen Vormenschen der Gattung Australopithecus? Dafür sprachen die geringe Körper- und Gehirngröße, die Nase sowie die Oberschenkelknochen. Definitiv moderner dagegen sind Schädel und Gebiss. Brown machte sich einen Reim daraus, indem er das Wesen als Vertreter eines unbekannten Hominidenzweigs interpretierte. »Homo floresiensis« taufte er den neuen Verwandten.

»Vor unserem Fund dachte man, dass Hominiden mit dieser Statur und dieser Gehirngröße zuletzt vor drei bis vier Millionen Jahren durch Afrika stapften«, sagt Brown. Doch die Frau von Liang Bua – Details am Hüftknochen lassen die Forscher über das Geschlecht spekulieren – lebte vor etwa 18000 Jahren. Das zeigte eine Altersbestimmung des Gerippes. Wie kann das sein? Brown und seine Kollegen legen folgende Erklärung vor: Irgendwann, nachdem Homo erectus sich auf Flores häuslich eingerichtet hatte, schrumpften die Nachfahren der Einwanderer in der Isolation des Eilandes zu Zwergen in Einmetergröße.

Solche Entwicklungen kennen Biologen von einigen Tierarten. In der Abgeschiedenheit von Inseln fährt die Evolution die Statur mancher Kreaturen nach unten – oder nach oben. So gab es einst auf Sizilien und Malta Elefanten mit einer maximalen Schulterhöhe von 100 Zentimetern. Keine 5000 Jahre soll es gedauert haben, bis der viermal größere Urahn des Rüsseltiers Kleinformat erreicht hatte.

Trotzdem halten auch unabhängige Experten das Ausmaß der Schrumpfkur von Homo floresiensis für atemberaubend. Fünfmal bringt der Anthropologe Peter Schmid nur ein »Das ist ja eine verrückte Sache« hervor, als er um eine Einschätzung gebeten wird. Am meisten verwundert den Wissenschaftler von der Universität Zürich das winzige Gehirn der Frau von Flores. »Kleiner als der Denkapparat eines Schimpansen« sei das gewesen, staunt er. Moderne Pygmäen, durchschnittlich 1,40 Meter groß, haben in etwa das gleiche Gehirnvolumen wie andere Menschen. »Die Gehirngröße von Homo floresiensis ist bizarr«, sagt Schmid. »Dass das Gehirn so geschrumpft sein soll, verstößt gegen jegliche evolutionäre Mechanismen. Wir brauchen weitere Skelette, um eine Einzelmutante auszuschließen.«