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Pyramiden-Show Indiana Jones kam mit einer Stunde Verzögerung

Es sollte eine Nacht der Superlative werden: Die Nacht der Pyramiden. Einige Wissenschaftler sind mit den Forschungsergebnissen zufrieden, doch der Zuschauer wurde irritiert zurückgelassen. Was bleibt, sind Müdigkeit und die späte Erkenntnis, dass die Live-Übertragung gar keine war.
Von Alva Gehrmann



Gizeh – 3.35 Uhr. Wer um diese Uhrzeit freiwillig aufsteht, um fernzusehen, der erwartet ein großes Ereignis. Dessen ist sich wohl auch ZDF-Moderator Peter Arens bewusst gewesen, weshalb er die Zuschauer mit einem motivierenden "Guten Morgen" begrüßte und sagte: "Unchristliche Zeit, wissen wir, aber haben Sie keine Angst, dass wir sie mit wilden Spekulationen aus dem Bett geholt haben."

Arens versprach einen spannenden Abend, doch auf den warteten die Zuschauer vergebens. Stattdessen saß man zwei Stunden vor dem Fernseher und sah vorab produzierte Filme über die Cheops-Pyramide in Gizeh und den ägyptischen Chefarchäologen Zahi Hawwas. Das eigentliche Ereignis - das Durchbrechen einer geheimnisvollen Wand im Inneren der Pyramide und der Inhalt eines 4500 Jahre alten Sarkophags - wurde zur Nebensache.

Live-Show mit Unterbrechungen

Mit großen Medienrummel war die lange Nacht der Pyramide angekündigt worden, darin sollten die letzten Rätsel der Cheops-Pyramide live entschlüsselt werden. In insgesamt 141 Länder übertrug der National Geographic Channel das Ereignis, von dem gesagt wurde: "Seit rund 4500 Jahren erblickte keiner die Welt, die wir gleich sehen werden."

Doch die meiste Zeit erblickte der Zuschauer keine der sehnsüchtig erwarteten Live-Aufnahmen. Immer wenn man gerade dachte, jetzt gehe es los, kam auch schon wieder der nächste Einspieler. Die Dokumentarfilme waren durchaus interessant, auch die Inszenierungen, die das Leben rund um die Cheops-Pyramide nachstellten, waren sehenswert. Doch dafür muss man nicht nachts aufstehen – derartige Filme werden sonst im ZDF sonntags zu einer "christlicheren Zeit" (19.30 Uhr) präsentiert.

Der Ärger mancher Zuschauer dürfte noch größer werden: Am Dienstag ließ das ZDF verlauten, dass die angeblichen Live-Bilder tatsächlich mit einer Stunde Verzögerung gesendet wurden. Peter Arens zur dpa in Mainz: "Wir haben die Originalbilder eine Stunde versetzt gesendet, weil neun Werbeunterbrechungen im US-Fernsehen vorgesehen waren". Bei der Sendezeit mußte man sich dann aber wohl doch an den amerikanischen Kollegen orientieren, die wollten schließlich zur Prime-Time ausstrahlen.

Der Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, Dietrich Wildung, setzte dem Ganzen noch einen drauf: Er behauptete, die Öffnung des Sarkophags und die Bohrung an der Steinplatte seien schon vor Tagen erfolgt. Das ZDF will die Vorwürfe prüfen.

Live oder Konserve, Mittelpunkt des Abends war sowieso Chefarchäologe Zahi Hawwas. Der Ägypter trug ein leuchtend rotes Hemd und eine Hut im Stil von Indiana Jones, den er selbst dann aufbehält, wenn er sich durch die engsten Gänge einer Pyramide durchquetscht. Nur selten nahm er in dieser Nacht seinen Hut ab.

Perfekter Schauspieler

Hawwas zeigt sich gerne im Stile eines Indiana Jones: Er lässt sich filmen, wie er mit einer Fackel durch antike Stätten läuft, und sagt dabei Sätze wie: "Das ist der schönste Platz auf Erden.“ Oder: "Auf diesen Moment habe ich mein Leben lang gewartet“. Nun sind Archäologen auch immer schon Schauspieler gewesen, die ihre Entdeckungen gerne für die Kameras nachstellen, doch Hawwas betreibt dies bis zur Perfektion.

