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Filmkritik: Troia Reloaded

"Jeder Hügel, jeder Felsen [...] mahnt uns an Homer [..] und mit einem einzigen Sprunge fühlen wir uns über hundert Generationen hinweg in die glänzendste Epoche griechischen Rittertums und griechischer Dichtkunst versetzt." Dieses tiefe Berührtsein erlebte Heinrich Schliemann 1868 auf Ithaka. Und nun hat sich also Hollywood in Gestalt des Regisseurs Wolfgang Petersen und des Filmheroen Brad Pitt der Sage vom Troianischen Krieg bemächtigt. Namen, die für Thrill und Action stehen. Das kann doch nur schief gehen, oder?
Brad Pitt in Aktion
"Der Krieg ist der Vater aller Dinge", soll der griechische Philosoph Heraklit um 500 v. Chr. formuliert haben. Nun, für die abendländische Literatur trifft dies wohl zu, denn mit Homers Großgedicht "Ilias" nahm sie ihren Anfang, und Krieg füllt die Verse. Ich nehme Gustav Schwabs "Die schönsten Sagen des Klassischen Altertums" zur Hand, die bekannte Prosatranskription des Epos aus dem 19. Jahrhundert: "[..] jenem duchschoß er die Brust mit der Lanze, diesen stürzte er mit einem Schwerthiebe vom Wagen [...] Vergebens flehten ihn die Knaben [..] um Schonung an. Ihres Vaters gedenkend durchbohrte er den einen und hieb dem anderen die Hände vom Leib und das Haupt von den Schultern."

Diese Raserei Agamemnons, Führer des griechischen Heeres, ist kein Einzelfall – eigentlich gehört dieses Buch auf den Index jugendgefährdender Schriften. Wer gerade wem womit welches Körperteil durchbohrt, zermalmt, abschlägt oder zerhackt, interessierte die Menschen der Antike. Andere Zeiten, andere Sitten.

Doch da ist mehr als Action in den Versen. Um Ehre geht es, um Liebe und Zusammenhalt. Und um das Schicksal der Menschen, die den Göttern ausgeliefert sind. Bei Homer sind sie es, die eigentlich den Krieg führen. Menschen dienen den Unsterblichen als eine Art Lieblingsspielzeug. Mal führt einer unsichtbar einem Helden die Hand, mal stachelt er in menschlicher Gestalt die Mordlust an. Und obwohl Zeus den Untergang Troias längst beim Frühstück beschlossen hat, wird die Entscheidung hinausgezögert: Es metzelt sich gerade so schön. Von ihrem Spiel in Bann gezogen, geraten die Parteigänger dann schon mal auch selbst aneinander.

Nicht gerade ein einfacher Stoff für Drehbuchautor David Benioff und Regisseur Wolfgang Petersen. Doch sie fanden einen genialen Weg zwischen bluttriefendem Splatter-Movie und Götter-vernebelter Fantasy: großes Gefühlskino. Auch wenn "Troia" manchmal am Kitsch entlangschrappt: Homers Botschaft jenseits der Leichen ist hier nicht verloren, sondern vielleicht sogar in eine zeitgemäße Form gebracht. Die Götter müssen nicht wirklich auftreten, um präsent zu sein.

Es tut nichts zur Sache, dass der Kampf um Troia von mehr als zehn Jahren auf wenige Wochen kondensiert und mancher ein anderes Schicksal erfährt, als es ihm Homer einräumte. Wenn Achill leise erzählt, dass er im Traum all die von seiner Hand Erschlagenen sieht, die ihn einladen, auf ihn warten jenseits des Styx, dann wird diese Figur plastisch, wird der ruhmsüchtige Killer zum schicksalsgetriebenen Menschen.

Wer also die pure Action sucht, wird eher enttäuscht werden. Zwar hetzte Wolfgang Petersen 1250 Statisten aufeinander los, die per Computer auf 75 000 Kämpfer hochgerechnet wurden, doch lag es an den satten Gesichtern mancher Darsteller, an den adretten Schilden und Speeren – das Aufeinanderprallen germanischer Stämme mit der römischen Legion im "Gladiator" ließ mich unruhiger im Sitz herumrutschen. Beeindruckender war Meister Brad Pitt: Dreißig Experten hatten Monate lang eine Kampftechnik entwickelt, die Achilles wie einen Gott kämpfen lassen sollte. Und Herr Pitt, mit Muskeln wie weiland Arnold Schwarzenegger, wirkt zumindest so elegant wie, na ja, ein bisschen wie eine Mischung aus Jackie Chan und "Matrix"-Neo.

Troia ist ein Mythos, deshalb wäre es unsinnig, von diesem Film historical correctness zu erwarten: Er bedient Erwartungen, muss Großes zeigen, Erhabenes. Zwar erinnern die Mauern der Stadt wirklich ein wenig an manche Rekonstruktionszeichnung der Wissenschaftler (vergleiche auch "Abenteuer Archäologie, Heft 2/2004), doch ist alles viel gewaltiger geraten. Stilistisch zeigen die Kulissen eine Mischung aus mykenischer und ägyptischer Kultur und sicher noch mancher anderen, die stimmig in das Bild passt. Dass es in Troia vermutlich Streitwagen gab, sicher aber keine Kavallerie – wen stört es. Homer selbst versuchte nicht eine längst vergangene Epoche authentisch wiederaufleben zu lassen, sondern sah die Ruinen des spätbronzezeitlichen Troia mit den Augen seiner Zeit. Die Legenden vom großen Krieg, auf denen er seine Dichtung aufbaute, gaben den Hintergrund für eine Geschichte über Schicksal, Ehre, Liebe. Große Gefühle eben.

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