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News: Folgenreicher Besuch aus dem Norden

Mit dem Ende der Antike wurde die Bevölkerung Europas kräftig durcheinandergewirbelt. So verschlug es während der Völkerwanderung auch schottische Stämme auf die Schwäbische Alb - mit wertvollem genetischen Gepäck.
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Im Jahr 407 schifften sich die letzten auf der britischen Insel stationierten römischen Truppen gen Heimat ein. Sie hinterließen damit ein Machtvakuum, das im Laufe des fünften Jahrhundert einwandernde germanische Stämme ausfüllten, welche die britische Urbevölkerung nach und nach zurückdrängten. Dramatisches muss damals in Britannien geschehen sein, das meiste davon verliert sich jedoch für die heutige Geschichtsforschung im Dunkel von Sagen und Legenden. So beruht auch die berühmte Artussage vermutlich auf einem wahren historischen Kern.

Eine weniger bekannte Legende, die Historiker in die Artuszeit ansiedeln, erzählt vom schottischen Helden William McGibson, der wegen seines Geizes seine Heimat in den Highlands zusammen mit seinen Getreuen verlassen musste. Die Vertriebenen sollen ihr Glück irgendwo im Süden gefunden haben. Inwieweit hier wahre Begebenheiten mit eingeflochten worden sind, blieb unter Geschichtsforschern heftig umstritten, denn archäologische Funde, die auf keltische Auswanderungswellen aus Schottland verweisen, gibt es nur spärlich.

Heribert Schultes vom European Genetic Laboratory (EGL) in Schwäbisch Hall interessierte sich bis vor kurzem nur wenig für keltische Legenden und hatte den Namen William McGibson auch noch nie gehört. Woher auch? Schließlich arbeitet der Humangenetiker nicht mit frühmittelalterlichen Pergamentrollen, sondern vornehmlich mit menschlicher DNA.

Bei genetischen Untersuchungen, die Schultes routinemäßig an der Bevölkerung der Schwäbischen Alb durchführte, machte er eine interessante Entdeckung: Auf Chromosom 24, dem kleinsten des menschlichen Chromosomensatzes, fand er bei einem Großteil der schwäbischen Bevölkerung zwei Abschnitte, die sich in ihrer Basenabfolge deutlich von denen anderer Populationen unterscheiden. Vergleichende Untersuchungen in ganz Deutschland ergaben, dass hier normalerweise Abschnitte liegen, die nicht für bestimmte Proteine codieren – nur bei den Schwaben scheint Chromosom 24 codierende Bereiche zu besitzen.

Als Schultes seine merkwürdigen Gene auf der Jahrestagung der European Genetic Organization (EGO) in Edinburgh vorstellte, wurde ein schottischer Kollege hellhörig. John McMiserliness, der inzwischen an der University of Middlesix in Ohio forscht, kamen die beiden Genomabschnitte sehr bekannt vor. Fast genau die gleiche Basensequenz hatte er bei der Bevölkerung der schottischen Highlands entdeckt.

Schnell taten sich die beiden Genetiker zusammen und konnten im Zellsaft zwei Proteine aufspüren, für welche die beiden Gene vermutlich codieren. Und mit Hilfe der auf SPZL 1 und SPZL 2 (strange protein in zytosolic liquid) getauften Proteine gelang es den beiden Forschern, einen Stammbaum aufzustellen.

Demnach scheint es tatsächlich eine schottische Einwanderungswelle im fünften Jahrhundert auf der Schwäbischen Alb gegeben zu haben. An der Legende von William McGibson, den es von den schottischen Bergen ins Schwabenland verschlagen haben soll, könnte also etwas dran sein.

Doch was bewirken nun die schottisch-schwäbischen Gene? Die genaue Funktion ist noch unklar, aber Schultes und McMiserliness vermuten einen Zusammenhang mit der Verstoffwechslung von Mehl- und Eierprodukten. Offensichtlich geben die Gene SPZL 1 und SPZL 2 ihrem Träger einen Selektionsvorteil bei bestimmter einseitiger Ernährung. Demnach könnten die heute in Baden-Württemberg so beliebten Spätzle auf einem enzymatischen Erbe frühmittelalterlicher schottischer Einwanderer beruhen. Ob William McGibson auch seinen ihm nachgesagten Geiz an seine schwäbischen Nachfahren weitergab, dazu können oder wollen sich Schultes und McMiserliness allerdings nicht äußern.

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