Anthropologie: Kunst   la Neandertal?

Eine neue Datierung alter Funde lässt zweifeln, dass die Aurignac-Kultur das Werk moderner Menschen ist.

Wann sind unsere Ahnen nach Eu ropa gekommen, und auf wel cher Route? Seit 1886 schien das geklärt, damals fand man in der Höhle von Cro-Magnon anatomisch moderne Skelette und Kunstwerke. Die Menschen wurden nach der Höhle benannt, die Kultur erhielt den Namen Aurignac - und beides wurde umstandslos miteinander verbunden: Wer, außer uns Menschen, sollte schon in der Lage sein, Kunstwerke zu schaffen?

Spätere Funde brachten zusätzliche Unterstützung, vor allem einer in der Höhle von Vogelberg in der Schwäbischen Alb. Seit 1931 kommen dort immer wieder feinst gearbeitete Figurinen aus Mammut-Elfenbein ans Licht, im Vorjahr gar eine, die vermuten ließ, dass diese Menschen auch eine Religion hatten: Sie stellt einen Wasservogel dar, der heute noch im Schamanismus eine Rolle spielt, weil er - wie der Schamane selbst - plötzlich in einem anderen Reich verschwinden kann.

Die Figurinen sind 30.000 bis 35.000 Jahre alt, dasselbe vermutete man auch von Menschen-Fossilien, die sich in der Mitte und am Eingang der Höhle fanden. Die in der Mitte sind auch alt, aber sie sind so klein, dass sie keinen Rückschluss auf diese Menschen zulassen. Die am Eingang sind groß genug, man sieht, dass sie von modernen Menschen stammen. Aber sie sind um einiges zu modern: "Wir haben fünf Knochen datiert und eine große Überraschung gefunden", berichtet Nicholas Conard (Ur- und Frühgeschichte, Universität Tübingen): "Sie sind nur etwa 5000 Jahre alt." Offenbar wurden sie von späteren Höhlenbewohnern in Schichten bestattet, die selbst 30.000 Jahre alt sind, man hat früher nur die Schichten datiert, nicht die Knochen. Der Befund ist - für die Eitelkeit von Homo sapiens - höchst beunruhigend: Vogelberg war der härteste Beleg für die Verknüpfung Cro-Magnon/Aurignac, die meisten anderen Hinweise sind schon in sich zusammengebrochen, auch die Menschen in der Cro-Magnon-Höhle sind zu jung, etwa 25.000 Jahre alt.

Vor 35.000 Jahren waren andere in Europa, Neandertaler, als grob angesehene Gesellen, die vor 25.000 Jahren verschwanden - vermutlich von einwandernden H. sapiens erschlagen wurden - und denen bisher nur Außenseiter die Fähigkeit zu Kunst und Religion zugetraut haben: "Eine der verbreitetsten Annahmen der Anthropologie - die Verbindung von Aurignac und modernen Menschen - ist unsicherer denn je", formuliert Conard (Nature, 430, S. 198): "Man kann die Hypothese, dass Neandertaler diese Kultur geschaffen haben, nicht mehr ausschließen." Als sie da waren, waren die Mammuts da, später gab es sie - und ihr Elfenbein - nicht mehr.

Und man weiß nicht mehr, wie H. sapiens nach Europa kam. Bisher galt die Hypothese vom "Donau-Korridor": Demnach nutzten die modernen Menschen vor 38.000 Jahren eine Warmzeit und wanderten entlang der Donau bis hinauf in die Schwäbische Alb. Nun ist das Endglied der Kette abhanden gekommen, man hat nur noch einen möglichen Anfang, einen 35.000 Jahre alten Schädel aus Rumänien. Aber bei ihm fand sich keinerlei Kunst.

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