Der Ägyptologe pendelte während der Nacht zwischen den beiden Grabungsstellen und unterhielt sich jeweils mit einem der beiden amerikanischen Moderatoren. Besonders Laura Green hatte es Hawwas angetan. Bei ihr war er ganz der Charmeur, gütig erklärte er der zierlichen Frau, wie denn nun die kleine Roboterkamera in den 20 mal 20 Zentimeter kleinen Schacht eingeführt wird. "Und in diesen kleinen Gang wird er eingeführt. Nicht Sie, Laura", sagte Hawwas und grinste dabei breit, während ihm dicke Schweißperlen ununterbrochen über das Gesicht liefen.

Das kleine Loch in der Kammer war schon vor der zweistündigen Übertragung gebohrt worden. Dennoch behauptete Hawwas, dass er noch nicht hineingeguckt habe, als wenn ein Ägyptologe extra für die Kameras darauf warten würde. Eigentlich hätte dies auch die Stunde von Rudolf Gantenbrink sein sollen. Der deutsche Ingenieur hatte den Schacht 1993 entdeckt und mit einem kleinen Roboter die ersten Erkundungen in das Innere der Kammer gemacht. Doch zwischen Gantenbrink und Hawwas kam es zum Streit, so dass es dem Deutschen verwehrt wurde, weiter in der Pyramide zu forschen. Hawwas behielt die Kontrolle darüber, wer wann was in seinem Land erforscht.

"Willkommen zurück zur Show"

So auch in der Grabkammer. Der Chef persönlich öffnete den Sarkophag, neben dem schon der zweite Moderator Jay Schandler ganz aufgeregt wartete. "Wenn es je einen Augenblick der Offenbarung gegeben hat, dann diesen hier“, sagte ein hysterischer Schandler. Hawwas kratzte ein bisschen an dem Sarkophag herum und dann öffnete er ihn einen Spalt breit. "Wir werden jetzt gleich wissen, wer der Mann in dem Sarg ist“, sagte der Archäologe. Doch zuerst wurde wieder einer der unzähligen Filme gezeigt. "Willkommen zurück zur Show“, begrüßte Schandler dann die Zuschauer, die immer noch nicht eingeschlafen waren. Im Sarkophag wurde schließlich das Skelett eines Oberaufsehers der Pyramide entdeckt – und keine Mumie, wie zunächst erhofft wurde.

Um 5.20 Uhr, zum Schluss der Übertragung, ging Hawwas dann noch mal in die so genannte Königinnenkammer. Schließlich sollte das Geheimnis gelüftet werden, das sich hinter der Steinwand verbirgt. Ein Schatz oder Schriften? Live wurde die Fahrt der Minikamera durch ein kleines Loch in der Wand gezeigt. Dahinter kamen ein Hohlraum und eine verschlossene Tür zum Vorschein: Und somit standen die Wissenschaftler vor einem neuen Rätsel. Dennoch ist diese Wand für Zahi Hawwas ein sehr wichtiger Fund. "Wir stehen hier vor einer Entdeckung. Es scheint, dass hier etwas Wichtiges verborgen ist."

Doch näher begründet wurde dies nicht mehr. Die Sendezeit war um. Derjenige, der bis jetzt ausgeharrt hatte, erhoffte sich zumindest von deutschen Wissenschaftlern eine Bewertung der Ereignisse. Doch auch darin wurde er enttäuscht. Stattdessen beglückwünschte Hawwas die Moderatorin Green zum Abschied mit einem Lob: "Laura, das haben Sie prima gemacht.“

Am Dienstagmorgen immerhin meldeten sich einige deutsche Ägyptologen zu Wort, die den wissenschaftlichen Wert dieser Übertragung auch kritisierten. Frank Steinmann von der Universität Leipzig sagte: "Ich habe das bombastisch aufgezogene Medienereignis relativ emotionslos verfolgt." Laut Steinmann eine "Luftnummer".