Stuttgarter Zeitung sonstige Kreis-Seiten 27.10.1998



Die Franken als Herren

Archäologen untersuchen merowingerzeitlichen Friedhof

HERRENBERG. Fränkischen Einfluß im besiegten Alamannien spiegeln die Funde, die in einem merowingerzeitlichen Friedhof bei Herrenberg im Landkreis Böblingen derzeit von Archäologen geborgen werden.

Von Dieter Kapff

Im alamannischen Gräberfeld im Zwerchweg beim städtischen Bauhof, das 1995 von dem Luftbildarchäologen Otto Braasch auf dem Heimflug zufällig entdeckt wurde, graben seit 1996 die Archäologen des Landesdenkmalamts unter der Leitung von Claus Oeftiger. Das Gebiet im Süden Herrenbergs, auf einer kleinen Anhöhe über der jungen Ammer gelegen, soll überbaut werden. Deshalb müssen zuvor die Bodenfunde geborgen werden, die Aufschluß über die frühe Geschichte der Umgebung Herrenbergs geben können.
Der Friedhof umfaßt schätzungsweise 600 Gräber, von denen bis heute 220 freigelegt worden sind. Die Bestattungen datieren in die Zeit um 600. Aufgrund der Größe des Friedhofs ist anzunehmen, daß es im Osten noch ältere Gräber gibt.
Rund hundert Jahre zuvor hatten die Franken die Alamannen besiegt und dem Merowingerreich eingegliedert. Zur Kontrolle des Landes und der Alamannen haben die Franken an vielen strategisch und wirtschaftlich wichtigen Punkten eigene Leute angesiedelt.
Einzelne fränkische Adelsfamilien wurden nach Alamannien versetzt, wo sie als verlängerter Arm des Merowingerkönigs einer Dorfgemeinschaft vorstanden, für Sicherheit und Ruhe sorgten und die Eintreibung der Naturalsteuern überwachten. Die zum Friedhof gehörige Siedlung war aus zwei Gründen wichtig: Sie lag am Rande des Oberen Gäus, der Kornkammer der Region, und auch an einer seit der Römerzeit benutzten Straße, die von Calw durch das Ammertal zum Neckar bei Tübingen oder Rottenburg führte.
Auf dem Friedhof im Zwerchweg liegen nicht die Toten von Herrenberg. Die Stadt wurde erst im 13. Jahrhundert von den Pfalzgrafen von Tübingen gegründet. Das alamannische Reihengräberfeld gehört vermutlich zur Siedlung Mühlhausen, die nach dem Umzug ihrer Bewohner in die Stadt um 1325 aufgelassen wurde. Ein Flurname erinnert noch an das wüstgefallene Dorf, dessen genaue Lage noch nicht gesichert ist.
Mühlhausen wird erstmals um 775 in einer Schenkungsurkunde an das Kloster Lorsch erwähnt. Namenskundler schließen aus der Endung -hausen, daß es aber älter und ein Ausbauort des 7. Jahrhunderts ist. Seinen Namen verdankt es einer Mühle an der Ammer, die keinen Kilometer davon entfernt entspringt, aber bereits so viel Wasser führt, daß sie eine Mühle antreiben kann. Es ist denkbar, daß die Siedlung ursprünglich einen anderen, einen auf -ingen endenden alamannischen Namen trug, der nach der Machtübernahme durch die Franken geändert wurde.
Das alamannische Reihengräberfeld von Herrenberg spiegelt die politischen, sozialen, religiösen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des 7. Jahrhunderts wider. Zum Beispiel in der Art und Größe der Gräber. Die einfachen Dorfbewohner hat man in die Grabgrube gelegt, vielleicht in ein Tuch eingehüllt oder auf einem Totenbrett bestattet. Andere erhielten einen Holzsarg. Der fränkische Dorfherr wurde in einer 3,5 Meter tiefen Grabgrube beigesetzt, über der ein Totenhaus gezimmert wurde, in dem sich die Hinterbliebenen bei Speis und Trank zu seinem Gedächtnis versammelten.
Die enorme Tiefe der Grabgrube sollte wohl die wertvollen Grabbeigaben schützen. Freilich hat dies nicht viel genützt. Denn die Gräber von Herrenberg sind zu einem hohen Grade, zu 98 Prozent, ausgeraubt worden. Dies geschah oft nur wenige Jahre nach der Grablegung und, wie die Archäologen vermuten, auch durch die eigenen Angehörigen. Die Grabräuber sind dabei ganz gezielt zu Werke gegangen. Gräber, aus denen nichts zu holen war, ließen sie links liegen. Bei den gutausgestatteten Toten haben sie im Brustbereich - wenn es eine Frau war, denn dort lag der Schmuck - oder im Hüft- und Beinbereich - wo bei den Männern die Waffen zu finden waren - Raublöcher gegraben.
Trotz der starken Beraubung bargen die Archäologen noch aus zwei Dritteln der Gräber Funde, die Hinweise auf Geschlecht, sozialen Status, Religion und Datierung ergaben. Glas- und Bernsteinperlen weisen die Besitzerin als wohlhabend aus, denn - anders als heute - war Glas damals etwas Wertvolles. 50 Perlen zierten den Hals einer Frau, und ein Mädchen hatte eine Kette mit 29 Glasperlen. Handelsbeziehungen nach Osteuropa belegt ein schwarzer Tonbecher, Gürtelschnallen stammen aus Italien, Keramikflaschen und ein Glasgefäß aus der Heimat der fränkischen Dorfherren, dem Rheinland. Auch die Franziska, die fränkische Wurfaxt, die in einem Kriegergrab gefunden wurde, weist ins Merowingerreich.
Die Bestatteten waren in der großen Mehrheit heidnische Alamannen. Das Christentum kam in dieser Region erst durch die Franken zu den Alamannen. Amulette als Heilsbringer, die Tigermuschel als Fruchtbarkeitssymbol, das die Frau am Gürtel trug, und die Speisebeigaben für den Weg ins Jenseits verdeutlichen den altüberkommenen Glauben an die heidnische Götterwelt. Übrigens, neben Schweine- und Rinderbraten hat man Gourmets auch Hühnerbrust, Rebhuhn und Wachtel ins Grab mitgegeben.
Einige wenige Tote, wohl die aus der fränkischen Herrendynastie, gaben sich als Christen zu erkennen. Christliche Motive, vor allem das Kreuz, fanden sich auf ihren Grabbeigaben, auf bronzenen Schmuckscheiben, einer feuervergoldeten und mit leuchtenden Almandinen verzierten silbernen Scheibenfibel, auf silbernen Anhängern. Diese Wertobjekte hatten die Grabräuber aus frommer Scheu nicht wegzunehmen gewagt, wenn sie auch sonst nichts im Grab zurückließen.

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