Bayerns Kronprinz Ludwig wäre irritiert gewesen. 1812 erwarb er – für über eine Million Euro in heutigen Werten – die Giebelfiguren des Aphaiatempels von Aegina. Bis heute sind die Aegineten das Prunkstück der Münchner Glyptothek. Der Kauf, "sollte er auch sehr theuer sein", war dem Kronprinzen eine Herzensangelegenheit. Bayerns Staatskasse musste bluten. Dass sich seine edlen weißen Marmorbildnisse nun als orientalisch bunte Figuren erweisen, hätte Ludwig wohl kaum gefallen.

Um das wahre Erscheinungsbild der "Götter in Weiß" auszuleuchten, untersucht Vinzenz Brinkmann, Vizedirektor der Glyptothek, seit über 20 Jahren antike Marmorskulpturen. Mit 200 Kilogramm High-Tech-Ausrüstung ist der Archäologe in Museen der ganzen Welt gereist. Sein Ergebnis: Vornehme Blässe muss poppiger Heiterkeit weichen. Die Helden der Aegineten werden zu farbenfrohen Harlekinen. Mit rautenverzierten Leggings, einer kanariengelben Mütze und einem goldenen Bogen – so hat man sich Paris, den trojanischen Prinzen auf dem Aphaia-Tempel, nun vorzustellen. Brinkmanns Rekonstruktionen schmerzen das klassisch geschulte Auge. Doch der Befund ist eindeutig. Im kalten Streiflicht und unter der UV-Lampe tauchen flächige Muster auf, Voluten und aufgemalte Panzerschuppen. Das scheinbar weiße Gewand einer Göttin ist mit reichen Stickereien geschmückt, und auf einer farblosen Grabstele erscheint wie von Geisterhand eine ganze Szenerie.